Einen Blumenstrauß vor die Füße oder Heiliger Zorn

Wort zum Tage
Einen Blumenstrauß vor die Füße oder Heiliger Zorn
22.10.2020 - 06:20
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Fast auf den Tag genau vor acht Monaten im Landtag von Thüringen: Eine Frau geht nach vorne zum gerade neu gewählten Ministerpräsidenten. Sie hat einen Blumenstrauß in der Hand. Der war sicher bestimmt für den anderen Kandidaten, für ihren Kandidaten. Nun bekommt der Gewinner dieses Tages die Blumen, - auf eine Weise, die er und dieses Land nicht vergessen werden. Susanne Hennig-Wellsow knallt den Glückwunsch-Blumenstrauß dem Politiker vor die Füße, dreht sich um und geht auf ihren Platz zurück.

Die andere Geschichte ist schon länger her, aber ebenso unvergessen. 1968, Schauplatz der Bundestag in Bonn. Kurz vor Beginn der Sitzung verschafft sich eine junge Frau  Zugang zum Platz des Bundeskanzlers und gibt ihm eine schallende Ohrfeige. Beate Klarsfeld, eine Journalistin, die sich für die Aufarbeitung der NS-Verbrechen einsetzt. Waren der Worte genug gewechselt? Musste  eine physisch wie psychisch wirksamere Geste her? 

So unterschiedlich die Umstände und die Frauen sein mögen - ihre Gesten verbindet etwas. Zorn ist darin eingewickelt. Zorn über verdeckten Rechtsextremismus, über Schulterschlüsse und politisches Taktieren. Der Kanzler, der die Ohrfeige bekam, stand ja für viele seiner Generation. Dass Ex-Nazis immer noch oder schon wieder am Ruder sind, regieren, Geschäfte machen - dieser Zorn der jungen Generation traf ihn mit voller Wucht. In Thüringen wiederum hatte sich ein Politiker mit den Stimmen einer Partei wählen lassen, die gerne ins rechtsextreme Horn bläst, es gebetsmühlenartig aber öffentlich immer wieder bestreitet.

Die dritte Zorngeschichte steht in der Bibel. Jesus betritt den Vorhof des Tempels in Jerusalem und sein Zorn entflammt über das System Religion ist gleich Opferkult ist gleich Geschäfte machen ist gleich mit Gott Handel treiben. Beten, auf Gnade hoffen, Vertrauen – das geht anders. Jesus schmeißt die Tische der Händler um! „Dies Haus soll ein Bethaus sein! Ihr habt es zur Räuberhöhle gemacht!“

Man kann achselzuckend fragen: Was richten solche Gesten schon aus? Oder man hält es mit Papst Gregor dem Großen, Ende des 6. Jahrhunderts, der gesagt hat:

 „Vernunft stellt sich mit größerer Wucht dem Bösen entgegen, wenn Zorn ihr dienstbar zur Hand geht." Zorn eingewickelt in Blumen, in eine Ohrfeige,  in die sogenannte Tempelreinigung. Die Vernunft braucht den Zorn. Und  kluge Stoppschilder gegen das Böse.