Morgenandacht
Scherben bringen Glück
15.01.2015 05:35

Ein lautes Klirren aus der Küche. Oh je, hier ist etwas zu Bruch gegangen. Hier kann man nur noch die Scherben aufkehren. So ein Ärger! Die meisten Menschen erschrecken richtig, wenn so etwas passiert. Für Kinder ist das oft ganz furchtbar: Ganz aus Versehen ist etwas runter gefallen. Ein Teller, eine schöne Blumenvase, ausgerechnet eins von den guten Gläsern. Dann zucken sie zusammen, beteuern, dass es doch keine Absicht war, und vielleicht fließen sogar Tränen, weil etwas kaputt ging. Man kann ja wirklich nur noch die Scherben zusammenkehren – aber es wird nicht wieder ganz.

 

Nun, der Schreck vergeht, Eltern und Kinder können sich beruhigen, es wird wieder gut. Es war ja nur irgendein Gegenstand, niemand ist verletzt. Und war es wirklich so schlimm? Gehört es nicht zum Leben dazu, dass mal etwas zu Bruch geht?

 

Wir Älteren denken vielleicht schon an andere Brüche. Unsere Scherben. All das, was uns nicht so gelingt, wie wir uns das vorstellen. Wenn wir anderen Menschen nicht gerecht werden. Besonders denen, die uns nah sind. Wenn wir Hoffnungen und Träume pflegen, die dann doch nicht in Erfüllung gehen. Unsere Unzulänglichkeiten, unsere gescheiterten Pläne, unsere Scherben. Wie leben wir damit?

 

Eugen Roth hat  gedichtet: Ein Mensch wünscht sich ganz unaussprechlich,  dass Glück und Glas sei unzerbrechlich.  Die Wissenschaft vollbringt das leicht; beim Glas hat sie’s schon fast erreicht.

 

Tja – und beim Glück? Da bleibt einem das Lachen im Halse stecken. Und dennoch: Scherben bringen Glück, sagt ein Sprichwort. Wieso eigentlich? Steckt in jedem Bruch auch eine Chance? Beginnt dann etwas Neues? Kann sich unser Leben genau dann verändern – zum Guten?

Manchmal ist es so. Zum Beispiel wenn ein großer Umzug ansteht. Da schwören die alten Nachbarn und Freunde, dass sie vorbeischauen und in Kontakt bleiben. So weit ist es ja nicht, wir besuchen euch mal, wir telefonieren. Aber wenn’s dann soweit ist, sind all die Schwüre bald vergessen. Mit der Zeit zeigen sich erste Risse. Ein einziger Besuch kommt zustande, seit Wochen hat keiner mehr angerufen. Es ist doch etwas abgebrochen. Aber es fängt auch etwas an. Erste Kontakte, neue Freunde – und bald das gute Gefühl, an dem neuen Ort zu Hause zu sein. Und wer weiß, vielleicht werden die neuen Freundschaften anders gepflegt als früher – damit sie Bestand haben.

 

Oder wenn eine Beziehung kaputt geht. So sagt man das ja: Eine Ehe ist „in die Brüche gegangen“. Manche machen noch einmal einen neuen Anlauf, versuchen, die Scherben aufzulesen und die Risse zu kitten – oder noch einmal ganz neu zusammenzukommen. In der Eheberatung wird das ziemlich bald gefragt: Geht es noch um eine neue, gemeinsame Zukunft oder eher um eine faire Trennung? Oft gelingt es nicht, das Gemeinsame zu aktivieren, die Liebe zu beleben, den Neuanfang zu wagen. Dann sind die Verletzungen zu groß und Menschen bleiben beschädigt zurück.

 

Ein Dichter der Bibel sagt: Der HERR ist nahe denen, die zerbrochenen Herzens sind, und hilft denen, die ein zerschlagenes Gemüt haben (Ps 34,19). Manchmal ist das der Kitt: Wenn ich glauben darf, Gott hält noch zu mir. Er will, dass ich lebe. Ich soll etwas Neues anfangen, denke ich dann. Vielleicht muss ich das noch finden.

 

In einem Gottesdienst mit vielen Kindern haben wir mal zwei bunte Vasen zu Bruch gehen lassen. Erst war’s ein Schreck. Dann haben wir über Scherben nachgedacht. Und schließlich haben die Kinder in einem großen, mit Sand gefüllten Rahmen, aus all den Scherben ein buntes Mosaik gelegt. Etwas völlig Neues war entstanden.

 

Eine ältere Dame erzählt mir das im Rückblick auf ihre Scheidung. Damals sei sie schon sehr verletzt gewesen. Da hatte sie manche Träne geweint. Aber im Rückblick habe ihr die Trennung gut getan. Sonst hätte sie nie wieder ihren Beruf ergriffen, viele gute Freundinnen und Freunde nicht kennengelernt, manche Reise nicht gemacht. Man sieht es ihr an: Stärker und selbstbewusster ist sie geworden. Nicht obwohl, sondern weil damals etwas in die Brüche ging.

 

Scherben bringen Glück? Vielleicht nicht sofort,  sicher nicht immer. Aber manchmal schon.