Das Wort zum Sonntag - Neue Nachbarn

Das Wort zum Sonntag - Neue Nachbarn
Pastorin Annette Behnken
13.12.2014 - 23:35

Bei uns in der Kirchengemeinde leben Flüchtlinge. Wie in tausend anderen Orten Deutschlands. Eine von ihnen ist Venus. Sie ist 32 und kommt aus Teheran. Es ist ein gutes Jahr her, dass wir uns kennengelernt haben. Das war kurz nach ihrer Flucht. Sie ist mit ihrem Vater zusammen aus dem Iran geflohen; mit viel Angst, dass sie doch noch festgenommen werden. Hier in Deutschland dann die Erleichterung, dass sie es geschafft haben. Und dass sie ihre Mutter und ihren Bruder wieder sehen konnte, die schon ein Jahr vorher geflohen waren.

 

Vor einem Jahr saßen dann Venus und ihre Familie bei mir zu Hause, wir haben uns halb mit einem Dolmetscher, halb auf Englisch unterhalten. Über ihr Leben in Teheran, die Flucht, ihr Leben hier in Deutschland.

 

Venus in Jeans, mit kurzen Haaren, modern, hübsch, klug; sie hat gerne in Teheran gelebt, es ist ihre Heimat, da ist sie geboren, aufgewachsen, hat da studiert und gearbeitet, als Umwelt-Technikerin.

 

Auf einmal hat sich alles geändert, ihr ganzes Leben. Das war, als Venus‘ Mutter und Bruder Christen geworden sind – damit galten sie in diesem streng islamischen Land als abgefallen. Das hieß: verbotene Treffen mit anderen Christen. Heimliche Gottesdienste. Das hieß Verfolgung durch die Regierung, Verhaftungen, wenn so ein Treffen oder so ein Gottesdienst aufgeflogen sind. Und also hieß es dann schließlich auch Flucht. Venus Mutter und Bruder mussten den Iran verlassen. Venus selbst und ihr Vater sind geblieben. Zunächst. Sie waren ja keine Christen. Venus sagt, dass sie schon irgendwie an Gott geglaubt hat, aber so richtig zu Hause war sie in keiner Religion. Da geht‘s vielen Iranern offenbar genauso wie vielen Deutschen.

 

Aber dann wurde in ihr Haus in Teheran eingebrochen. Und das nicht nur einmal. Immer wieder ist alles durchsucht worden. Befragungen, wo die Mutter und der Bruder sind. Ihr wurde verboten, weiter als Wissenschaftlerin an der Uni zu arbeiten, an die Wände der Universität wurde ihr Name geschmiert zusammen mit üblen Beschimpfungen. Und dann ist sie mitten in der Nacht von mehreren bewaffneten Männern im Auto angegriffen worden. Und hat sich sagen hören: "Jesus, hilf mir!" Das fand sie selbst völlig erstaunlich. Das kam einfach so aus ihr raus. Mit dem Kopf, sagt sie, konnte sie das gar nicht verstehen. Aber im Herzen war es ganz klar. Kurz darauf dann die Flucht nach Deutschland.

Wenn wir uns jetzt treffen, können wir uns inzwischen ganz gut ohne Dolmetscher unterhalten, ein bisschen deutsch, ein bisschen englisch. Vor zwei Wochen hat ein Kollege Venus in den Konfirmandenunterricht eingeladen. Da hat sie auch ihre Geschichte erzählt und die Konfirmanden haben gebannt zugehört. Sie sagt, es war nicht ihre Entscheidung, hier zu leben, es ist ihr Schicksal. Und dass es ihr gut geht damit. Trotz der Sehnsucht nach Teheran. Sie staunt jeden Tag über das viele Grün hier und sagt, die deutschen Menschen seien "very nett". Jeden Abend geht sie zum Deutschkurs. Aber völlig offen ist, wie es beruflich weitergehen kann. Die Papiere über ihre Universitäts-Abschlüsse hat sie in Teheran nicht ausgehändigt bekommen.

 

Die Begegnungen mit Venus und ihrer Familie machen so klar, dass Integration jenseits von miserablen Wohncontainern und jenseits von Deutschsprachzwang in den eigenen vier Wänden stattfindet. Integration braucht einen vernünftigen politischen Rahmen auf der Basis von Vertrauen und Respekt. Vor allem aber braucht es Begegnung. Uns erzählen, gegenseitig, unsere Lebensgeschichten und Glaubensgeschichten, unsere Schicksalsschläge und das, was uns Hoffnung macht. Das sind dann Begegnungen, die wertvoll sind für beide Seiten, und die meinen Glauben und meine Sicht auf die Welt bereichern.

 

Ich wünsche Ihnen einen schönen dritten Advent.