Totalschaden

Totalschaden
Das Wort zum Sonntag von Pfarrer Dr. Wolfgang Beck
26.09.2015 - 23:05

Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer,

als ich gestern in meinen alten Golf gestiegen bin, dachte ich schon: wenigstens fährst du einen Benziner und keinen Diesel.

Klar, die Empörung ist in dieser Woche groß und wird uns wohl weiter beschäftigen: Wie kann einer der größten Autobauer, ein so wichtiges Wirtschaftsunternehmen mit so miesen Tricks agieren. VW steht in dem Skandal um die Betrügereien bei seinen Dieselfahrzeugen wie ein Schüler mit hochrotem Kopf da, der sich bei Tricksereien in der Klassenarbeit hat erwischen lassen. Doch ganz so harmlos ist es eben nicht, auch wenn niemand unmittelbar an Leib und Leben bedroht war: Fachleute befürchten, dass aus dem Erdbeben in Wolfsburg – und möglicherweise auch anderswo - weitreichender Schaden für die deutsche Volkswirtschaft entsteht. Betroffen werden davon Menschen sein, die mit den Betrügereien nichts zu tun hatten. Da ist die Empörung groß – zu Recht! Ein Bekannter von mir hat auf Facebook geschimpft, dass es endlich in den Studienplänen der Manager an den Universitäten Seminare für Wirtschaftsethik geben müsse. Dann würden diese Herrschaften endlich lernen, was sich gehört und was eben einfach unanständig ist. 

Stimmt einerseits: lügen und betrügen - das gehört sich nicht, es ist moralisch verwerflich und peinlich! Aber wenn man für diese Erkenntnis ein Hochschulseminar benötigt, dann gibt es da wohl ein umfassenderes Problem. Denn hier geht es nicht nur darum, Einzelnen auf die Finger zu klopfen.

Die entscheidende Frage ist doch: Ist das, was da an Trickserei entlarvt worden ist, nicht auch ein Indiz für eine Wirtschaft, in der ausnahmslos alles durch die Logik des „Immer mehr“ und eine atemberaubende Maßlosigkeit bestimmt ist?

Diese grundlegenden Probleme lassen sich am Wolfsburger Konzern wie unter einer Lupe beobachten: ein Konzernchef mit einem Jahresgehalt von über 15 Millionen Euro, eine mächtige Gewerkschaft, die mit ihrem Einfluss kaum mehr korrigierend wirkt und das gemeinsame Unternehmensziel, mit aller Kraft weltweit größter Automobilproduzent zu werden. All das zeigt klar: Was in Boomzeiten unhinterfragt als Gesamtkunstwerk gefeiert wird, ist in der Krise auch ein Gesamtproblem.

Deshalb ist es überfällig, ehrlich und ungeschönt die tieferliegenden Probleme zu benennen. Die liegen für mich in dem kollektiven und breit akzeptierten Verdrängen unserer Gesellschaftsordnung. Denn deren kluge Väter und Mütter haben uns – inspiriert durch die christliche Soziallehre – ins Stammbuch bzw. ins Grundgesetz geschrieben, dass wir gerade nicht in einem kapitalistischen System leben. Wir leben nicht in einer Marktwirtschaft, sondern in einer Sozialen Marktwirtschaft! Das ist ein großer, ein sehr großer Unterschied! Er macht deutlich, dass wirtschaftlicher Erfolg nicht nur Wohlstand und Stolz begründet, sondern vor allem verantwortliches Denken.

Die Krise bei Volkswagen, deren Auswirkungen noch gar nicht abzusehen sind, kann deshalb der Punkt zu überfälliger Korrektur sein, weil die wertvollen Aspekte der Sozialen Marktwirtschaft mehr und mehr an den Rand gedrängt oder ganz vergessen worden sind: Wachstum und Gewinn, Reichtum und Besitz sind keine Werte an sich, die nicht hinterfragt werden dürften. Sie haben den Menschen zu dienen und ziehen Verantwortung für andere nach sich. Und darüber lohnt es sich nachzudenken und dann etwas zu verändern, für uns alle. Nicht nur, wenn sie sich in diesen Tagen am Steuer ihres VW-Diesels vermutlich etwas merkwürdig fühlen.

Guten Abend!