Die Friedenstafel Gottes

Wort zum Tage

Gemeinfrei via unsplash/ Al Elmes

Die Friedenstafel Gottes
von Pfarrerin Melitta Müller-Hansen
02.05.2024 - 06:20
17.03.2024
Pfarrerin Melitta Müller-Hansen
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Gott wird allen Völkern auf dem Berg Zion ein üppiges Festmahl bereiten. Es wird erlesene Weine und würzige Speisen geben. Gut gelagerte, alte Weine.“ (Jesaja 25,6 ff) So beginnt in der Bibel die Friedensvision eines Propheten aus Israel. Zu einer Zeit, da die Großmächte sein Land verschlingen wollen, träumt Jesaja den Traum von der Friedenstafel Gottes, an der alle Platz nehmen.

Mir sind seine Worte an Ostern das erste Mal begegnet, ich kannte diese Friedensvision bislang nicht. Sie geht mir nicht mehr aus dem Sinn. Alle Völker sitzen an Gottes langer Tafel. Ein richtiges Gelage. Der Wein fließt in Mengen, Teller und Schüsseln sind übervoll, die Tischplatte biegt sich. Wie auf einem Gemälde von Renoir.

Und dann? „Gott entfernt den Trauerschleier, der allen Völkern das Gesicht verhüllt. Er entfernt das Tuch, das alle bedeckt. Er wischt die Tränen ab von allen Gesichtern.“ Unter der Feststimmung kommt erst mal etwas anderes ans Licht. Tränen, Klagen. Die Seele ist zart, verletzlich, weiß dieser biblische Prophet, der wie ein Seelsorger vom Frieden träumt. Die Seele kann hängenbleiben in alten Geschichten. Immer wieder kreisen über alte Wunden, die sich nicht schließen wollen. Oder so fein vernarbt sind, dass sie gleich wieder aufreißen bei der leisesten Berührung. Sogar beim schönsten Fest, im größten Glück.

Ein ganzes Volk kann so verwundet sein. Alle Völker sind es, sagt Jesaja. Und offensichtlich sitzt an der Friedenstafel niemand, der daraus Profit schlagen will. Der seinem Volk einredet – wir müssen unsere Toten rächen. Wir brauchen ein Großreich, damit uns niemand wieder weh tun kann. Ein Bewaffneter hat hier keinen Zugang, denn mit einer Waffe in der Hand und mit Gedanken des Vernichtens kann er nichts mehr spüren.

An der Friedenstafel sitzen Trauernde, die weinen. Das macht weich. Das macht empfindsam. Man spürt sich. Und man spürt die Trauer der anderen. Ein heiliger Moment. Dann weicht der Trauerschleier – weg damit. Ein göttlicher Moment. Und was sehen wir? Was sehe ich um mich herum? Gesichter. Menschen. Sie lachen wie ich. Sie genießen wie ich. Wir bedienen einander, reichen die Schüsseln weiter. Niemand spielt sich auf. Die Kleinen, Unterdrückten, Schutzlosen sind jemand. 

Und dann wird Gott den Tod für immer verschlingen, schreibt der Prophet. Das ist der Gipfel. Das gefällt mir. Wie in einem riesigen Maul verschwindet alles, was uns am Zusammenleben hindert. Nur nicht zu klein träumen vom Frieden!

Es gilt das gesprochene Wort.

17.03.2024
Pfarrerin Melitta Müller-Hansen