Über den Wolken

Wort zum Tage

Gemeinfrei via Unsplash/ Kaushik Panchal

Über den Wolken
von Pfarrerin Kathrin Oxen
22.04.2023 - 06:20
01.02.2023
Pfarrerin Kathrin Oxen
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„Allein für das Reimpaar „Jacke/Luftaufsichtsbaracke“ müsste man ihm den Hölderlin-Preis geben“, schrieb die Süddeutsche Zeitung über Reinhard Mey. Sein „Über den Wolken“ sei das „einzige gute deutsche Volkslied“ (Christian Petzold), ganz im Geist und Sinne der deutschen Romantik. Die schafft es, noch den Provinzflughafen Mariensiel bei Wilhelmshaven - wahrhaftig kein romantischer Ort - zu romantisieren. Reinhard Mey erwarb dort seinen Pilotenschein. Und schafft es in seinem Lied, diesen Flugplatz zu einem verzauberten Ort zu machen. Benzin in Pfützen ist kein Umweltproblem, sondern schillernde, spiegelnde Ablenkung vom Irdischen. „Über den Wolken / muss die Freiheit wohl grenzenlos sein“. Der elegische Ton, die Konjunktive und die zarte Vergeblichkeit des Wunsches, doch mitgeflogen zu sein, das alles ist zutiefst romantisch. Es ist von daher kein Wunder, wie populär dieses Lied über nun fast 50 Jahre geblieben ist.

Einen Ort, an dem es keine Ängste und Sorgen mehr gibt, über den Wolken, wo die Freiheit grenzenlos ist. Es ist die Sehnsucht nach dem Himmel, die Reinhard Mey besingt. Im Deutschen gibt es anders als im Englischen nur ein einziges Wort für diesen Bereich „Über den Wolken“. Im Englischen kann der Himmel sky sein, die Oberseite der Wolken, die bei jedem Billigflug zu besichtigen ist und über der Ängste und Sorgen keineswegs automatisch „nichtig und klein“ werden, nicht nur dann, wenn man zufällig unter Flugangst leidet.

Und der Himmel kann heaven sein. Ein Ort, an dem auch durch und durch säkularisierte Menschen irgendwie etwas vermuten, ein ungefähres Oben, eine Transzendenz, manchmal sogar diejenigen, von denen sie sich verabschieden mussten. „Über den Wolken“ ist viel mehr heaven als sky, ist grenzenlose Geborgenheit und grenzenlose Freiheit zugleich, etwas, das auf Erden meistens schlecht zusammengeht.

Wie kommen wir dahin? Kommen wir da überhaupt hin oder stehen wir unser Leben lang bloß im Nieselregen auf einem zugigen Flugplatz im Nordwesten? Reinhard Mey macht beides mit seinem Lied. Er stellt uns mit beiden Füßen auf die Erde und lässt uns die guten Dinge des Lebens genießen, zu denen der Duft von Kaffee uns lockt. Und lässt die Sehnsucht unter uns lebendig bleiben, dass es mehr gibt als nassen Asphalt, dass wir mitfliegen über die Wolken, in den Himmel hinein.

Es gilt das gesprochene Wort.

01.02.2023
Pfarrerin Kathrin Oxen