Morgenandacht
Elia und der Engel
05.11.2016 05:35

Wann ich zuletzt Hunger hatte? Ich meine, so „richtigen“ Hunger. Dass der Magen knurrte, die Beine schwach wurden, mir flau wurde? Ich glaube, diese Erfahrung ist selten geworden. „Gott sei Dank“, sagen die Älteren, die noch Hunger erlebt haben und darum als Kinder nachts nicht einschlafen konnten. Gut, dass wir in Deutschland nicht in Hungerzeiten leben müssen.

 

Andrerseits geht eine wichtige Erfahrung verloren: Der gut gefüllte Kühlschrank lässt mich oft genug vergessen, wie wertvoll ein Glas Milch und ein Stück Brot sind. So viel ist von allem da. Zu viel ist von allem da. Auch für den „kleinen Hunger zwischendurch“. Wer denkt da noch an ein Dankgebet, wenn er sich an den Tisch setzt? Auch gemeinsame Mahlzeiten in den Familien werden seltener. Nehme ich mir genug Zeit, das Essen so richtig zu genießen? Langsam kauen, auf den Geschmack achten, bewusst essen – dafür ist oft keine Zeit. So ist sie, unsere gut gesättigte westliche „Fast Food“-Gesellschaft im 21. Jahrhundert.

 

Hungrig ist der Prophet Elia. Er ist ein gebrochener Mann. Unter einem Ginsterbusch ist er zusammengebrochen. „Du musst sterben“, haben ihm die Mächtigen des Landes gesagt. Denn Elia hatte sich gegen den König gestellt, hatte auch Fehler gemacht. Und so verließ Elia die schützenden Mauern der Stadt, floh über staubige Straßen und ausgetretene Pfade; rannte um sein Leben – mitten hinein in die Wüste, wo kein Mensch mehr ist, kein Weg weiterführt, kein Laut erklingt. Und er hat Hunger. Der Durst quält ihn. Er hat nichts bei sich, hier gibt es kein Wasser. „Sterben will ich“, sagt der Prophet Elia und legt sich unter einen Ginsterbusch. Die grünen Zweige sind ein letztes Zeichen dafür, das hier, irgendwo in der Ödnis, zumindest etwas überleben kann – und sei es nur ein Strauch. Aber kann Elia in der Wüste überleben?

 

Der Prophet auf der Flucht: Hungrig wie er ist schläft er ein. Wovon er geträumt hat? Vielleicht erinnert er sich in seinem Hungertraum an eine wundersame Begebenheit, die er vor einiger Zeit erlebt hatte: an einem Bach namens Krit. Als er dort hungrig war, kamen Raben und brachten ihm Brot. Und Elia trank Wasser aus einem klaren Bach. Eine Überlebensquelle für den müden Propheten. Einmal wurde er also gerettet durch Gottes Hilfe – und durch die Raben. Aber nun – mitten in der Wüste?

 

Da berührt ihn ein Engel im Schlaf. Und als Elia aufwacht, da sieht er neben sich einen Krug mit Wasser und ein Stück Brot. Elia isst und trinkt und sinkt erneut in tiefen Schlaf. Und als er aufwacht, sind da wieder die Hand des Engels und Wasser und Brot. Und Elia isst und trinkt, dankbar kommt er zu Kräften. Wunderbar ist die Geschichte auf vielen Bildern und in Kirchenfenstern dargestellt. Der Mann am Boden, die himmlische Gestalt, die ihm den Kopf stützt. Ein Durstiger, der trinkt, ein Hungriger, der satt wird. Und dann steht er auf und geht – 40 Tage und Nächte durch die Wüste zum Berg Gottes. So erzählt es die Bibel im 1. Buch der Könige.

 

Was braucht ein Mensch? Nicht viel, um zu überleben. Ein kräftiger und gesunder Mensch kann wochenlang mit wenig Nahrung auskommen, vorausgesetzt, er hat Wasser. Aber es verändert einen Menschen. Wer Hunger einmal wirklich erlebt hat, wird eine Mahlzeit anders erleben – sie wertschätzen, achten, genießen.

 

Vom „Fast Food“ zum „Slow Food“ – bewusst Essen. Danken anstatt alles wie selbstverständlich hinnehmen. Bewusst genießen anstatt einfach nur zu essen. „Mal Zeit“ nehmen beim Essen statt einfach nur „Mahlzeit“ sagen.

 

„Unser tägliches Brot gib uns heute...“ beten Christen im Vaterunser. Die Bitte erinnert an eine Zeit, in der es nicht selbstverständlich war, dass genug Essen da war: „Unser tägliches Brot gib uns heute!“ Jedes einzelne Essen ist ein Grund darum zu bitten – und erst recht dafür zu danken.

Sendungen von Superintendent Jan von Lingen