Weltalzheimertag

Wort zum Tage
Weltalzheimertag
Wort zum Tage
21.09.2020 - 06:20
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Wie fühlt sich Vergessen an? Es ist so, als ob einer das Seil kappt. Etwas fliegt weg: die PIN meiner Bankcard zum Beispiel: An der Kasse sind die Zahlen plötzlich weg. Der Geburtstag meiner Freundin: verflogen ohne einen Brief, ohne ein Zeichen: In Gedanken bin ich bei Dir. Einfach vergessen. Im Kalender an der Wand stehen nicht nur Geburtstage, sondern manchmal auch ein Kreuz hinter dem Namen. Wenn der Blick darauf fällt, durchzuckt es mich: Wie lange ist das her, dass dieser Mensch noch bei mir war? Wann habe ich zuletzt an ihn gedacht? Ich erschrecke, wie viel Zeit schon vergangen ist. Wie mein Leben einfach weitergegangen ist ohne den anderen. Und für einen Moment habe ich ein schlechtes Gewissen, dass das so ist. Den anderen hätte es sicher gefreut, dass es mir gut geht, aber: Ich habe Angst, diesen Menschen zu vergessen. Nicht mehr zu wissen, wie er aussah, wie seine Stimme klang. Es tut weh, zu erleben, wie Dinge, wie Menschen sich entfernen. Wie sie verschwinden – und ich sie nicht festhalten kann.

Was hilft dem Gedächtnis? In der Kirche sichtbare Zeichen: Brot und Wein beim Abendmahl. „Solches tut zu meinem Gedächtnis“, sagt Jesus den Jüngern am letzten gemeinsamen Abend. Brot und Wein als Zeichen der Erinnerung. Beides stand damals auf dem Tisch. Bis heute erinnern sich Menschen daran, was war, nehmen den Faden wieder auf. Ein Stück Gegenwart im Alltag, ein Zeichen, dass wir einander nicht vergessen und das Seil nicht reißt.

Brot und Wein – für Menschen, die an Alzheimer erkranken, sind solche Zeichen ein Anker im Meer des Vergessens. Ich habe das erlebt, wenn ich als Pfarrerin mit Heimbewohnern Abendmahlsgottesdienst feierte: Einer stand einfach auf und lief umher. Eine Bewohnerin weinte. Viele waren unruhig, andere schliefen. Bei der Austeilung des Abendmahls machte es Klick: Mit dem Geschmack von Brot und Wein oder Saft auf der Zunge stellte sich Ruhe ein, ein Gefühl der Geborgenheit, ein Moment des Erkennens. Es ist ein Akt der Vergewisserung: Gott ist da – ich bin es auch.

Heute ist Weltalzheimertag. Brot und Wein sind Zeichen der Erinnerung: klein und bescheiden, ein Vorgeschmack der Ewigkeit. Sie zeigen: Die Verbindung ist da. Sie ist nie gerissen. Nähe bleibt. Sie wird nicht aufgekündigt, weil wir vergessen. Wir bleiben in göttlichem Kontakt: mit denen, die sich entfernen, auch mit denen, die endgültig gegangen sind. Ein Zeichen genügt: ein Bild, ein Brief, ein Klang, ein Wort, ein Stück Brot, ein Schluck Wein, ein Blick auf den Kalender - ein Zeichen: Du bist nicht vergessen. Du bist nicht allein.

Es gilt das gesprochene Wort.