Morgenandacht
Gemeinfrei via unsplash/ Douglas Bagg
Die Taube mit dem Ölzweig
Morgenandacht von Pastorin Cornelia Coenen-Marx
25.05.2024 06:35

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Die Sendung zum Nachlesen: 

Die Pfingstwoche geht zu Ende. Immer wieder denke ich: Eigentlich fehlt zu Pfingsten ein schönes Zeichen. In der Bibel sind Sturm und Feuer die Zeichen des Heiligen Geistes, der an Pfingsten herabkommt. Und ja, traditionell auch die Pfingstrosen. Aber es fehlt etwas, was man im Grün platzieren oder ins Grün hängen kann – so wie eine Krippe oder ein Osterei. Mein Pfingstzeichen ist die Taube. Ich würde am liebsten in der ganzen Pfingstwoche Tauben fliegen lassen. Und ich würde gerne welche in den Nahen Osten schicken. 

Von dort kommen immer neue Bilder - und immer der gleiche Schrecken: Zerstörte Häuser und Straßen, Menschen, die an einer Essensausgabe anstehen, hungrige Kinder. Wie hält man das aus? Vor ein paar Jahren hat mich ein Film auf die Spur gesetzt. „Die Taube von Gaza“. Der Film nimmt uns mit in die Zeit des britischen Mandats in Palästina. Erzählt wird die Geschichte eines jungen Palästinensers, der  Tauben züchtet. Damals ein beliebtes Hobby wie bei uns im Ruhrgebiet, wo die Männer, die unter Tage gearbeitet haben, mit den Tauben in den weiten Himmel schauten.

So steht der Junge in dem Film am Abend auf dem flachen Dach seines Hauses, öffnet die Tür zum Taubenstall und sieht zu, wie sie losfliegen, seine weißen Tauben. Wie sie am Himmel kreisen, die Freiheit unter den Flügeln. In dem Film spürt man, wie gern er ihnen gefolgt wäre. Für die Vögel unter dem offenen Himmel werden die Grenzen unbedeutend, die die Mächtigen ziehen.

Die weiße Taube ist ein Friedenssymbol. Picasso hat sie gemalt – 1949 für den Weltfriedenskongress in Paris. Eine weiße Taube erinnert bis heute an die Hoffnung auf Frieden. An die Hoffnung, die immer noch größer ist als Angst und Verzweiflung. Auf dem Aufkleber an meinem Kühlschrank hält die Taube einen grünen Zweig im Schnabel.

Das hat mit einer Geschichte aus der Bibel zu tun. Sie spielt während der Sintflut, als Noah in der Arche nicht sicher war, dass die Menschheit überlebt. Der Meeresspiegel war um viele Meter gestiegen. Lange Zeit schien es, als würden sie nie mehr Land sehen. Kein Grün weit und breit. Und kaum noch Hoffnung.

Da schickte Noah einen Raben aus, um nach trockenem Land zu suchen - aber der Rabe kehrte nicht zurück. Danach ließ Noah eine Taube fliegen. Sie fand kein Stück trockene Erde, auf dem sie sich niederlassen konnte, und flog zur Arche zurück. Noah nahm sie auf, wartete sieben Tage und ließ sie noch einmal fliegen. Als sie wiederkam, hatte sie einen Olivenzweig im Schnabel. Da wusste Noah: Die Wasser haben sich verlaufen. Es gibt wieder Land. So wurde die Taube zur Botin der Hoffnung und des neuen Lebens.

Seit fast 200 Jahren ist sie auch das Symbol der Diakonissenbewegung. Theodor Fliedner, der Gründer der Kaiserswerther Diakonie, nannte die Gemeindeschwestern „Tauben Christi“. Hoffnungsträgerinnen also, die mit ihrer Arbeit die Lebenskräfte weckten. In der Krankenpflege, in der Sorge um arme Kinder, bei der Begleitung von Sterbenden.

Die alten Schwestern trugen die Taube als Brosche. Und ein paar Jüngere haben diese Tradition übernommen. Sie tragen die Taube als Kette, als Ring und nennen ihren Newsletter: „Die Taube von Kaiserswerth“.

Das schönste Bild dieser Taube habe ich auf dem Kaiserswerther Diakonissenfriedhof gefunden. Ich arbeite dort schon lange nicht mehr, aber manchmal muss ich hin – am liebsten, wenn alles grünt und blüht. Denn dieser Friedhof ist eine Oase. Rund um das Geviert stehen Linden. Die Gräber, die alle gleich aussehen, sind in den Rasen eingelassen. Der schiefergraue kleine Grabstein liegt wie ein Kopfkissen auf dem Gras und dahinter steht ein kleiner Rosenstock. Neben Namen, Geburts- und Sterbedatum der Schwestern ist aber auf den Grabsteinen noch ein kleines Bild zu sehen: Eine Taube, die zu den Sternen fliegt. Immer dem Himmel entgegen. In die Freiheit.

Das ist uns versprochen - gerade seit Pfingsten. Dass wir frei werden und einander zur Freiheit helfen. Dass wir die Kraft der Hoffnung unter den Flügeln spüren, auch wenn die Umstände unerträglich sind. Und dass wir anderen Mut machen wie die Taube mit dem grünen Zweig.

Es gilt das gesprochene Wort.