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Die Sendung zum Nachlesen:
Die Kathedrale im französischen Rouen, ein Meisterwerk der Gotik. Der Pop-Art-Künstler Roy Lichtenstein bringt sie auf die Leinwand. Wieder und wieder. Ihn interessiert, ob Kunst auch dann Kunst bleibt, wenn ein Motiv in Serie geht, industriell vervielfältigt wird. Bei der Kathedralenserie bekommt die Frage des US-Amerikaners, der in dieser Woche 100 Jahre alt geworden wäre, eine religiöse Dimension (*27.10.1923 | †29.09.1997). Und das liegt am Motiv, was sich darauf abspielt. Die Bilder erinnern an unscharfe, überbelichtete Polaroids. Ein Farbton dominiert, darin die Silhouette der Türme, die Konturen der Pfeiler und Fenster. Mal in Violett, mal in Nachtblau oder Sonnenblumengelb. Die Gemälde zeigen das Farbenspiel, das sich zu verschiedenen Tagzeiten auf der Fassade der Kathedrale zeigt. Sie versuchen zu greifen, was sich im Grunde nicht abbilden lässt: das Licht.
„All meine Kunst bezieht sich in gewisser Weise auf andere Kunst …“
So beschreibt der gebürtige New Yorker das Prinzip seines künstlerischen Schaffens. Roy Lichtenstein stammt aus einer jüdischen Familie, wird am 27. Oktober 1923 geboren. Er begeistert sich schon früh für Kunst, malt und zeichnet. Die Eltern sehen sein Talent, fördern ihn. Zunächst arbeitet er als Werbezeichner, von hier kommt er zur Kunst. Für die Kathedralenserie blickt Roy Lichtenstein weit zurück. Er geht in die Schule derer, die vor ihm Kunst geprägt haben. Er entdeckt Claude Monet für sich, einen der wichtigsten Vertreter des Impressionismus. Claude Monet hat sich mit dem Licht beschäftigt, seinen Formen, fließenden Farben. Ende des 19. Jahrhunderts malt Claude Monet die Kathedrale von Rouen. Morgens, mittags und abends. Er will die Wandlungen des Lichts einfangen, wie sie sich auf den Mauern des sakralen Bauwerks abzeichnen. Roy Lichtenstein nimmt die Motivik von Claude Monet rund 80 Jahre später auf. In seinem Stil, mit seiner Fragerichtung – im Zeitalter der Pop-Art. Zugleich stellt er sich damit – ob bewusst oder unbewusst – in eine religiöse Suchbewegung. Die Kathedralenserie von Roy Lichtenstein sucht nach dem besten Weg, Licht darzustellen. In seiner reinen Form lässt es nicht festhalten. Diese Unabbildbarkeit gilt für das Licht wie für den Wind. Aber genauso für die Liebe oder das Heilige. Also malt Roy Lichtenstein in der Tradition von Claude Monet, wie sich das Licht auf die alten Mauern legt, auf Pfeiler, auf Gesimse. Sich dort spiegelt. Er zeigt, wie es die grauen Mauern zum Leuchten bringt. In Violett, Nachtblau, Sonnenblumengelb. Roy Lichtenstein tut das wie gesagt nicht aus religiösen Gründen. Aber was er tut, ähnelt doch dem Auslegen alter heiliger Urkunden der Menschheitsgeschichte. Die Kathedralenserie zeigt die Abdrücke, welche das Unaussprechliche, das Unfassbare in der Endlichkeit hinterlässt. Und damit beweist Roy Lichtenstein ganz viel Sachverstand für das Unverfügbare hinter allem Dasein. Sein Bildmotiv ist spirituell durchlässig. Und das bleibt es in der Wiederholung. Die Wiederholung verstärkt sogar den Eindruck.
„All meine Kunst bezieht sich in gewisser Weise auf andere Kunst, auch wenn diese andere Kunst Comics sind.“
Es ist aber nicht die Kathedralenserie, die Roy Lichtenstein berühmt macht. Tatsächlich sind es Comics. Er bringt Cartoon-Figuren auf die Leinwand. Ein Markenzeichen dabei sind die Punkte, aus denen sich seine Bilder zusammensetzen. 1961 gelingt Roy Lichtenstein mit einem überdimensionalen Gemälde von Donald Duck und Mickey Mouse der internationale Durchbruch (Look Mickey, 1961). Dieses Mal nimmt er etwas Unscheinbares als Vorlage, etwas das andere wegwerfen. Sein Bezugsmotiv ist hier ein Kaugummi-Bild. Ein Phänomen. Motive aus der Kinderwelt werden Kunst. Roy Lichtensteins Blick für die Dinge adelt und veredelt sie. Und solch ein Blick ist wiederum ausgesprochen biblisch. Der Blick für das Unscheinbare, das Kleine, das Übersehene. Er zieht sich durchs Alte Testament und kennzeichnet auch Jesus. Durch und in Jesu Augen finden gerade die, die klein gemacht worden sind, ihre Würde und ihren Wert wieder.
Es gilt das gesprochene Wort.