Ein Hauch von Wahrscheinlichkeit

Wort zum Tage
Ein Hauch von Wahrscheinlichkeit
15.07.2019 - 06:20
13.06.2019
Michael Becker
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Er konnte nur leise. Lautes gab es bei ihm nicht. Todkrank war er auch, seit dem vierzigsten Lebensjahr. Der russische Schriftsteller Anton Tschechow (1860 – 1904) fragt immer nur: Wie sollen wir leben? Und erzählt von denen, die leben wollen und es nicht können. Als er 1901 berühmt ist, weiß er um seinen baldigen Tod. Und schreibt drei Jahre, bevor er mit 44 Jahren stirbt (am 15. Juli 1904):

 

Man muß an Gott glauben, und wenn man den Glauben nicht hat, dann soll man an seine Stelle keinen Sensationsrummel setzen, sondern suchen, … einsam suchen, allein mit sich und seinem Gewissen. (Aus einem Brief vom 17. Dezember 1901)

 

Eigentlich ist Tschechow Arzt. Fromm ist er nicht, wie wir das oft nennen. Dafür ist er nachdenklich; und leise. Wer Menschen zusieht und nachdenkt, bemerkt viel. Tschechow bemerkt den Zwiespalt, in dem wir Menschen oft stecken. Der große Anspruch – und der klägliche Alltag. Das macht ihn nachdenklich. Die Welt versteht sich nicht von selbst, findet er. Das Leben auch nicht. Leben allein ist nicht der Sinn des Lebens. Da muss mehr sein. Gott vielleicht. Etwas außerhalb der Welt, was Sinn gibt. Wer nicht weiß, muss suchen. Das gilt auch für Tschechow. Wichtiger als zu haben ist zu erkennen, zu entdecken. Immer neue Sensationen und Feste und Ablenkungen helfen da nicht. So betäubt man sich eher, als man nachdenkt. Gott braucht leise Töne. Und kleine Fragen. Was hat das, was ich erlebe, mit Gott zu tun?, ist so eine Frage. Habe ich mein Glück, meine Gesundheit, meine Kräfte eigentlich selbst gemacht?, ist eine andere. Oder Krankheit – ist das blindes Schicksal oder mehr?

 

Man darf sich der Welt nicht überlassen. Dann geht man unter. Leben heißt fragen, suchen, sich erkennen. Sensationen machen eher taub. Fragen hellhörig. Gott ist nie sicher, aber immer möglich. Kein Tag versteht sich von selbst. Immer ist da ein Hauch von Wahrscheinlichkeit, als könne Gott beteiligt sein an dem, was mir heute widerfährt. Das klingt etwas keck, ist aber so. Wie wenig mache ich selbst, wie viel wird mir gegeben. Da heißt es: suchen, still suchen, für sich suchen ohne laute Töne. Vielleicht… vielleicht ist Gott mir ja viel näher, als ich oft meine.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

13.06.2019
Michael Becker