Überall Licht

Überall Licht
Pfr. Ulrich Haag
04.12.2010 - 23:10

Mache dich auf und werde Licht... Dieser kurze Bibelvers stammt aus dem Buch des Profeten Jesaja, und als hätten sie ihn gehört und zu ihrem Wahlspruch erklärt, so schmücken sich dieser Tage die Städte. Lichterketten überspannen die Straßen, aus den Fenstern grüßen leuchtende Engel und Sterne. In den Blumenkästen blinken Girlanden. Und manche Balkone verwandeln sich in wahre Kunstwerke. Ich stehe unten im Schnee und staune. Über Tag ist das hier eine Hochhaussiedlung. Am Abend verwandelt sie sich in eine Märchenlandschaft. Rentiere, Schlitten Weihnachtsmänner und eine Himmelsleiter. Die Nacht ist die schönere Tageszeit, jetzt im Advent.

Ich gehe ein paar Schritte weiter, schaue mich noch einmal um. Ob die Lichtkünstler aus dem vierten Stock wohl selbst etwas von ihrem Kunstwerk haben? Von innen sieht man wahrscheinlich nur ein Gewirr aus Kabeln und Lämpchen. Doch wer seinen Balkon auf diese Weise schmückt, will es sich in erster Linie auch nicht selbst schön machen, sondern anderen. Denen die draußen stehen. Zeit, weiterzugehen auf meiner abendlichen Runde. Licht in allen Häusern, wohin mein Auge fällt. (Einige Schritte gehen, Foto rückt aus dem Bildausschnitt.) Wie groß doch die Bereitschaft ist, anderen das Leben hell zu machen. Mache dich auf und werde Licht...

Selber zum Licht werden, darum geht es im Advent. Oft ist das einfach. Manchmal geradezu banal. Langsam machen, obwohl die Zeit eigentlich drängt. Mit entspanntem Gesicht in der Schlange stehen und der Kassiererin noch etwas Nettes sagen, wenn sie das Wechselgeld rausgibt. Anderen Zeit lassen und mir Zeit für andere nehmen. Zuhören, wenn jemand etwas auf dem Herzen hat. Einen Kaffee trinken und noch einen. Dabei bleiben und aushalten, wenn etwas schwer ist. Wer das fertig bringt in der kurzatmigen Vorweihnachtszeit, verbreitet wirklich Licht um sich her.

Ich durchquere die Bahnunterführung und stehe am Eingang der Fußgängerzone. Der Wind treibt eine Plastiktüte vor sich her. Vor einem der Schaufenster liegt ein Stück Pappkarton, ist am Boden festgefroren. Dort hat über Tag ein Bettler gesessen. Natürlich haben die Passanten heute etwas mehr Geld in seinen Becher geworfen. Damit es am Abend reicht, für eine einfache Unterkunft. Ein junges Paar hat sogar einen heißen Kaffee aus der Bäckerei nebenan geholt. Sie sind in die Hocke gegangen vor dem auf der Pappe. Ein paar Worte. Ein Lächeln, ein Blick. Mache dich auf und werde Licht. Bei so viel Licht in unseren Städten sollte kein Obdachloser fürchten müssen, dass er in der kommenden Nacht erfriert.

Ich mache mich auf den Weg zurück. Schneegriesel prickelt auf meinem Gesicht und im Stillen danke ich denen, die sich in diesen Wochen kümmern. Die ehrenamtlich im Cafe Platte mitarbeiten, wo man für kleines Geld eine heiße Suppe bekommt. Wo man sitzen und bleiben kann, wenn man sonst keine Bleibe hat. Und ich bin dankbar dafür, dass ich einen Ort habe, zu dem ich gehöre. Dass da jemand ist, der auf mich wartet. Ich schließe die Tür auf, hänge die Jacke an den Haken und gehe ins Wohnzimmer. Vor dem Fenster hängt unser Adventskranz. Gut sichtbar brennt daran die erste Kerze. Ich denke an die, die draußen vorbeigehen. Auf dem Tisch liegt die Bibel. Aufgeschlagen beim Profeten Jesaja im 60. Kapitel: Mache dich auf und werde Licht, denn dein Licht kommt.