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Für jedes Jahr wählen die Kirchen ein Bibelwort aus, das die Menschen als „Jahreslosung“ begleiten soll, als biblisches Motto sozusagen. Für diese neue Jahr 2020 ist es der Satz: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“
Die Geschichte, zu der dieser Satz gehört, steht im Markusevangelium. Sie hat dramatische und auch traurige Züge. Da kommt ein Vater zu Jesus und bittet ihn, seinem Sohn zu helfen. „Deine Jünger konnten das nicht!“ Jesu Ungeduld ist spürbar. Warum schaffen sie das nicht? „Ungläubig“ nennt er sie und rollt hörbar mit den Augen. Der Vater lässt sich von dem genervten Jesus nicht abschrecken und bringt seinen Sohn zu ihm. Wenn noch einer helfen kann, dann dieser außergewöhnliche Mensch Jesus; sagt er sich. Ihn trägt die Kraft der Hoffnung. Als er sich mit seinem Kind Jesus nähert, bekommt der Junge einen seiner Anfälle, krampft unvermittelt, hat Schaum vor dem Mund, fällt zu Boden. Aus dem Vater bricht seine ganze Verzweiflung hervor: „Wenn Du kannst, hilf ihm!“ Jesu Ärger ist offenbar immer noch nicht verflogen. „Was heißt hier: Wenn Du kannst …?“ Warum glauben ihm die Menschen nicht? Natürlich kann er. Jesus sagt: „Alle Dinge sind dem Menschen möglich, der glaubt!“ Wenn Jesus doch helfen könnte! Der Vater gibt nicht auf. „Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“ bittet er. Wie viel Hoffnung und wie viel Zweifel sprechen aus diesem einen Satz! Unerhörte Gebete, enttäuschter Glaube, Jahre voller Angst und Sorge. „Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“ Und Jesus will helfen. Er befiehlt dem Krankheitsgeist, das Kind zu verlassen. Die Heilung ist dramatisch, wirft den Jungen ohnmächtig zu Boden. Still liegt er da. Lebt er noch? Ja. Jesus hilft ihm auf, stellt ihn wieder auf die Beine, schenkt ihm neues Leben. Das Wunder ist geschehen. Und der Vater? Kann er nun glauben, anders, stärker als vorher? Diese Frage lässt die biblische Geschichte offen. Gekommen ist er jedenfalls mit seinen Zweifeln, mit seinen Fragen und seiner inneren Not. Und Jesus hat ihn genau so angenommen.
„Zweifeln Sie manchmal?“ Die Frage stellt eine Konfirmandin. Ich halte kurz inne. „Ja.“ sage ich, „manchmal zweifle ich.“ Dann hadere ich mit Gott, frage ihn, warum dieses oder jenes so geschehen ist und geschieht, warum das Leben so oft ungerecht ist und warum Gott großes Leid nicht verhindert hat.
Manchmal zweifle ich. Als ich Anton beerdigen musste zum Beispiel. Zwei Jahre zuvor hatte ich ihn bei seiner Konfirmation getauft. Er hatte die Schule gut abgeschlossen, eine Lehre begonnen, eine nette Freundin gefunden. Alles schien auf einem guten Weg. Dann ist er in einer dunklen Winternacht wortlos gegangen, hat sich selbst aus dem Leben genommen. Mit all den anderen war ich fassungslos; und zornig auf Gott. Warum hatte er das zugelassen? Und wie sollte ich nun Worte finden, um diesen Jungen zu verabschieden? „Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“ Meinen Schmerz habe ich Gott ins Gesicht gesagt; und im Klagen schließlich Antwort gefunden oder immerhin Trost. Von dem habe ich hoffentlich weitergeben können an die, die ihn am nötigsten brauchten. Auch Antons Seele ist nicht tiefer gefallen als in Gottes Hand, gerade seine verwundete und verzweifelte Seele.
Als Hannah wieder krank wurde, habe ich mit Gott gehadert. Die Mutter dreier Kinder bekam ein Jahr nach der Geburt des jüngsten Sohnes Brustkrebs. Eine Operation, dann noch eine, dann die Chemotherapie und Bestrahlungen. Eine schwere, aufreibende Zeit. Schließlich war sie überstanden und Hannah begann, das Leben wieder für sich zu gewinnen, Schritt für Schritt, machte eine Umschulung, fand Arbeit. Das Leben ging weiter. Und dann, einige Jahre später, der Kleinste war gerade in die Schule gekommen, gibt es neue Krebsgeschwüre. Warum, Gott? Hat sie nicht genug durchgemacht? Sie ist eine gläubige Frau, engagiert in der Kirchengemeinde. Ich weiß, das ist dem Krebs egal. Trotzdem. Wie kannst Du das zulassen? Kannst Du nicht ein Wunder geschehen lassen? Ich sage und klage Gott, was mein Herz erfüllt.
Glaube ist Beziehung. Intellektuell kann ich etwas für gut und richtig oder auch wahr und vernünftig halten oder es auch ablehnen. Wer glaubt, tut etwas anderes, setzt sich in Beziehung zu Gott, rechnet mit ihm in seinem oder ihrem Leben. „Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“ sagt der Vater zu Jesus in der biblischen Erzählung. Was hat der für seinen kranken Jungen schon alles versucht? Heiler aufgesucht, Opfer im Tempel dargebracht, andere für sich beten lassen, viel Geld ausgegeben, Hilfe von außen erwartet. „Alle Dinge sind dem Menschen möglich, der glaubt!“ sagt Jesus. Im Gebet üben Menschen ein, sich nach Gott auszustrecken und auch in Krisen ihr Leben Gott anzuvertrauen. Wer sich in Beziehung zu Gott setzt, seine Hände faltet, von Gott Hilfe erbittet, der kann erleben, dass Gott ihn oder sie nicht allein lässt. Gott wird möglicherweise nicht das tun, was der Beter oder die Beterin von ihm erbitten und erhoffen. Gott wird Dinge neu ordnen und mitgehen, auch durch das finstere Tal. Und wenn der gläubige Mensch zweifelt, nicht sehen kann, wo und wie Gott hilft, wenn er oder sie über all dem Leid schier verzweifelt? Zweifel und sogar Verzweiflung gehören offenbar zum Glauben. Wer in die Psalmen sieht, findet die Fragen überall. „Bist du da, Gott?“ „Hörst du mich auch?“ „Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir!“ Jesus stirbt mit dem zweifelnden Ruf auf seinen Lippen: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Worte von Menschen, die bei ihrer verzweifelten Suche nach Halt in Beziehung zu Gott bleiben und wissen: Gott hört dich, sieht, was Dein Leben gerade erfüllt, kennt Dein Herz. Gott lässt Dich nicht los.
Ich erfahre das immer mal wieder, wenn ich die Hände falte, Gott all meinen Schmerz hinhalte, meine Verzweiflung und auch meine Zweifel. „Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“ Aus meinem Schmerz und meiner Unruhe wird nach einer Weile innere Stille und atemtiefe Gelassenheit. Dann keimt heller Friede in meinem Herzen und Zuversicht weitet mein Denken: „Seh ich den Weg auch nicht, du weißt den Weg für mich!“ Gott wird mit mir gehen, auch durch die schwere Zeit, und Gott wird mich dahin leiten, wo es neue Perspektiven gibt, auch wenn ich sie gerade noch nicht sehe. „Wir fallen nicht aus Gottes Hand!“ heißt die alte Botschaft in einem neueren Kirchenlied. Auch in den schweren Zeiten will Gott da sein. Diesem Gott vertraue ich mein Leben an und erlebe, wie er Schweres aufnimmt und verwandelt und mein Leben immer wieder auch mit Gutem und Gelingen füllt.
„Was würde Dir ohne Deinen Glauben fehlen?“ habe ich meine Konfirmandinnen und Konfirmanden gefragt; und in der Runde entspann sich ein interessantes Gespräch. Erst waren die Jugendlichen scheu, dann nachdenklich. So offen über den eigenen Glauben reden! Geht das? Ja. „Ohne Glauben hätte ich das Gefühl, alleine zu sein,“ sagt eine und ein anderer fügt hinzu: „Da wäre eine Leere im Leben.“ „Ich wäre unbeschützt und hilflos und hätte niemanden, dem ich, so wie Gott, erzählen kann, was mein Herz bewegt.“ sagt eine Konfirmandin.
Und ich erinnere mich. Damals war ich dreizehn Jahre alt. In der Schule hatten wir in Biologie die Zusammenhänge der Entstehung des Lebens besprochen. Da zerbrach mein Kinderglaube. Die Welt lässt sich doch auch ohne Gott verstehen. Den braucht man doch nicht! Ich beschloss, nicht mehr an Gott zu glauben. Wofür sollte der Glaube noch gut sein? Als Kind hatte ich gelernt zu beten, Gott meine Sorgen zu sagen. So ein Quatsch! Wenn es Gott nicht gibt, brauche ich doch auch das Gebet nicht mehr. Ich sperrte Gott, der mir bis dahin ein selbstverständlicher Begleiter gewesen war, aus meinem Leben aus.
Seitdem weiß ich: Unglaube ist Beziehungsabbruch. Da rechnen Menschen nicht oder nicht mehr mit Gott, mit seiner Macht, die Dinge zum Guten zu wenden, mit seinem Segen, der Leben gelingen lässt und mit Liebe erfüllt.
Der Vater, der mit seinem Kind zu Jesus kommt, schreit die Not heraus: „Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“ Er könnte auch sagen: „Ich möchte Gott in meinem Leben haben, hilf mir, ihn zu finden und zu erfahren!“ Mit leeren Händen steht er vor Jesus, weiß nicht, wie das gehen soll, weiß nicht, wie er das tun soll: glauben, sich in Beziehung zu Gott setzen, beten, Gottes Angebot annehmen und seine Liebe erwidern. Seine Leere ist offen für das, was Jesus ihm gibt.
„Habt ihr schon mal das Gefühl gehabt: Gott ist da?“ frage ich meine Konfirmandinnen und Konfirmanden. „Ja,“ sagt eine und erzählt, wie sie oben auf einem Berg stand und ihre Höhenangst überwunden hatte. „Gott hat mir dabei geholfen!“ Und eine andere erinnert mich: „Wissen Sie noch, wie sie in der Schule vor Klassenarbeiten mit uns gebetet haben?“ Jetzt bin ich beschenkt. „Da war Gott da.“, sagt sie, und „Das war ein gutes Gefühl.“
Mein eigener Weg zurück zum Glauben begann mit einem neuen Staunen. Etwa ein halbes Jahr nach meiner Entscheidung, Gott aus meinem Leben zu verabschieden, stand ich an einem warmen, sonnigen Tag vor einer Blume und habe ihre Schönheit bewundert. Ein Feldrain voller Mohnblumen und diese eine faszinierte mich: filigran, strahlende Farben, ausgewogene Symmetrien, ein Wunderwerk. Und das sollte alles nur Zufall sein? Wer hat den Plan hinter all dem gemacht und die Gesetze, nach denen das Leben sich entfaltet? Ich spürte eine seltsame Einsamkeit und Sehnsucht nach dem, der dieses Wunder zustande gebracht hat. Mein Weg zum Glauben war und ist eine Suchbewegung nach Gott, der diese Welt so wunderbar eingerichtet hat. Als ich vorsichtig an jenem Abend meine Hände gefaltet und nach Worten gesucht habe, waren sie wieder da, die Wärme aus Kindertagen und die vertrauensvolle Weite jener Momente, in denen meine Großmutter mit mir abends gebetet hat. Gott wurde wieder Teil meines Lebens und ich erfahre immer einmal wieder, wie sich betend meine innere Verwirrung in Offenheit dafür wandelt, welchen Weg Gott nun mit mir gehen wird.
„Alle Dinge sind dem Menschen möglich, der glaubt!“ Der Jugendliche erinnert sich: „Das ist mein Konfirmationsspruch.“ Und nachdenklich fährt er fort: „Zweifel, die sind uns selbst geschuldet. Man zweifelt an sich.“ Wie er das meint, will ich wissen. „Wenn mir etwas Schlechtes geschieht, frage ich mich, was ich falsch gemacht habe, dass mir das geschieht. Und dann denke ich „Gott will mich für irgendwas bestrafen oder hat mich vergessen.“ Andere diskutieren mit. „In manchen Situationen, in denen man Gott braucht, ist er nicht da. Warum macht er nichts?“ Den Jugendlichen brennen die Probleme unserer Zeit unter den Nägeln. „Manchmal denkt man, es wird gar nicht gehört! Nicht nur von Gott, sondern auch von anderen. Das mit dem Klimawandel … Da musste erst mal jemand kommen, der die Schule schwänzt, um darauf aufmerksam zu machen, damit wenigstens mal ein paar diesen Gedanken bekommen: unsere Welt wird bald gar nicht mehr so sein, wie sie mal früher war. Dass es so weit erst mal kommen muss …“ sagt eine Jugendliche und ein anderer fügt hinzu. „Wenn Gott allmächtig ist, warum tut er dann nichts?“ Sie antwortet: „Vielleicht denkt er sich auch: ‘Okay, ihr hattet Eure Chance!‘ Ich meine: Er hat uns die Welt geschenkt, damit wir draus lernen und leben können, und wir machen es, ohne dass es uns wenigstens ein bisschen stört, machen wir sie einfach kaputt und zwar das, was er uns erschaffen hat. Und vielleicht denkt er sich: ‘Okay, wenn ihr halt nicht wollt, wenn ihr darauf nicht achtet, was ihr macht, dann ist es eure Schuld. Warum soll ich Euch helfen, wenn ihr meine Erde zerstört, die ich euch geschenkt habe.‘“ Traurig blickt sie in die Runde. Wir alle sind nachdenklich.
Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“ Glaube ist ein Beziehungsgeschehen. Ein Mensch, der glaubt, rechnet mit Gott in seinem Leben, wie mit einem Freund oder einer Freundin. Glauben heißt vertrauen: Ich mache mich an etwas fest, finde Halt im Zutrauen zu diesem Gegenüber. In der Bibel heißt es: „Glaube ist die feste Zuversicht auf das, was man hofft, und liefert den Beweis für eine Wirklichkeit, die nicht sichtbar ist.“ (Hebräer 11,1, Luther 2017 und Basisbibel)
Wer mit Gott rechnet, hat Hoffnung. Die Fakten, die wir Menschen sehen und die Denkmodelle, die wir errechnen, sind nicht alles. Wer glaubt, bringt Gott seine Sorgen und auch die Zweifel und hofft, dass Gott mit auf dem Weg ist und uns hilft, gut füreinander und für seine Erde zu sorgen. Eine lebendige Beziehung zu Gott und die Hoffnung, dass Gott immer noch mehr Möglichkeiten hat, als wir denken, schenkt Menschen die Kraft, das Leben mit seinen Höhen und Tiefen zu bestehen; und den Mut, sich für die Zukunft zu einzusetzen, für den Zusammenhalt und für den Planeten, den Gott uns als Lebensraum geschenkt hat. Es lohnt sich, auch kleine Schritte zu tun, bei mir anzufangen und dann zu erleben, wie mein kleiner persönlicher Beitrag sich mit dem vereint, was andere tun und denken. Die Bewegung der Jugendlichen für das Klima begann mit dem kleinen Mädchen, das allein mit einem selbstgeschriebenen Plakat demonstriert hat. Wenigstens können wir jetzt nicht mehr so tun, als sei das alles nicht wahr. Gott segnet die kleinen Anfänge, so wie er jedes Samenkorn segnet und ihm die Kraft gibt, aufzugehen und zu wachsen.
Christinnen und Christen leben „mit den Füßen auf der Erde und dem Herzen im Himmel“. Beides gehört im Glauben zusammen: eine realistische Sicht auf das Leben mit all seinen Problemen und Schwierigkeiten und die Hoffnung, dass Gott mit uns auf dem Weg ist, uns in den schwierigen Zeiten nicht allein lässt und uns hilft, beharrlich die Zukunft unserer Welt zu gestalten.
„Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“ Das heißt für mich: Ich will mit Gottes Macht rechnen und darauf vertrauen, dass er Dinge zum Guten wenden kann: im Blick auf mein persönliches Leben und auch im Blick auf unsere Welt. Und: Ich möchte mehr auf das Gute achten und die kleinen Anfänge wertschätzen. Sie nähren meine Hoffnung für eine offene Zukunft, geben mir die Kraft Schritt für Schritt weiterzugehen und den Mut mich mit meiner Stimme einzubringen. Und Gott ist mit uns auf dem Weg in dieses neue Jahr.
Es gilt das gesprochene Wort.
Musik dieser Sendung:
- Be Still, Hillsong Music, There is more
- Lettered Love, Hillsong Music, There is more
- Who you say I am, Hillsong Music, There is more
- New wine, Hillsong Music, There is more
- You are live, Hillsong Music, There is more
- God so loved the world, Hillsong Music, There is more
- Remembrance, Hillsong Music, There is more