Morgenandacht
Eleanor Rigby
22.09.2015 06:35

Plötzlich hatte ich diesen alten Beatles-Song im Kopf: Eleanor Rigby. Es war auf der Rückfahrt vom Friedhof, von einer Beerdigung, die ich als Pfarrer gehalten hatte. Ich wusste sofort, warum mir gerade dieses Lied eingefallen war: „Look at all the lonely people – Sieh doch, alle diese einsamen Menschen“ – das passte einfach zu der Situation, die ich gerade erlebt hatte. Ich war an diesem strahlend schönen Spätsommermorgen fast alleine über den Friedhof gegangen, nur begleitet von dem Friedhofswärter, der die Urne der Verstorbenen zum Grab trug. Keine Familie, keine Freunde, kein Nachbarn. Niemand ging mit, um Abschied zu nehmen. Niemand trauerte um die Frau, die mit 67 Jahren verstorben war. Eine sogenannte Ordnungsamtsbeerdigung, wieder einmal. In den letzten Jahren kommt das häufiger vor. Und immer wieder muss ich dann an das Beatles-Lied über Eleanor Rigby denken, eine Frau, die auch so einsam lebte und starb und von einem gewissen Father Mc Kenzie beerdigt wurde, bei dessen Predigt niemand zuhörte.

 

Wenn jemand stirbt, und es gibt keine Angehörigen oder Freunde, die sich um die Beerdigung kümmern, dann muss das Ordnungsamt das in die Hand nehmen. Und alles geht seinen bürokratischen Gang. Ein Beerdigungsunternehmer wird beauftragt, die billigste Form der Bestattung durchzuführen: Urnenbeisetzung ohne Trauerfeier auf einem anonymen Gräberfeld. Nachbarn oder Bekannte werden nicht benachrichtigt, es gibt keine Todesanzeige. Oft merken sie erst viel später, wenn die Wohnung geräumt wird, dass jemand aus demselben Haus oder aus der Nachbarschaft gestorben ist. Und niemand weiß dann, wo das Grab ist, denn auf anonymen Gräbern gibt es eben keine Grabsteine.

 

Auch Kirchengemeinden und ich als Pfarrer erfahren manchmal erst Monate später, dass ein Gemeindemitglied gestorben ist: durch eine Routinemeldung vom Einwohnermeldeamt. Für eine Trauerfeier oder eine Begleitung bei der Bestattung ist es dann zu spät. Das will ich als Christ nicht einfach so hinnehmen. Ich sehe es als Aufgabe, meine Mitmenschen auch auf dem letzten Weg zu begleiten, für sie zu beten und ihr Andenken zu bewahren. Für mich gehört das zur Würde des Menschen, die auch mit dem Tod nicht endet. Und es ist ein Zeichen für die christliche Hoffnung, dass persönliches Leben, das was Menschen ausmacht, über die begrenzte Zeit des Erdenlebens hinaus einen Platz hat in Gottes Ewigkeit.

 

Darum haben wir Pfarrer hier in Köln vor einiger Zeit mit den Bestattern und den Mitarbeiterinnen beim Ordnungsamt vereinbart, dass sie uns informieren, wenn jemand aus unseren Gemeinden ohne Angehörige beerdigt werden soll. So kann ich wenigstens mit zum Grab gehen, dort einen Psalm und ein Vaterunser beten und den Verstorbenen der Liebe Gottes anvertrauen. Das ist nicht viel. Einem ganzen Menschenleben, das zu Ende gegangen ist, sollte mehr Erinnerung und Anteilnahme zukommen. Aber immerhin ist es menschlicher, als wenn jemand ohne jede Begleitung begraben wird. Einmal im Monat gedenken wir in einem besonderen ökumenischen Gottesdienst dieser Menschen, die am Ende ihres Lebens ganz alleine waren. Wir nennen ihre Namen und vertrauen darauf, dass in Gottes Gedächtnis ihr Name bewahrt bleibt.

 

All the lonely people – where do they all belong? Ja, wohin gehören alle diese einsamen Menschen? Ich glaube, das Gedenken an die Verstorbenen, auch an die einsamen, ist eine Aufgabe aller Menschen. Eleanor Rigby, die Namensgeberin des Beatles-Songs, hat übrigens einen Grabstein auf einem Friedhof von Liverpool. Sie wurde dort offensichtlich im Kreis ihrer Familie schon 1939 beigesetzt. Paul McCartney, der das Lied schrieb, meinte später, er habe ihren Namen wohl unbewusst bei einem Gang über diesen Friedhof in sein Gedächtnis aufgenommen. Und so wurde Eleanor Rigby zu einer Art Patronin der Menschen, die einsam sterben und doch einen Ort haben sollen: im Gedenken ihrer Mitmenschen und im Gedächtnis Gottes.