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Im Haar die eisgraue Strähne, über die linke Gesichtshälfte läuft eine breite Narbe, und dann dieser sanfte Blick. Ich lerne Kapitän Ahab in Gestalt von Gregory Peck kennen. Damals, als kleiner Junge im Frotteeschlafanzug auf Papas Schoß, vor dem Fernseher. Die Begeisterung für den Roman und den Film Moby Dick hält bis heute an. Ein bildgewaltiges Drama in satten Farben. Drei Jahre dauern die Dreharbeiten, bevor Moby Dick in die Kinos kommt. Doch der große Erfolg bleibt aus. Gregory Peck ist einfach zu smart. Die Zuschauer wollen ihn als Liebhaber sehen, nicht als von Rache zerfressenen Kapitän, der seinem Untergang entgegensegelt. Mir geht es da anders. Es ist Gregory Peck, der mir die Figur des Ahab nähergebracht hat: seinen Schmerz, seinen Stolz, sein Schicksal.
Der Roman Moby Dick erscheint im Herbst 1851, vor 170 Jahren. Kapitän Ahab ist Dreh- und Angelpunkt der Geschichte. Der weiße Wal reißt ihm ein Bein ab, macht ihn zum Krüppel: an Leib und Seele. Ahab sinnt auf Rache. Er schwört die gesamte Mannschaft seines Schiffes Pequod darauf ein, Moby Dick zu jagen: Und sei es bis ans Ende der Welt. Mit der Romanfigur des Kapitän Ahab erschafft Autor Herman Melville einen vielschichtigen Charakter. Ahab ist Hiob und Prometheus zugleich. Einer der den Himmel stürmen will, und einer der daran leidet, dass der Mensch trotz aller technischen Leistungen doch abhängig bleibt. Ahab ist ein leidenschaftlicher Mann. Belesen, hochgebildet, dazu fromm. Er verkörpert den modernen Menschen des 19. Jahrhunderts. Alles scheint in diesem technischen und aufgeklärten Zeitalter möglich. Dafür steht geradezu die Beinprothese des Kapitäns. Als ihm die bei der Jagd entzweibricht, drechselt der Schiffszimmermann aus Walbein kurzerhand eine neue. Und dennoch spürt Ahab diese Abhängigkeit, wie seine Seele gebunden bleibt.
Und natürlich lastet der Name Ahab, der von einem israelitischen König stammt, wie ein Fluch über diesem Charakter. Kein anderer Herrscher im Alten Testament wird so schlecht beurteilt wie er. In der wissenschaftlichen Forschung hingegen gilt die 20jährige Regentschaft von Ahab als eine der Blütephasen Israels (vgl. Donner, Bd. 2, 260). Der Königspalast in Samaria wird mit kunstvollen Elfenbein-Schnitzereien ausgestattet, Ahab ist außenpolitisch erfolgreich, trotzt sogar der damaligen Supermacht Assyrien einen Sieg ab. Seine Sünde: Ahab heiratet eine syrische Prinzessin, erlaubt religiöse Vielfalt. Deshalb verflucht ihn die Bibel, lässt Ahab einen brutalen Tod sterben. Ein schweres Erbe für seinen Namensvetter in Moby Dick.
Das Finale von Moby Dick ist gewaltig, im Roman wie im Film mit Gregory Peck. Da hängt Kapitän Ahab am weißen Wal, rammt die Lanze wieder und wieder in seine Haut. Dann taucht Moby Dick ab, zerschlägt alle Fangboote, rammt die Pequod und versenkt das Walfangschiff mit Mann und Maus.
Moby Dick, dieser gewaltige Wal, vernichtet die Idee vom modernen Menschen, dem alles möglich zu sein scheint. Ahab spürt die Abhängigkeit, die uns Menschen ausmacht, damals wie heute. Von der Natur, von Vater und Mutter, dem Wetter, Gott im Himmel.
Gregory Peck bleibt für mich die Idealbesetzung von Kapitän Ahab. Gerade weil er so sanft blickt. Denn in Ahabs Träumen, seiner Not, seinem Stolz und seiner Hoffnung spiegeln sich ja die Sehnsüchte vieler Menschen. Und sicher, irgendwo, auch meine eigenen. Die eisgraue Strähne, die Narbe auf der Wange, die verloren blickenden Augen, die Gregory Peck Kapitän Ahab gibt. Darin liegt seine große Leistung. Denn am Gesicht lässt sich nicht ablesen, was einem auf der Seele liegt. Deshalb schaut Gott ins Herz, sagt die Bibel. Ich verstehe das nicht als Drohung, sondern als Segen.
Es gilt das gesprochene Wort.