Weltgericht

Wort zum Tage
Weltgericht
12.08.2019 - 06:20
13.06.2019
Barbara Manterfeld-Wormit
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„Nie war es frustrierender ein guter Mensch zu sein“, lese ich im Newsletter eines Kollegen: „Unser Gewissen ist chronisch angenagt. Einkaufen? Essen? Reisen? Jeden Tag ist Weltgericht.“ Der Satz sitzt. Ich fühle mich augenblicklich angesprochen: Ich versuche, ein guter Mensch zu sein – sprich: umweltbewusster zu leben. Beim Einkaufen trage ich nicht nur Baumwollbeutel wie selbstverständlich bei mir – ich verzichte auch – fast – immer auf Plastiktüten für Obst und Gemüse und zücke stattdessen die wiederverwendbaren Plastiknetze. Unser Auto steht meistens ungenutzt vor der Haustür. Für die Strecke nach Verona buchten wir keine Flüge, sondern nahmen den Zug. Und bei der Haarwäsche versuche ich mein Glück statt mit Shampoo und Spülung nun mit Haarseife, die einfach nicht schäumen will. Für einen kurzen Moment gibt mir das ein gutes Gefühl: Ja, wenn wir uns alle ein bisschen umstellen, denke ich, dann können wir es schaffen. Bis ich dann die Bilder sehe von der brennenden Arktis und Zahlen lese vom Wasser-pro-Kopf Verbrauch hier in Deutschland. Bis ich am Welterschöpfungstag erfahre, dass wir ab sofort – seit dem 29. Juli – auf Pump leben, weil die Ressourcen der Erde für dieses Jahr bereits verbraucht sind. Dann fühle ich mich schlecht, und die Bilder von brennenden Wäldern und vertrockneten Seen fühlen sich an wie die Hölle von damals. Und das lächerliche Stück Haarseife wie ein krampfhafter Versuch, mich reinzuwaschen – ein peinliches Ablassbriefchen, mit dem ich versuche, mein Gewissen frei zu kaufen als deutsche Europäerin, die im Wohlstand lebt und die Wahl hat zwischen Bahn oder Flugzeug, Benziner oder Elektrofahrzeug, veganer Kosmetik und Biokost, wo andere kein Trinkwasser haben. Dann begreife ich: Ablass gilt nicht. Auch heute nicht – 500 Jahre nach Luther. Es gibt keine Werkgerechtigkeit, keinen Sündenerlass. Auch nicht bei totalem Verpackungsverzicht. Aber – so macht mir der Kollege in seinem Newsletter Mut – die gute Nachricht lautet: „Wir schulden Gott nichts mehr.“ – Wir können „mit gutem Gewissen ein schlechtes haben.“ Als ich das lese, wird mir leichter ums Herz. Ich will mich nicht frustrieren lassen in meinem Bemühen, ein besserer Mensch zu werden. Ich versuche trotzig weiter, meine Locken mit Haarseife einzuschamponieren und weiß dabei doch: Das reicht nicht. Ich bleibe der Schöpfung etwas schuldig. „Simul justus et peccator“ hat Luther das damals genannt – als hätte er schon geahnt, was unser Gewissen im Jahr 2019 umtreibt: Umweltsünder sind wir und doch gerechtfertigt. Ich glaube: Wir retten nicht die Welt; und vertraue darauf, dass Gott Erbarmen hat mit seiner ganzen Schöpfung – am Ende auch mit uns, die wir nicht lassen können vom Überfluss.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

13.06.2019
Barbara Manterfeld-Wormit