Das Menschsein zählt

Wort zum Tage
Das Menschsein zählt
22.01.2016 - 06:23
11.01.2016
Pfarrerin Elke Drewes-Schulz

Die Bibel erzählt im Buch Ruth die Geschichte einer Migrantin, die wieder in ihre angestammte Heimat zurückkehrt – zusammen mit ihrer Schwiegertochter. „Reich bin ich ausgezogen, aber mit leeren Händen hat mich der Herr heimkehren lassen“, erklärt sie den erstaunten Einheimischen bei der Ankunft in der alten Heimat. Und dabei ist Noomi samt ihrer Familie doch weggegangen, weil sie hungern mussten. Wie kann sie da sagen, dass sie das Land reich verlassen habe? Rückblickend stimmt für sie der Satz. Denn der Tod ihres Mannes und ihrer beiden Söhne lässt sie einen anderen Blick auf das Leben werfen. Der schwere Verlust hat ihr die Augen geöffnet für den Reichtum, den sie damals trotz aller Armut besaß: die Liebe und Nähe ihres Mannes und ihrer Kinder. „Reich bin ich weggegangen und mit leeren Händen kehre ich zurück.“

 

Einfach ist es für die beiden Frauen nicht, in Noomis alter Heimat wieder Fuß zu fassen. Besonders die junge, attraktive Ruth ist in der fremden Umgebung ohne männliche Begleitung gefährdet. Trotzdem zieht sie alleine los, um für sich und für ihre Schwiegermutter Nahrung zu besorgen. Sie hält sich an die Gesetze und sammelt nur die Ähren auf, die den Schnittern bei der Ernte entgangen sind.

 

Den notleidenden Fremden wird das gegönnt, was sowieso übrig bleibt. Kein Einheimischer soll aufgrund der Versorgung von Migranten irgendwelche Nachteile haben oder auch nur Rücksicht nehmen müssen. Das würde nur Unruhe stiften.

 

Doch Boas, auf dessen Acker Ruth Ähren sammelt, kümmert sich nicht um diese Vorgaben. Im Gegenteil: Er stellt Ruth unter seinen persönlichen Schutz und sorgt dafür, dass sie und ihre Schwiegermutter genug zu essen haben und nicht wie Menschen zweiter Klasse behandelt werden.

 

Ruth überrascht diese freundliche Aufnahme. Damit hat sie nicht gerechnet. „Wie kann das sein, dass du mich achtest, obwohl ich doch eine Ausländerin bin?“ fragt sie Boas. Und der begründet sein Verhalten ausschließlich mit dem, was er über Ruth erfahren hat: Dass sie, die junge Witwe, ihrer Schwiegermutter zuliebe ihre Heimat und gesicherte Verhältnisse aufgegeben habe und nun rührend dafür sorge, dass beide genug zum Leben haben. Diese Menschlichkeit findet Boas bewundernswert und etwas davon möchte er nun Ruth zurückgeben.

 

Ruth ist das erste Mal seit langer Zeit wieder glücklich. „Deine Güte hat mir Mut gemacht“, entgegnet sie ihm.

 

Boas ermöglicht den beiden Frauen den Weg in ein neues Leben. Zwischen Ruth und Boas entwickelt sich eine anrührende Liebesgeschichte.

 

Heute, 3000 Jahre später, gilt immer noch, was die alte Geschichte behauptet: Es ist nicht wichtig, woher du kommst, was du glaubst und ob du Mann oder Frau, reich oder arm bist. Es zählt allein, dass du Mensch bist und deinem Mitmenschen mit Liebe begegnest.

11.01.2016
Pfarrerin Elke Drewes-Schulz