Gemeinfrei via Unsplash/ divyadar shiacharya
Auf der Bühne steht ein falscher Flügel: verstimmt, zu klein, völlig unzureichend. Trotzdem wird es ein Konzert, von dem man später sagt: Es war, als hätte ein Engel am Jazzpiano gespielt.
The Köln Concert
Wie aus einer Panne ein Welterfolg wurde
18.11.2025 06:35

Auf der Bühne steht ein falscher Flügel: verstimmt, zu klein, völlig unzureichend. Trotzdem wird es ein Konzert, von dem man später sagt: Es war, als hätte ein Engel am Jazzpiano gespielt.

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Musik 1: Köln, January 24, 1975, Pt. I (Live)
Komposition/Interpret: Keith Jarrett; Album: The Köln Concert (Live); Label:  ECM Records; LC: 82006

Autor (voiceover): Das Köln-Konzert von Keith Jarrett. Vor 50 Jahren erscheint das Doppelalbum, ein Live-Mitschnitt aus der Kölner Oper. Bis heute ist das Köln-Konzert das erfolgreichste Solo-Jazz-Album aller Zeiten. Auf dem Cover der junge Pianist über den Flügel gebeugt, die Augen geschlossen, vollkommen vertieft in die Musik. Keith Jarrett improvisiert. Vera Brandes war dabei:

O-Ton: … also ich bin ein gläubiger Mensch und ich glaube, dass dieses Konzert wirklich ein hoch spirituelles Ereignis war, um nicht zu sagen, ein göttliches Geschenk. In manchen Podiumsdiskussionen habe ich gesagt, also dem Jarrett hat ein Engel auf der Schulter gesessen, als er das gespielt hat.

Autor: So sagt es Vera Brandes im Rückblick. Sie hat das Konzert damals organisiert: die Oper gebucht, die Tickets verkauft, für den Flügel gesorgt. Sie ist damals erst 18 Jahre alt, absolut Jazz-begeistert und besessen von der Idee, diesen besonderen Pianisten Keith Jarrett nach Köln zu holen.

Der Film "Köln 75", in diesem Frühjahr erschienen, erzählt die ganze Geschichte. Und die ist unglaublich. Denn auf der Bühne steht an diesem Nachmittag der falsche Flügel. Verstimmt, zu klein, völlig unzureichend. Der eigentlich zugesagte Bösendorfer Grand Imperial ist nicht auffindbar.

Vera Brandes improvisiert hinter den Kulissen. Versucht innerhalb weniger Stunden einen neuen Flügel aufzutreiben, während zwei Klavierstimmer den vorhandenen reparieren und stimmen. Keith Jarrett will eigentlich wieder abreisen.

O-Ton: Da kommt ja der Moment, in dem also nun ein Pianist, der eine wirklich vielversprechende, aufstrebende Karriere vor sich hat, in eine Situation, in der er sein gesamtes künstlerisches Ego in die Ecke stellen muss und vor einem Riesenpublikum, vermutlich dem bis dahin größten Publikum, vor dem er bis dahin aufgetreten war, in einem völlig unzureichenden Instrument sich entblößen muss.

Autor: Vera Brandes spürt damals, welche Überwindung Keith Jarrett das kostet. So kann er eigentlich nicht spielen. Aber die Oper ist ausverkauft. Und da ist diese junge Frau, die das alles auf die Beine gestellt hat. Keith Jarrett gibt sich einen Ruck. Er sagt, er spielt. Wegen ihr. Er will sie nicht hängen lassen. Aus Nächstenliebe.

O-Ton: Und diese Überwindung, die der Situation geschuldet war. Aber so wie er es mir gesagt hat, ein Akt der christlichen Nächstenliebe an mich war. Weil er mich als jungen Hüpfer nicht scheitern sehen wollte. Dafür hat sich der Himmel bei ihm bedankt.

Autor: Denn so hat Keith Jarrett der Welt dieses einmalige Konzert geschenkt. Millionen Menschen werden seit 50 Jahren davon berührt. 

Musik 2: Köln, January 24, 1975, Pt. IIa (Live)
Komposition/Interpret: Keith Jarrett; Album: The Köln Concert (Live); Label:  ECM Records; LC: 82006

O-Ton (overvoice): Alle waren fasziniert von dem, was da passierte. Und es gibt immer wieder Momente in Konzerten, in denen man das Gefühl hat, dass sich etwas Außergewöhnliches ereignet. Musiker sprechen immer wieder davon, dass es ein paar Konzerte in ihrer Karriere gegeben hat, wo sie auf einmal von etwas ergriffen werden, was sie nicht erklären können, wo sich musikalisch auf einmal Dinge ereignen, die sich so vorher nie ereignet haben. 

Autor: Ein göttlicher Moment? Mich jedenfalls fasziniert die Geschichte. So vieles kommt hier zusammen: Die Begeisterung dieser jungen Frau, die brennt für ihre Idee und nicht locker lässt. Die Überwindung des Künstlers, trotz aller Widrigkeiten zu spielen, ein Akt der Nächstenliebe. Und dann geht wirklich der Himmel auf. Ein Pianist über den Flügel gebeugt mit Engel auf der Schulter. Was für ein Geschenk.

Es gilt das gesprochene Wort.

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