Exodus – zum Welttag des Meeres

Wort zum Tage
Exodus – zum Welttag des Meeres
Wort zum Tage
22.09.2020 - 06:20
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Am Anfang ziehen alle mit. Voller Hoffnung. Voller Optimismus. Eine starke Gemeinschaft, die die Herausforderung annimmt getreu dem Motto: Wir schaffen das. Und zwar gemeinsam! Alle packen mit an: Bereit zum Verzicht. Weil am Ende ein großes Ziel steht, das alle erreichen wollen. Also brechen sie auf. Und das Wunder geschieht: Ein neues Wir-Gefühl entsteht. Ein Gefühl der Zusammengehörigkeit, das längst verloren schien. Alte Tugenden werden wiederentdeckt: Rücksicht. Wertschätzung. Vertrauen. Nachsicht. Geduld. Weil jeder weiß: Hier gibt jeder sein Bestes! Applaus für den Einsatz. Doch nach und nach verfliegt der Zauber der Anfangswochen. Aus Wochen werden Monate und immer noch kein Land in Sicht. Aus Verzicht wird Entbehrung. Aus Vertrauen Unsicherheit. Aus Applaus Protest. Vorbei mit Nachsicht, stattdessen weiß jeder es plötzlich besser. Vor allem hinterher. Statt Aufbruchsstimmung Müdigkeit. Immer mehr Menschen wollen ihr altes Leben zurück. Das war nämlich besser. Und plötzlich kippt die Stimmung, kippt die Sorge für den Nächsten in Egoismus. Die Gemeinschaft zerbricht: hier die Protestler, da die Ängstlichen und vorneweg die Anführer, die leider den Kontakt zur Bevölkerung verloren haben. Das Ziel ist aus dem Blick geraten. Hat einfach zulange gedauert. Alles steht jetzt auf der Kippe.

Warum ich das erzähle? Weil andere es vor mir erzählt haben. Und selber erlebt und durchlitten. Es ist die uralte biblische Geschichte vom Auszug Israels aus Ägypten. Von Mose, der vorneweg läuft. Vom Meer, das sich teilt. Vom Volk, das hindurchzieht und 40 lange Jahre durch die Wüste wandern muss, ehe es geschafft ist. Das gelobte Land endlich erreicht. Die Zeit dazwischen ist hart. Es fliegen die Fetzen. Zweifel nisten sich ein. Die Gemeinschaft bekommt Risse. Die einen wollen nicht mehr mitmachen. Manchen geht die Puste aus. Andere wittern ihre Chance. Viele  verlässt der Mut. Wie lange noch? Ich kann nicht mehr. Ich will nicht mehr. Eine alte Geschichte?

Heute ist der Welttag des Meeres. Und ich denke an den großen Befreiungsmythos des Volkes Israel. Die Geschichte handelt davon, dass das Meer sich teilt und das Volk trockenen Fußes hindurchzieht – mitten durch die Gefahr. Sie erzählt auch, wie lange das ganze gedauert hat, viel länger als gedacht. Und: Dass es dabei nicht ging ohne Gebote, ohne Gemaule und Empörung, ohne Zweifel und Existenzangst, ohne Sehnsucht. Im Kern handelt die Geschichte von Gemeinschaft. Und ist es nicht bis heute so? Alleine packen wir das nicht. Nur gemeinsam.   

 

Es gilt das gesprochene Wort.