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Sendung zum Nachlesen
Bei meinen Besuchen als Seelsorger im Krankenhaus sage ich manchmal nach intensiven Gesprächen über die Höhen und Tiefen im Leben: Eigentlich könnten Sie ein Buch schreiben. Und mein Gegenüber schmunzelt meist: Ja, da haben Sie recht.
Jede und jeder von uns hat eine ganz eigene Geschichte, die es wert ist, erzählt und gehört zu werden. Und ich bin immer wieder berührt, was Menschen erleben und erleiden und dennoch sagen: Mir geht’s gut und ich bin von Gott getragen.
Frau K. lag über ein Jahr bei uns im Krankenhaus. Irgendwie schien sie vom Himmel gefallen zu sein. Sie kam in unser Klinikum ohne Papiere, ohne Krankenkassenkarte, ohne feste Adresse, nur mit dem, was sie am Leibe trug. Sie hatte einen Schlaganfall erlitten und war bewusstlos, als sie eingeliefert wurde. Nach und nach fasste sie Vertrauen und erzählte ihre Geschichte, die sie aus einer wohlsituierten Berliner Zeit in eine verzwickte Beziehung führte, bei der sie fast unterzugehen drohte. Als ihr Geld aufgebraucht war, ließ der Mann sie im wahrsten Sinne des Wortes fallen und sie landete schließlich an einem Berliner Bahnhof vom Schlag getroffen.
Mich machte ihre Geschichte betroffen und stellenweise wütend, doch Frau K. empfand anders. An einem Punkt der Erzählung huschte ein Lächeln aus den Augen über ihr ganzes Gesicht: und sie sagte „Jetzt wohne ich im Zimmer 138. Und ich muss mich um nüscht kümmern, geht’s mir nicht gut?“
Ihren Geburtstag haben wir im Sommer auf der Station gemeinsam gefeiert. Zwei große Luftballons mit ihren Jubiläumszahlen schwebten über ihrem Bett und Sonnenblumen standen auf dem Fensterbrett. Und gemeinsam sangen wir: „Viel Glück und viel Segen …“ Sie war berührt und Freudentränen kullerten über ihr Gesicht. „Damit hab ich nicht gerechnet.“ Und auch wir, Pflegende, Ärztin und Seelsorger waren berührt von dieser einzigartigen Frau.
Wir haben immer wieder gemeinsam auf das, was geschehen ist, geschaut und das Reden über das Gewesene tat Frau K. sichtlich gut.
Ich bin überzeugt, es tut gut, über Gewesenes zu reden, über das Schöne, aber auch über das, was uns zu schaffen macht. Manchmal kostet es Überwindung, nicht immer findet man ein offenes Ohr, dem man vertrauen kann. Aber es aktiv zu versuchen, lohnt sich. Eigentlich gibt es nur eine Sache, die noch kostbarer ist, als die eigene Geschichte jemandem anzuvertrauen: Selbst sein Ohr jemandem zu leihen und eine Lebensgeschichte erzählt zu bekommen. Doch davon ein andermal.
Es gilt das gesprochene Wort.