Wort zum Tage
Wenn Gott schweigt
07.08.2015 06:23

„Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Dieser Schrei Jesu am Kreuz gilt als seine schrecklichste Erfahrung mit Gott. Tiefste Verzweiflung und Einsamkeit, größter seelischer Schmerz und die Scham eines Gefolterten. All das liegt da drin. Und so berührt dieser Schrei Gläubige wie Atheisten, weil er diesen menschlichen Nöten eine Sprache gibt. Doch vor diesem Schrei gibt es einen noch tieferen, noch dunkleren Moment in der Lebensgeschichte Jesu. Da rückt ihm Gott nicht nur in unendliche Ferne. Da wird Gott zum Abgrund, zur Finsternis. Es ist in der Nacht seiner Gefangennahme. Im Garten Gethsemane hat er sich zurückgezogen, mit der dunklen Ahnung schon, dass er in Lebensgefahr ist. Jesus ist mutterseelenallein. Er fragt nach Gottes Willen und fleht unter Tränen und Angstschweiß, das Schlimmste möge ihm erspart bleiben - aber dein Wille geschehe, nicht mein Wille… An diesem Wendepunkt ins tiefste Vertrauen hört er die Soldaten anrücken, die ihn gefangen nehmen werden. Dann kommt der Kuss des Freundes und das Verhängnis nimmt seinen Lauf. Und er sagt: „Das ist eure Stunde und die Macht der Finsternis“.

 

Wem gehört diese Stunde? Wer bestimmt das Geschehen? Wessen Wille geschieht hier?  Sollte Gott selbst als Macht der Finsternis auftreten - in diesem dreckigen Geschäft, das Menschen verrichten? Wer einmal in solche Abgründe hineingerät , dem schwinden alle Gewissheiten, dessen Grundvertrauen wird erschüttert. Es ist der dunkle, verborgene Gott, dem man sich ausgesetzt sieht, so nannte ihn Martin Luther. Es ist das abgewandte Antlitz Gottes, sagen jüdische Rabbiner.  Da kommt man nicht weiter, da gibt es keinen Kontakt. Da herrscht eisiges Schweigen. Die Welt wird  zum grausamen Ort der Seelenqual. Und die Finsternis, in die Gott versinkt, breitet sich im eigenen Inneren aus.

 

Was können wir tun, wenn wir in eine solche Nacht hineingeraten? Was können wir tun, wenn wir andere durch die Nacht ihrer Seele begleiten sollen? Martin Luther hat in diesem Ringen um Gott den Christus für sich entdeckt. Seit Gethsemane ist doch noch ein Gebet möglich. Zu Christus, der diese Finsternis kennt. Zu ihm kann ich kommen. Ihn kann ich anderen zeigen. Und vielleicht gelingt es dabei dem Schwermütigen, sein Herz an diesem Christus festzumachen. Sich aufzurichten an ihm. Der zweite Petrusbrief schildert das so:

 

„Wir sollen auf ihn achten als auf ein Licht, das an einem dunklen Ort leuchtet, bis der Tag anbricht und der Morgenstern aufgeht in unseren Herzen.“ (2. Petr 19 b)