Morgenandacht
Gemeinfrei via Unsplash/ Brina Blum
Trost
Morgenandacht von Pfarrerin Cornelia Coenen-Marx
13.09.2023 06:35

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Die Sendung zum Nachlesen: 

Eine Frauengruppe in der Ukraine. Junge Witwen, die sich einmal in der Woche in einer Trauergruppe treffen. Fotos anschauen, Geschichten erzählen, ohne Scham weinen und auch wieder lachen. In dem Fernsehbericht war schön zu sehen, wie offen die Frauen einander begegneten. Sie teilten das gleiche Schicksal. Das ganze Leben hatte sich verändert - das private, aber auch das öffentliche. Ich dachte: Diese Gruppe ist wie eine Oase für die Frauen. Hier tut keine so, als wäre nichts passiert.  Alle wissen: Diese Wunde wird nie mehr ganz heilen.

In den Niederlanden gibt es die Villa TrösT. Da kann hinkommen, wer mit seinem Schmerz nicht allein bleiben will. Es gibt eine Werkstatt zum Töpfern, ein Studio zum Malen, ein Café, um einfach zusammen zu sitzen. Die Ehrenamtlichen, die hier arbeiten, kennen den Schmerz. Sie hören einfach zu und geben Raum für Gespräche, für Tränen, für Erinnerungen. Die Gründerin der Villa Tröst, Anne Goossensen, sagt, das sei das Drama in unserer Gesellschaft: Wir gäben einander zu wenig Raum für Trauer. Allzu schnell würden wir von uns selbst und anderen erwarten, dass wir wieder funktionieren. Diese Unfähigkeit zu trauern - vielleicht ist sie der Grund, warum die Gesellschaft so trostbedürftig ist.

Es gibt kein Leben ohne Brüche, aber es gibt ein Glück in den Brüchen des Lebens.  Ein Glück, das durch die Risse hindurchleuchtet. „There‘s a crack in every thing, that‘s how the light gets in“, hat Leonhard Cohen gesungen. „Es gibt einen Riss in allem. So kommt das Licht herein.“  Ich denke an die Seligpreisungen Jesu. Er nennt die Trauernden, die Kranken und die Armen selig.  Menschen, die den Mangel und die Leere kennen und ihre Verletzlichkeit schmerzhaft spüren.

Das deutsche Wort „G- lück“ verweist auf eine Lücke. Manchmal reißt das Leben eine Lücke, durch die ich hindurchsehen kann, durch die etwas Neues auf mich zukommt. Es kann eine Verletzung sein, die alles verändert. Der Tod, eine Trennung, ein Krieg können dazu führen, dass man ganz und gar neu anfangen muss. Und vielleicht sogar ein neues Glück erleben darf, wenn die Lücke sich noch einmal schließt. Selig sind die Leidtragenden, hat Jesus gesagt – sie sollen getröstet werden.

Vielleicht klingt das wie ein leeres Versprechen. Dann liegt vielleicht der einzige Trost darin, mit der Lücke zu leben -als wäre es eine Tür in eine andere Wirklichkeit. So wie Antoine Leris, der in der Terrornacht von Paris seine geliebte Frau verlor. Den gemeinsamen Sohn, der damals 17 Monate alt war, zieht er nun alleine auf. Mit ihm bleibt auch seine Liebe lebendig. „Meinen Hass bekommt ihr nicht“, nannte Leris sein Buch, das ein Bestseller wurde, programmatisch.

An jenem Abend im November 2015, als mehrere Terroranschläge hintereinander Paris erschütterten, kamen viele nicht mehr nach Hause und irrten durch die Straßen. Soziale Medien riefen dazu auf, anderen einen Schlafplatz anzubieten. # porte ouverte. Das war nicht ohne Risiko. Trotzdem öffneten unzählige Menschen ihre Türen und nahmen Fremde auf. So öffnete sich noch in der Nacht des Terrors ein Fenster zur Zukunft.

Glückseligkeit hat wohl damit zu tun, dass wir Türen öffnen, dass wir nicht so tun, als lebten wir in einer heilen Welt, während anderswo Menschen leiden. Das Glück, von dem die Bibel spricht, hat offene Augen. Das wissen alle, die mit dem eigenen Auto in die Ukraine gefahren sind, um Geflüchtete aus dem Krieg zu holen. Die ihre Wohnung öffneten, um Ausgebombten Heimat zu bieten. Die während der Flutkatastrophe an die Ahr fuhren, um Wohnungen zu reparieren. Sie erlebten das angeschlagene Glück der Menschlichkeit, erfuhren Sinn und Gemeinschaft.

Ob sich im Tod eine Tür zum Leben öffnet? So habe ich das bei einem älteren Mann erlebt, den ich mit seiner Familie durch eine längere Krankheit begleiten durfte. Als wir am letzten Abend gemeinsam um sein Bett standen, schaute er aus dem Fenster, winkte uns und sagte leise „Wir sehen uns wieder, ganz bestimmt“.  Was für ein Trost.

Es gilt das gesprochene Wort.