In Zeiten der Ungewissheit genügt manchmal ein kleiner Wink, um Zuversicht zu schöpfen.
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Es war Sommer. Draußen schien die Sonne. In mir sah es finster aus. Ich wartete auf ein medizinisches Untersuchungsergebnis. Es könnte völlig harmlos ausfallen. Aber im schlechten Fall drohte eine schwere Erkrankung, die mein Leben verändern würde. Es waren noch ein paar Tage, bis ich die Diagnose bekommen sollte, und ich hielt es in meinen vier Wänden nicht mehr aus.
Ich fuhr raus aus der Stadt an einen abgelegenen, kleinen See. Normalerweise sind dort nicht viele Leute und schon gar nicht Menschen, die ich kenne. Aber als ich mir am Ufer einen Platz suche, sehe ich einen Kollegen mit seiner Familie. Ich kenne ihn nicht gut. Ein netter Kollege, aber heute wollte ich niemanden sehen, mit niemandem reden müssen. Ich zögere, aber bleibe schließlich trotzdem da und breite mein Badetuch aus. Der Kollege winkt mir freundlich zu, ich winke zurück.
Nach einiger Zeit gehen er und seine Frau mit ihrem vielleicht sechs- oder siebenjährigen Sohn ins Wasser. Da erst sehe ich: Der Sohn hat eine mehrfache Behinderung. Er kann nicht gehen, nicht sitzen, nicht sprechen. Er lag bislang auf der Decke im Gras. Seine Eltern schieben ihn nun im Rollstuhl zum Ufer und heben ihn gemeinsam ins Wasser.
Der Junge erschrickt kurz, als es nass und kühl um ihn herum wird. Dann breitet sich ein Lächeln in seinem Gesicht aus. Er genießt, wie seine Mutter und sein Vater ihn durch die sanften Wellen ziehen. Nach dem Baden braucht es viel Zeit, bis sie ihn zurück in den Rollstuhl gehoben haben und zu ihrem Platz fahren. Er liegt wieder auf der Decke im Gras. Seine Eltern hüllen ihn in ein großes Badetuch und rubbeln ihn ab. Er lacht und juchzt dabei.
Ich sehe das von meinem Platz aus und denke: Leben. Manchmal schwer zu tragen, aber trotzdem Leben mit Lachen und Juchzen, mit Blick in den Himmel und Baden im See. Mein Kollege und seine Familie schaffen das. Vermutlich nicht an jedem Tag gleich, aber hier und jetzt gerade. Dann wird sich mir auch ein Weg zeigen, wie ich mit der Diagnose leben kann, sollte sie schlecht ausfallen.
Das Winken des Kollegen war für mich ein Wink. In Situationen der Ungewissheit brauche ich Zeichen, die Mut zum Leben machen. Woher auch immer sie kommen.
Ich bin trotzdem mit weichen Knien ein paar Tage später zu meiner Ärztin gegangen, die mir das Untersuchungsergebnis mitteilte: Es ist nichts. Alles in Ordnung. Gott sei Dank. Auch für den Tag am See, den ich nie vergessen habe.
Es gilt das gesprochene Wort.
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