Ruinen und leichtes Gepäck

Wort zum Tage
Ruinen und leichtes Gepäck
27.08.2020 - 06:20
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Der Wind pfeift durch die hohen Säulen. Gras wächst um sie herum. Auf einzelnen Mauerstücken finden sich noch Grabplatten. Reste von Namen einst berühmter Herzöge und ihrer Frauen lese ich darauf. Zwischen den Steinen wispert die Vergangenheit. Zeugen versunkener Jahrhunderte. Es waren Epochen, in denen Mönche, Zisterzienser, ihre Klöster und damit Keimzellen des Glaubens bauten. Auch an der Ostsee. Das Kloster Hilde zum Beispiel - bekannter unter dem Namen Eldena. Alles, was die Mönche im 13. Jahrhundert hierher mitbrachten, waren ihre handwerklichen Fähigkeiten, ihr Glaube und ihre Leidenschaft. Das Land, das man ihnen überließ, beackerten sie und bauten die himmelwärts strebenden Säulen und Gänge. Und es war klar, dass sie zu Lebzeiten die Fertigstellung nicht erleben würden. Gebet, Bildung, Gemeinschaft, das war der Anspruch. Und so mancher wird den Auftrag tief gespürt haben, das Leben mit Jesus Christus auf diese Weise auszuschöpfen. Die Zeit ging ins Land. Das Jahrhundert, in dem die Bauarbeiten dann nahezu abgeschlossen waren, endete mit der Reformation. Die war auch das Ende des dortigen Klosterlebens. Es folgten Kriege, Verwüstung und Vergessen. Ein Schicksal, das Eldena mit anderen Klöstern teilte. Erst ein neuer Blick auf die Ruinen der vergangenen Zeiten, geworfen von den Künstlern der Romantik, schien die Ruinen aus ihrem Dornröschenschlaf zu wecken. Auf romantischen Bildern wurden sie eingefangen. Vor allem Caspar David Friedrich sei Dank. Ich stehe zwischen den Bauresten von Kirche und Konventshaus und lausche. Fast ist es so, als ob man sie hören könnte: die Geschäftigen von einst – und wie sie singen und beten. Und Streit und Konflikt, Entsagung und Gehorsam, ach, sicher auch davon könnten die Ruinen und der hindurchfahrende Ostseewind so manches beseufzen. Was bleibt? Wie werden in vier oder fünfhundert Jahren einmal die Ruinen unserer Zeit aussehen? Welche werden ins Vergessen sinken; oder durch einen neuen, vielleicht romantischen Blick wieder freigelegt? Wird jemand dastehen und lauschen? Wir sind nicht die Herren der Zeit, weiß ich und spüre, wie Demut in mir aufsteigt. Wir brauchen das leichte Gepäck. Steine dürfen uns nicht den Blick dafür nehmen, das wir hier, heute und jetzt einander trösten, heilen, versöhnen und Hoffnung teilen. Das soll zählen und bleiben (selbst) über die Ruinen hinaus, die auch unsere Zeit hinterlassen wird. Gottes Geschichte mit uns reicht weiter und ist größer als die, von der die menschengemachten Bauten und Ruinen aller Zeiten künden.