Lene

Wort zum Tage

Gemeinfrei via Unsplash/ Freysteinn G. Jonsson

Lene
von Ulrike Greim
07.03.2023 - 06:20
01.02.2023
Ulrike Greim
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Es war diese eine Bemerkung von Kadyrow, dem tschetschenischen Staatschef, die ihr den Mund hatte trocken werden lassen. Als er sagte, dass er eine Rückkehr der russischen Truppen nach Ostdeutschland wolle. Der Abzug damals, 1993, sei ein Fehler gewesen. Beim deutschen Osten handele es sich bis heute eigentlich um russisches Territorium.

‚Die Russen wollen die DDR zurück.‘ Das war ein Stich hinten unten in ihrer Seele, wie ein Schlangenbiss. Lene wohnt zwar im Westen, bei Hildesheim. Der Brocken ist aber in Sichtweite, der Osten ganz nah.

Am nächsten Tag hat sie alle wichtigen Dokumente mit zur Arbeit genommen und eingescannt und in einer Cloud gespeichert. Nur zur Sicherheit. Falls der Russe bis Hannover will. Sie wollte nicht ohne dastehen. Nicht blauäugig sein. Vorsorgen.

 

Angst ist ein effektives Gift.

Beste Waffe im Krieg.

Wenig Aufwand, große Wirkung.

 

Aber klar, sie überlegt auch, ob das überreagiert war. Ob man nicht Vertrauen haben sollte. Nur – in was?

Was soll ich den Kindern sagen? Am besten natürlich nichts. Sie sollen sich sicher fühlen, wie in Abrahams Schoß. Es ist Aufgabe der Erwachsenen, die Welt sicher zu machen. Aber wie?

Den Kindern bringt Lene bei, dass alle da sind, ihnen zu helfen.

Als sie ihrem Sohn den Konfirmationsspruch aussuchen sollte, hat sie lange gegoogelt, und dann den hier genommen: „In der Welt – da habt ihr Angst. Aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ Jesus hat das gesagt. Ihr Sohn ist eher schmächtig, und hat öfter schon eins auf die Mütze gekriegt. Sie wollte ihm einen anderen Halt geben, als Muskeln. Einen tief drinnen.

Genau genommen aber hat Lene den Spruch für sich selbst ausgesucht. Gegen ihre Angst. Und sie hat sich gewünscht, die Pastorin möge ihn erklären, sagen, wie das geht – das Vertrauen in einen, der diese Welt durchschritten hat und durchgekommen ist. Der ihre Mechanismen überwunden hat, die Logiken des Krieges hinter sich gelassen. Bei dem all das nicht mehr greift, was ihr den Mund trocken macht.

Hat die Pastorin leider nicht.

Hat nur Rio Reiser zitiert: „Halt dich an deiner Liebe fest.“ Schön formuliert.

An der Liebe festhalten – dazu hat sie ein Gefühl. Liebe, die andere Macht, die die Welt überwinden kann. Ist es das?

Zumindest ahnt sie, dass das etwas austragen kann für ihr Leben. Und wünscht sich, dass es irgendwie reeller wird, materialisiert – diese Idee, es gebe eine Kraft, die diese Welt überwunden hat. Und wir haben Zugang zu ihr. Nenn sie ‚Jesus‘. Nenn sie ‚Liebe‘. Das kommt aufs Gleiche raus.

Sie würde gerne mit jemandem darüber reden. Wer könnte das sein?

So lange fährt sie zweigleisig: Wichtige Dokumente in der Cloud und Suche nach dem Anker in der Ewigkeit.

Es gilt das gesprochene Wort.

01.02.2023
Ulrike Greim