Wort zum Tage
Der gezüchtigte Jesusknabe
05.06.2021 06:20
Sendung zum Nachlesen

„Jetzt ist aber gut, Jesus! – Jetzt setzt´s was!“
Die drei Gestalten im Hintergrund des Gemäldes im Kölner Ludwigmuseum schauen etwas verdutzt aus der Wäsche. Im Vordergrund – man traut seinen Augen kaum – der Jesusknabe, bäuchlings über den Knien der Mutter, die gerade zum nächsten Hieb auf den nackten Hintern ausholt. Der Junge wird versohlt, so sehr, dass ihm der Heiligenschein vom Kopf gepurzelt ist…

„Die Jungfrau züchtigt den Jesusknaben vor drei Zeugen“, heißt das Bild des Malers Max Ernst, und man fragt sich: Warum sollte Maria das Jesuskind züchtigen? Man muss sich für die Hin-tergründe ein wenig umtun. Die Geschichte des 12jährigen Jesus im Tempel, der seine Eltern einen Nachmittag lang in Panik versetzt, ist relativ bekannt. Jesus hat sich im Gassengewirr von Jerusalem unbemerkt selbstständig gemacht und nutzt die freie Zeit für Disputationen mit Gelehrten im Tempel, während ihn die Eltern fieberhaft suchen. Weniger bekannt sind die apokryphen Kindheitsgeschichten Jesu, die nicht in der Bibel stehen: Sie berichten von einem ungezogenen Jesuskind, das seine Allwissenheit genüsslich gegen seine Eltern und seine Spiel-kameraden ausgespielt haben soll. Man kann sich das gut vorstellen: Einen Allwissenden erzie-hen… Mit einem Allwissenden spielen… - Man muss schon ein verdammt guter Verlierer sein, um da nicht irgendwann die Geduld zu verlieren und wütend zu werden…

Als das Bild von Max Ernst 1926 erstmals in Paris ausgestellt wurde, gab es einen großen öf-fentlichen Aufschrei.  Nicht so sehr wegen der Tracht Prügel, sondern vor allem wegen des vom Kopf gerutschten Heiligenscheins. Für den Maler scheint es auch ein Akt der Emanzipati-on von den engen Grenzen seiner religiösen Erziehung gewesen zu sein. Dabei kommt es mir – einmal abgesehen von der Anstößigkeit der elterlichen Prügelstrafe selbst – gar nicht so anstö-ßig vor. Im Gegenteil: Seine Wirkung gefällt mir. Denn es zeigt einen zutiefst menschlichen Jesus, der mir plötzlich ganz nahe rückt – nicht zuletzt in einem Anflug von Mitleid. Ich gebe zu: Für einen Moment empfinde ich es sogar stärker als beim allzu gewohnten Blick auf ein Kreuzigungsbild.
 

Es gilt das gesprochene Wort.