Morgenandacht
Gemeinfrei via Pixabay/ Joachim Schnürle
Kampf mit mir selbst
Morgenandacht von Pfarrer Frank Mühring
12.10.2023 06:35

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Die Sendung zum Nachlesen: 
Triggerwarnung: Körpergewicht.

Jeden Morgen der gleiche Kampf. Es ist zehn vor halb sieben. Gerade bin ich aus dem Bett gekrochen, schon ist es vorbei mit der Gemütlichkeit. Meine Gegnerin ist unerbittlich und streng. Sie wird heute wieder alles von mir abfordern. Ich betrete das Badezimmer und ahne: Gleich wird die erste Runde eingeläutet.

Der Kampf beginnt, wenn ich die Waage unter dem Waschschränkchen hervorziehe. Die Anzeige auf Null stelle. Waage, das Wort klingt nett, harmlos. Irgendwie freundlich nach Gleichgewicht und Ausgleich. Dabei bringt mich nichts so sehr aus der Balance wie der tägliche Kampf mit dem, was ich auf die Waage bringe. Einen kurzen Moment halte ich inne. Soll ich wirklich in den Ring steigen oder nicht? Lieber schiebe ich meine Gegnerin heute mal zurück unter den Schrank und mache mit dem Duschen weiter. Feigling, sagt meine Waage mit tiefer Stimme zu mir. Stell dich! 

Ich hebe meinen rechten Fuß, um zum Messen anzutreten, da höre ich in Gedanken meinen besten Freund flüstern: „Mensch, du musst doch nicht kämpfen. Du nicht! Willst du dein ganzes Leben in Kilogramm berechnen? Du armer Wicht! Ich müsste das tun, fühl mal hier mein Bauchfett. Dagegen bist du doch schlank wie ein Strohhalm. Du könntest von nun an jeden Tag bis an dein Lebensende Eisbecher und Sahnetorte essen. Niemand würde auch nur den Hauch einer Veränderung bei dir sehen. Lass deinen Körper in Frieden. Nimm dich doch so an, wie du bist.“

Bevor ich mit dem linken Bein nachziehe, flüstert mir meine Mutter etwas in das andere Ohr. „Junge, du musst dich ausgewogen ernähren, mit viel Gemüse und Ballaststoffen. Habe ich dich etwa dafür geboren, dass du nicht genügend isst? Fasten bei vollem Kühlschrank? Das hältst du sowieso nicht lange durch.“

Es ist fünf vor halb sieben. K.o. in der ersten Runde. Fast ein Kilo mehr als gestern. Die Zahl oben im Fenster der Waage leuchtet unbarmherzig auf. Rot wie ein Warnlicht. Treffer in der Magengrube. Ich verstehe es nicht, ich hatte doch nur einen Salat zum Mittag. Meine Gegnerin sagt: Mein Lieber, das bedeutet nach Feierabend noch Joggen oder eine Stunde Radfahren. Sie ist streng und duldet kein Schummeln.

Meine stillen Kämpfe am Morgen behalte ich am liebsten für mich, die mache ich mit mir selber aus. Als mich meine Frau letzthin fragte: „Wiegst du dich eigentlich jeden Morgen?“ Da hätte ich ihr am liebsten geantwortet: „Ja, genau das will ich. Ich möchte mich jeden Tag wiegen. In Heiterkeit nämlich. In Sorglosigkeit. In großem Frieden. Ich möchte aufstehen und meine Seele soll sich im Gleichgewicht wiegen. Frei leben will ich, ohne das andauernde Rechnen und Vergleichen.“  So schlagfertig war ich in dem Moment nicht. 

Jesus hat einmal gesagt: „Liebt eure Feinde. Tut wohl denen, die euch hassen.“  (Lukas 6,27) Der Feind, der mir morgens im Bad begegnet, ist eigentlich nicht meine Waage. Ich bin es selbst. Mein innerer Kritiker sagt mir immer: Du musst mehr an dir arbeiten, andere schaffen das auch. Quäl dich mal richtig. Feindselig fühlt sich das an. Ich möchte anders in den Tag gehen, ohne Prügel von mir selbst zu beziehen. Ich will nicht schon in aller Frühe Schlachtpläne entwickeln, wie ich mein Gewicht reduziere. Leicht, locker und unbeschwert von Warnhinweisen möchte ich leben. Gott hat den Menschen einst vollkommen und gut geschaffen. Im Paradies gab es sicher keine Waage. Gottes Liebe und Anerkennung muss ich mir nicht durch Fitnesspläne verdienen. Seine Liebe ist jeden Morgen neu.

Jesus rät mir dazu, meinen inneren Feind zu umarmen. Mir selbst Gutes zu tun. Ihn zu verwöhnen, damit er sich mit mir und meiner Schwachheit versöhnen kann. Nur wer sich selbst mag, kann auch andere mögen. Nicht mehr so verbissen will ich mit mir sein. Ich verlasse den Ring. Ich glaube, es wird bestimmt ein schöner, leichter Tag.

Es gilt das gesprochene Wort.