Langeweile

Wort zum Tage
Langeweile
25.09.2018 - 06:20
27.07.2018
Diederich Lüken
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„Mama, mir ist langweilig!“ Welches Kind hat das noch nicht gesagt, welche Mutter hat das noch nicht gehört! Wenn dann die Mutter verschiedene Vorschläge macht, sind sie auch nicht akzeptabel: „Räum doch mal deine Spielsachen auf! Oder trockne das Geschirr ab! Oder fege draußen den Plattenweg!“ Alles vergeblich. Noch schlimmer als die Langeweile ist offenbar die Familienarbeit. Langeweile ist eine verbreitete Kinderkrankheit. Gilbert Keith Chesterton, Erfinder des berühmten Pater Brown, meinte, spätestens mit zwanzig müsse diese Kinderkrankheit endgültig überwunden sein. Das ist sie aber in vielen Fällen nicht. Die Menschen langweilen sich beim Nichtstun, beim Warten, bei einer ungeliebten Tätigkeit oder bei Familienfeiern. Da zieht sich die Zeit und will einfach nicht vergehen. Wenn man nach - gefühlt - einer Stunde verstohlen auf seine Armbanduhr schaut, sind höchstens fünf Minuten vergangen. Das empfindet man in der Regel als belastend. Ganz anders ist es, wenn einem eine Tätigkeit oder eine Freizeitaktivität gefällt. Mit das höchste Lob, das man dann hören kann, lautet: Da verging die Zeit wie im Fluge. Das ist doch erstaunlich: Wenn die Zeit sich dehnt, ist das unangenehm, wenn sie wie ein Wind verfliegt, empfinden wir das als angenehm. Es müsste eigentlich genau umgekehrt sein. Denn die Zeit ist des Menschen kostbarstes Gut, mit dem man sorgsam umgehen muss. Wenn sie schnell vergeht, ist unwiederbringliche Lebenszeit schnell, ja, allzu schnell dahin. Wenn man hingegen Langeweile hat, dehnt sich die Zeit; das ist ein Zugewinn an Lebenszeit. Eigentlich könnten wir die Langeweile freudig begrüßen. Doch wie werde ich das lähmende Gefühl nutzlos vertaner Zeit los, wenn die Langeweile mich befällt? Es gibt sicherlich kein allgemein gültiges Rezept, aber es gibt einige Erfahrungen. Man kann die Zeit der Langeweile nutzen, indem man Beobachtungen anstellt. Menschen sind für Menschen von größtem Interesse, und es lohnt sich, sie genau in Augenschein zu nehmen. Eine andere Möglichkeit, der Langeweile Herr zu werden, besteht darin, innerlich zur Ruhe zu kommen und über sich und seine Zeit nachzudenken. Ich erinnere mich gerne: Ich besuchte eine alte Dame im Krankenhaus. Lesen konnte sie nicht mehr, und Fernsehen gab es damals nicht im Krankenzimmer. Ich fragte sie, ob ihr nicht langweilig sei. Sie antwortete: „Keineswegs. Ich habe so viele Erinnerungen, so viele Gedanken, so viele Gebete – mir wird niemals langweilig!“ Sie empfand ihre Zeit im Krankenhaus, es waren ihre letzten Tage! – als Gnade Gottes, und mit dem Psalmdichter konnte sie sagen: „Ich aber bete zu dir, Herr, zur Zeit der Gnade“ (Psalm 69,14).

 

Es gilt das gesprochene Wort.

27.07.2018
Diederich Lüken