„Viel Erfolg damit!“ ruft mir die Fachverkäuferin meines Vertrauens nach. Verdutzt blicke ich auf die dekorativ verpackte Weinflasche in meinen Händen und frage mich, worin erfolgreiches Weinverschenken bestehen könnte. Wenn man ein Glas mittrinken darf? Wenn es dem Beschenkten einen schönen Schwips beschert?
Ich habe mir mittlerweile abgewöhnt, Antwort zu suchen. Ich habe nämlich gemerkt, dass es gar nicht so viel Erfolg auf der Welt geben kann, wie einem gewünscht wird. Jetzt ist das Jahr mehr als halb rum, und ich habe nicht einen Bruchteil der Erfolgswünsche für 2015 eingelöst. Die Apotheke, die Gärtnerei, ein Hotel, in dem ich vor drei Jahren war... ich mag gar nicht aufzählen, wer alles mir viel Erfolg im neuen Jahr wünschte. Und kürzlich zum Geburtstag, da brach wieder ein Platzregen von Erfolgswünschen über mich rein – von der Autowerkstatt, vom Hausarzt und und und...
Selbstverständlich habe ich gern Erfolg und ärgere mich, wenn meine Mühe vergeblich war. Trotzdem: ich verwünsche die Erfolgwünscherei. Denn sie passt dazu, dass mittlerweile alles auf Effizienz getrimmt ist. Setze dir Ziele, und strebe danach sie zu erreichen. Verinnerliche die Kennzahlen. Vor allem: optimiere das Erreichte immer wieder. Hol alles raus aus dir, was du kannst, und überhole die anderen. Das ist der Weg zum Erfolg.
Die Sprache des Qualitätsmanagements und der Selbstoptimierung hält Einzug bis in die harmlosesten Glückwunschkärtchen. Wusste man früher nicht, was man einem wünschen sollte, dann schrieb man eben: „Gesundheit und Zufriedenheit!“ Es kommt nicht von ungefähr, dass die Zufriedenheit jetzt dem Erfolg Platz machen muss. Auf Zufriedenheit kommt es nicht mehr so an – sie steht unter dem Verdacht träge zu machen.
Für den Erfolg wird alles Mittel zum Zweck: die Motivation, die Kritikfähigkeit, die Teamfähigkeit, die soziale Kompetenz. Die Gesundheit nicht zu vergessen. Sie dient dem Erfolg. Und sie ist selbst zunehmend eine Erfolgssache: ein Erfolg der ausgewogenen Ernährung, ein Erfolg des richtigen Lebensstils, ein Erfolg des Fitnessstudios.
Bevor mir Verdrossenheit unterstellt wird: Ich wünsche mir beileibe keinen Misserfolg, aber ich wünsche mir, dass ich Misserfolg haben darf und mich deswegen nicht fürchten, schämen oder verfluchen muss. Und vor allem will ich kein Leben, dessen Sinn allein im Konzept des Erfolgs aufgeht.
Erfolg und Sinn werden oft gleichgesetzt. Das ist falsch, zumindest aus christlicher Perspektive. Die Anhänger des Jesus von Nazareth haben sich zu einem vollkommen Erfolglosen bekannt, zu einem der nicht mit Orden dekoriert, sondern hingerichtet wurde. Sie haben trotzdem an ihn und seine Auferstehung geglaubt. Er hat ihnen einen Lebensweg gezeigt, auf dem es auch Niederlagen geben darf. Denn man kann sie zusammen mit anderen überstehen und nachher wieder aufstehen. Wie man diesen Glauben von außen betrachtete, kann man an einem römischen Graffiti aus dem 2. Jahrhundert sehen: Ein Mann hebt die Arme zu einem Kreuz empor, an dem ein Esel hängt. Darunter steht: Alexamenos betet seinen Gott an.
Es ist eine Eselei, wenn man nicht den Erfolg anbetet.
Nein, so unverblümt würde das heute niemand behaupten. Aber wenn es um die Empfehlung für die weiterführende Schule geht oder das innerbetriebliche Ranking unter den Mitarbeitern, dann wird der Ton schon mal rauer. Nicht aus purem Egoismus, sondern weil die Angst so groß ist, dass man Erfolgschancen verpasst und damit vermeintlich das ganze Leben ruiniert ist. Was für ein ungnädiger Zwang! Muss man ihm wirklich gehorchen?
Interessanterweise hat die Bibel gar kein rechtes Wort für Erfolg. Sie spricht stattdessen von Segen. Segen ist ihr Wunsch für den Menschen, Segen, nicht Siegen. „Ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein“, heißt Gottes Lebensversprechen. Gott segnet unser Tun. Er segnet auch unser Lassen.