Vom Hüpfen und Hoffen

Wort zum Tage

Gemeinfrei via unsplash/ Cybèle and Bevan

Vom Hüpfen und Hoffen
von Pfarrerin Julia Rittner-Kopp
24.01.2024 - 06:20
29.12.2023
Pfarrerin Julia Rittner-Kopp
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Etwas mehr als 50 Quadratmeter, Parkettboden. Ein langer, heller Altbau-Flur. Hier werden wir einziehen.

Ich bin für zwei Stunden alleine in der frisch gestrichenen Wohnung, will noch mal was ausmessen, durchwischen, bevor die Möbel kommen. Hier werden wir also leben. Neue Stadt, neue Wohnung, neue berufliche Herausforderungen. Ich gehe von Raum zu Raum und träume mich in die Zukunft. Und auf einmal fange ich an zu hüpfen. So wie als Kind. Ich hüpfe im Wechselschritt von einem Ende des langen Flures zum andern. Umdrehen und wieder zurück. In diesem Moment spüre ich die Freiheit, die Möglichkeiten in allem, was so offen ist, so viel Raum, den wir beleben werden, der sich füllen wird…

Das war vor vier Jahren. Ein paar Wochen später sind wir eingezogen. Manchmal steh ich im Flur und mir fällt mein Hüpfen von vor vier Jahren ein. Ich habe gelesen, die Worte HOFFEN und HÜPFEN sind miteinander verwandt. Hoffen kommt von Hopen, Hopsen, Hüpfen. Im Englischen: to hope… Ich glaube, genau das war zu der Zeit der Grund meines Hüpfens. Hoffen. In Vorfreude. Mich hineinhoffen in ein neues Leben. Und dann war erst mal Schluss mit Hüpfen.

Pandemie. Kleine und große Probleme. Und der absolute Tiefpunkt: Unser Sohn stirbt. Schwerste, schlimmste Zeiten. Sie bleiben auf Schritt und Tritt und für immer mit dieser Wohnung verbunden. Seitdem wohnt die Traurigkeit mit uns hier. Und bleibt. Manchmal drückt sie mich zu Boden. Kein Gedanke an Hüpfen, Hoffen. Und doch…

„Häng dich an Gottes Bart“, hab ich in einem Roman (1) gelesen. Und den Kopf geschüttelt. Weil das so gar nicht meinem Bild von Gott entspricht - ein Mann mit Bart. Und trotzdem gefällt mir etwas daran.

In dem Buch rät das eine Ballettlehrerin ihrem jungen Tanzschüler. Beim Springen geht es nicht darum, möglichst hoch zu springen, sagt sie, sondern möglichst lange in der Luft zu bleiben. Wie soll das gehen?, will der Junge wissen. „Häng dich an Gottes Bart“, sagt sie. Aus dem Schüler wird der später weltberühmte Tänzer Rudolf Nurejew. Bekannt für Bühnenpräsenz und technische Perfektion.

Mich an Gottes Bart hängen… Ich lese das nicht nur als Tanz-Tipp. Hoffen - mich festmachen. Wenn nichts mehr sicher ist. Wenn ich den Boden unter den Füßen verliere. Wie kann ich weiterleben? Ich hänge mich an Gott. Mache mich am Himmel fest. Und springe. Nach oben. Ins Hoffen und Vertrauen.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Literatur zur Sendung:

  1. Colum McCann, Der Tänzer, Rowohlt-Verlag, Reinbek bei Hamburg, 6.Auflage Dezember 2003, S. 76.

 

29.12.2023
Pfarrerin Julia Rittner-Kopp