Bild: Jan Brueghel II
Sie haben den Herrn weg genommen!
Maria Magdalenas Ostergeschichte nach Johannes
28.04.2019 08:35
Sendung nachlesen:

Maria Magdalena:

Und wieder hat er sich gejährt, der Tag der Tage. Mit ihm kehrt Ratlosigkeit in meinen Kopf zurück. „Sie haben den Herrn weggenommen“, will ich mich jedes Jahr wieder empören. „Ich weiß nicht, wohin sie den Toten gebracht haben!“ Am liebsten würde ich losheulen, aber das verbiete ich mir. Oft genug habe ich gehört, dass es keinen Grund zum Jammern gebe. Gott hat den Tod besiegt! Heißt es offiziell. Er habe doch alle Tränen abgewischt, wird behauptet. „Für immer?“ frage ich dann, mit einem dicken, salzigen Kloß im Hals. „Ein für alle Mal?“

 

Am ersten Tag der Woche kommt Maria Magdalena früh, als es noch finster war, zum Grab und sieht, dass der Stein vom Grab weggenommen war. Da läuft sie und kommt zu Simon Petrus und zu dem andern Jünger, den Jesus lieb hatte, und spricht zu ihnen: Sie haben den Herrn weggenommen aus dem Grab, und wir wissen nicht, wo sie ihn hingelegt haben.

(Joh 20,1f )

 

Petrus:

Ich weiß sofort, wer da klopft: Maria aus Magdala. Ich erkenne dieses energische Pochen, auch wenn ihre Hand schon lange nicht mehr so gut gepolstert ist wie früher. Die Frau hat schon an unsere Pforte gehämmert, als das Tor noch eine einfache Holztür war. Immer hat sie Forderungen gestellt. Immer hat sie gemeint, sie sei in unserer Kirche zu kurz gekommen, als die Ämter verteilt wurden. „Apostelin!“ So wollte sie genannt werden, genau wie alle anderen aus dem engsten Kreis um den Herrn.

 

Maria Magdalena:

Gut, dass es Johannes ist, der mir öffnet. Der Jünger, den Jesus liebhatte, gewinnt immer noch jeden Wettlauf gegen Petrus. Johannes wirkt größer als früher, so als sei er erst nach Jesu Tod erwachsen geworden. Er überragt mich um einen ganzen Kopf. Bin ich wirklich inzwischen so geschrumpft?

 

Johannes:

Als ich Maria sehe, erinnert mich die Situation sofort an den Ostermorgen.

Die Freundin und ich standen uns mit verweinten Augen gegenüber. Jesus war tot. Aber an diesem Morgen behauptete Maria, irgendjemand habe unseren Toten aus dem Grab verschwinden lassen. Weggetragen hätten sie Jesus, und sie wisse nicht, wohin sie den Herrn gelegt hatten. Es klang merkwürdig, was sie da sagte. Aber noch merkwürdiger war, dass ihre Botschaft Erleichterung in mir auslöste. Jesu Grab war leer? Irgendwie beflügelte diese Vorstellung eine unaussprechliche Ahnung in meinem Herzen. Am liebsten wäre ich sofort zum Friedhof gerannt, um nachzuschauen. Aber mussten wir diese Neuigkeit nicht erst Petrus verraten?

 

Da gingen Petrus und der andere Jünger hinaus, und sie kamen zum Grab. Es liefen aber die beiden miteinander, und der andere Jünger lief voraus, schneller als Petrus, und kam als Erster zum Grab, schaut hinein und sieht die Leinentücher liegen; er ging aber nicht hinein.

(Joh 20, 3-5)

 

Maria Magdalena:

Urkomisch war er, dieser Wettlauf! Zwei völlig ungleiche Konkurrenten gingen an den Start: Ein junger, drahtiger Athlet gegen einen ältlichen Klotz.

Sobald der Abstand zwischen den Kandidaten allzu groß wurde, hopste Johannes herum, machte ein paar Kniebeugen zur Lockerung, oder trippelte ein paar Schrittchen im Kreise, um Petrus die Chance zum Aufholen zu geben. Trotzdem kam er als Erster am Grab an. Er spähte auch noch vor dem keuchenden Petrus vom Garten aus ins Innere: Leinentücher lagen dort unordentlich herum, sagte er später.

In die Höhle hinein zu gehen, hat er sich noch nicht getraut.

 

Johannes:

„Lass ihm ruhig den Vortritt,“ dachte ich damals. Petrus war als Erster von Jesus berufen worden, er sollte auch als Erster bezeugen, dass unser Herr auferstanden war.

 

Petrus:

Den letzten Satz hätte Johannes besser nicht gesagt. Er reißt eine alte Wunde auf. Ich sehe es in den Augen der Magdalena böse aufblitzen. Ich weiß genau, was diese Frau jetzt denkt: „Aber die erste Osterzeugin war doch ich!“, jault es in ihrem Inneren auf. „Ich war als erste am leeren Grab, nicht ihr!“

Es geht ihr immer noch um die alte Rechnung, und ich bin es, der sie bezahlen soll.

 

Mir war zwar etwas mulmig zumute, als ich die Höhle betrat, das gebe ich zu. Aber dann sah ich, dass das Grab tatsächlich leer war und dass da drinnen ganz sicher kein Feind auf uns wartete. Ich faltete die Tücher zusammen und legte sie an Ort und Stelle; das Schweißtuch getrennt von den Gewändern.

 

Ein paar Stücke Stoff, mehr nicht. Johannes murmelte etwas von „Indizien“. Was meinte er? „Indizien“ für einen Grabraub?

Jesus sei auferstanden, wie die Schriften es vorausgesagt hätten, sagte er dann. Was sollte das heißen? „Auferstanden“. Wer hätte an diesem Morgen schon erfassen können, was das hieß?

 

Maria Magdalena:

„Und?“ frage ich den Nachfolger des Rabbi. „Wann hast Du es begriffen? Seit wann ist dir klar, was das ist, „auferstanden“?

Was sagst du den Brüdern in deiner Gemeinde, wenn sie dich dasselbe fragen wie ich?“

Selbstgefällig werde ich von dem apostolischen Duo aufgefordert, mich im Abstand von zwei Schritten vor den Männern auf einem Polster niederzulassen. Wenn dieses Sitzkissen nicht wäre, könnte man mich für eine Dienerin halten, die den hohen Herren die Füße waschen soll.

Ein komisches Dreieck sind wir geworden, die Herren Apostel und ich. Es hat keine drei gleichen Seiten mehr, sondern zwei fast parallellaufende Schenkel, die die dritte Seite kurz und auf Abstand halten. Ist das alles, was von Jesu Vermächtnis geblieben ist?

 

Johannes:

Schon damals, am Ostermorgen wurde Maria das Unbehagen nicht los, das ihr der große Verlust bereitet hatte. Es zog sie vom Grab weg in den Garten. Was dort mit ihr passierte, gehört wieder zu den Merkwürdigkeiten, den unlösbaren Rätseln.

 

Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben. Und als sie das sagte, wandte sie sich um und sieht Jesus stehen und weiß nicht, dass es Jesus ist. Spricht Jesus zu ihr: Frau, was weinst du? Wen suchst du? Sie meint, es sei der Gärtner, und spricht zu ihm: Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir: Wo hast du ihn hingelegt? Dann will ich ihn holen.

(Joh 20,13-15)

 

Johannes:

Der Gärtner! Hat sie gedacht.

Sie meinte, mit dem Gärtner zu reden, dabei war es Jesus selbst, der ihr gegenüberstand. Ich hätte sofort gewusst, wer der war, den kein Gärtner mehr wegtragen, keine Frau mehr holen und einbalsamieren musste, um ihn sich zu bewahren. Sie hatte ihn im Grab gesucht, er ließ sich im Garten finden. Sie rief nicht nach ihm, aber er rief nach ihr.

 

Spricht Jesus zu ihr: Maria!

(Joh 20,16)

 

Maria Magdalena:

Seine Stimme: Vertraut, unverwechselbar.

 

Da wandte sie sich um und spricht zu ihm auf Hebräisch: Rabbuni! Das heißt: Meister!

(Joh 20,16)

 

Petrus:

Ich weiß genau, was Maria jetzt sagen wird. Ein Dutzend Mal hat sie das schon vorgebracht, vor mir, vor der ganzen Gemeinde, vor uns Aposteln, immer wieder dieselbe alte Leier, dieselbe, protzige Behauptung: „Mir ist der Auferstandene zuerst erschienen, die erste richtige Osterzeugin bin ich“! Auch diesmal trumpft sie wieder damit auf. „Ihr habt nur sein leeres Grab zu sehen bekommen, ich sah ihn selbst.“

Na und? Geht es mir durch den Kopf, aber ich halte mich zurück. Am liebsten würde ich ihr vor den Kopf werfen, dass sie sich dieses Vorzugs leider so gar nicht würdig erwies! Die Gute sah unseren Herrn persönlich, verwechselte den Mann aber leider mit einem Gärtner!

 

Johannes:

Das Fatale war gar nicht diese witzige Verwechslung, sondern, dass Maria ihre Gefühle nicht in den Griff bekam...

 

Maria Magdalena:

Ich wollte unserem Meister direkt in die Arme fliegen, wie einem verloren geglaubten Geliebten, der unerwartet zurückgekehrt ist.

 

Johannes:

Ganz für sich wollte sie ihn haben, die Arme um ihn schließen und nie, nie wieder loslassen. Ganz allein und für sich beanspruchte sie ihn, ihren Rabbi.

 

Petrus:

Dazu ist unser Herr aber nicht auferstanden!

 

Maria Magdalena:

Ach nein? Gehörte das Glück seiner Schwester aus Magdala nicht zu seinem himmlischen Auftrag? Seit Jahren frage ich mich. Woher die, die sich Apostel nennen, eigentlich ihr Exklusivwissen nehmen.

 

Spricht Jesus zu ihr: Rühre mich nicht an! Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater. Geh aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott.

(Joh 20,17)

 

Maria Magdalena:

Amen! Ich muss zugeben: Mit dieser Schroffheit hatte ich nicht gerechnet. Sie passte nicht zu meinem Rabbi. Jesus wich vor mir zurück, meine ausgestreckten Arme griffen ins Nichts. Dass eine Leere so wehtun kann!

Das Gesicht des Rabbi hatte sich in das des Gärtners zurückverwandelt.

 

Johannes:

Er konnte nicht bei uns bleiben. Er musste zu seinem Ursprung zurück.

 

Maria Magdalena:

Papperlapapp. Immer dieses Gerede vom Ursprung, vom Auftrag, vom himmlischen Wohnort eines Menschen mit warmen Händen. Damit will ich mich nicht länger abspeisen lassen. Ich gebe mich nicht mehr mit dem kühlen „Rühr mich nicht an!“ zufrieden, das Jesus mir zuhauchte.

 

Petrus:

Wie ein vertrocknetes Häufchen Elend hockt sie jetzt da. Wie ein kleines Mädchen, das vor ihren großen Brüdern steht und darum bettelt, zum Spielen mitgenommen zu werden. Und vor dieser Frau habe ich mich gefürchtet? Sie habe ich für gefährlich gehalten? Lächerlich. Maria wird keine Rechnung mehr unter ihrem Oberkleid hervorziehen, um sie uns triumphierend zu präsentieren. Zum ersten Mal an diesem Abend tut sie mir leid.

 

Johannes:

Geliebt hat sie ihn. Geliebt.

 

Maria Magdalena:

Enttäuscht, aber folgsam schleppte ich mich zu den Brüdern. Jesu letzte Worte, die er mir nur noch von weitem zugehaucht hatte, kamen atemlos, aber deutlich aus meinem Mund. „Er wird zu seinem Vater auffahren. Zu seinem und zu unserm Gott.“ Ich sagte das, als hätte dieser rätselhafte Satz auch in mir eine neue Flamme entfacht. Und tatsächlich. Die Brüder waren begeistert. Dann schlug die Tür zu und ich stand draußen.

 

Johannes:

Es gab Zukunft! Keiner von uns hat sich Gedanken gemacht, warum Maria so bedrückt aussah. Die Osterbotin hatte uns das Tor zur neuen Zeit aufgestoßen. Aber sie war nicht mitgegangen. Auch mir ist das viel zu spät aufgefallen.

 

Maria Magdalena:

Ich hätte einfach bei denen bleiben müssen, die sich später Apostel nannten. Ich hätte aushalten sollen, wie drei Tage vorher unter dem Kreuz. Ich hätte noch einmal klopfen müssen, nachdem sie die Tür zugeschlagen hatten. Aber damals fehlte mir der lange Atem.

 

Am Abend aber dieses ersten Tages der Woche, da die Jünger versammelt und die Türen verschlossen waren (…), kam Jesus und trat mitten unter sie und spricht zu ihnen: Friede sei mit euch! Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und seine Seite. Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen.

(Joh 20,19f)

 

Johannes:

Wie resigniert Maria aussieht! So, als ließe sich gar nichts mehr korrigieren. Aber wenn Auferstehung Zukunft heißt – Ist dann nicht jedes Ostern wieder alles offen?

 

Maria Magdalena:

Johannes erhebt sich beschwingt aus seinem Polster, streift sich sein Obergewand ab und schnallt sich das Untergewand wie einen Schurz um die Hüften.

 

Johannes:

Wisst ihr noch, Kolleginnen und Kollegen? Wie Jesus uns vorgemacht hat, was Geschwisterlichkeit heißt?

 

Maria Magdalena:

Während Kollege Petrus noch grübelt, an welche alte Szene ihn diese neue Aufführung erinnert, ist Johannes schon ins Nebenzimmer geeilt, um mit einem Krug und einer Wasserschüssel zurückzukehren. Johannes gießt Wasser in das Becken, lässt sich vor mir nieder und streift mir die Sandalen von den Füßen. Mit den kreisenden Bewegungen seiner weichen, kräftigen Finger reinigt er meine Füße.

 

Johannes:

Der Herr goss Wasser in eine Schüssel, wusch seinen Jüngern die Füße und trocknete sie mit dem Schurz ab, mit dem er umgürtet war.

 

Maria Magdalena:

Und ich bin es, die jetzt gesalbt wird. Ich stehe nicht mehr draußen. Nichts tut mehr weh.

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

Musik dieser Sendung:

Chick Corea, Chick Corea Children’s Songs