Neue Hoffnung

Wort zum Tage
Neue Hoffnung
23.01.2016 - 06:23
11.01.2016
Pfarrerin Elke Drewes-Schulz

Ruth hält ihr gerade geborenes Kind im Arm. Das hätte sie sich nicht träumen lassen, dass sie in dem fremden Land einmal glücklich werden würde. Ihrer Schwiegermutter zuliebe hat sie ihre Heimat verlassen. Sie hat sich dabei keine falschen Hoffnungen gemacht. Schwer würde sie es haben als  junge verwitwete  Ausländerin,  würde allenfalls geduldet, aber nicht geliebt werden. Doch die Schwiegermutter allein zu lassen, kam für sie nicht in Frage.

 

Die hebräische Bibel erzählt die Geschichte von Ruth und deren Schwiegermutter Noomi – eine Geschichte voller Wärme und Menschlichkeit. Noch 3000 Jahre später zeigt sie uns, wie Integration gelingen kann.

 

So wie Ruth, ist auch der Vater ihres Kindes, Boas, seinem Herzen gefolgt. Auch er hat sich nicht die Menschlichkeit verbieten lassen. Obwohl die Vorschriften seines Landes es verlangen. Sie schreiben ihm vor, Fremde wie Vieh zu behandeln. Auf den frisch geernteten Feldern dürfen sie lediglich das einsammeln, was liegen geblieben ist. Wer sich nicht daran hält, Fremde abzuschrecken, der wird gewarnt vor diesen Menschen, die angeblich so ganz anders sind, die einen anderen Glauben haben und eine andere Sprache sprechen. Bei vielen haben diese Drohungen Ängste geschürt. Gott sei Dank gehört Boas zu denen, die sich ihr Leben nicht von der Angst diktieren lassen und sich nicht darum scheren, was man tun und lassen sollte. Als er Ruth kennenlernt, sieht er in ihr nicht die Fremde, sondern den Menschen, der Not leidet. Und er empfindet Hochachtung gegenüber dieser Frau, die das wenige, was sie hat, mit ihrer Schwiegermutter teilt. Auch sie selbst ist Witwe und ist ohne den Rückhalt eines Mannes darauf angewiesen, ihren Lebensunterhalt zu erbetteln. Doch Ruth will nichts geschenkt haben. Sie legt sich krumm und arbeitet von morgens bis abends, um ohne fremde Hilfe für sich und ihre Schwiegermutter zu sorgen. Eine starke Frau, die sich einerseits in die Gegebenheiten des fremden Landes fügt, andererseits aber ihre Würde und Unabhängigkeit bewahrt.

 

Schon bald wird aus Boas’ Hochachtung Liebe und er heiratet die Ausländerin Ruth.

 

Und nun, ein Jahr später, hat sich die Nachbarschaft  eingefunden, um das Neugeborene, den Sohn von Boas und Ruth zu bewundern.

 

Alle denken, Ruth schliefe, doch sie hat die Augen geschlossen, um den Augenblick besser genießen zu können, den Herzschlag ihres Sohnes und seinen warmen Atem. Sie hört, wie die Frauen im Flüsterton über sie reden: „Deine Schwiegertochter, die dich liebt, ist mehr wert als sieben Söhne! Geliebt zu werden, ist die beste Altersversicherung“, sagen sie zu Noomi.

 

Sie tut gut, diese biblische Geschichte vom Lebensweg zweier starker Frauen.

 

Jenseits aller Einteilungen in einheimisch und ausländisch, vertraut und fremd, rechtgläubig und ungläubig, Männersache und Frauensache zählt hier einzig und allein die Menschlichkeit.

11.01.2016
Pfarrerin Elke Drewes-Schulz