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Mit den Flüchtlingen aus dem Nahen Osten ergeben sich auch für die Kirchen neue Fragen. Zwar sind es in überwiegender Mehrzahl Muslime, die nach Deutschland kommen; doch für die christliche Hilfsbereitschaft spielt der Glaube der Schutzsuchenden keine Rolle. Viele Christen engagieren sich für Betreuung und Integration der wurzellos gewordenen Menschen. Ob beabsichtigt oder nicht - dadurch bekommen viele Muslime Kontakt zum christlichen Glauben. Manchmal fällt dieser Kontakt so überzeugend aus, dass Menschen mehr wissen wollen über den christlichen Glauben. Immer wieder kommt es dann dazu, dass einzelne die christliche Taufe begehren. Taufe ist immer ein individuelles Geschehen, gleichzeitig aber öffentliches Bekenntnis, dass Menschen als Getaufte zu Jesus Christus und der christlichen Gemeinde gehören. Matthias Vosseler, Pfarrer der Stiftskirchengemeinde in Stuttgart, erzählt aus seiner Gemeindepraxis:
„Also wir hatten im Frühjahr hatten wir acht Menschen aus dem Irak und aus Syrien getauft, die als Flüchtlinge zu uns gekommen sind, und wir haben jetzt im Oktober elf Menschen aus dem Iran und aus Afghanistan, getauft, wo wir dann den Taufunterricht auf Farsi gemacht haben. Das war jetzt bisher, und haben jetzt einen neuen Taufkurs auch wieder auf Farsi mit Menschen aus dem Iran und Afghanistan, wo auch wieder 15 Personen ungefähr dabei sind, Erwachsene, aber auch eine ganze Reihe von Familien.“
Wie kommen Menschen darauf, sich einer fremden Religion, also der christlichen, anzuschließen?
„Also das Interessante bei der ganzen Sache ist, also, es läuft nicht so, dass wir in die Flüchtlingsheime gehen und sagen, jetzt seid ihr in Deutschland, jetzt müsst ihr zu uns kommen, sondern es sind ausschließlich Menschen, die kamen von selbst in die Kirche, haben die Kirche sich angeschaut, waren mal bei einem Gottesdienst dabei und haben gesagt, ich habe Interesse, mehr von diesem Glauben zu erfahren.
…und sind zu Ihnen gekommen oder zu irgendwelchen Leuten… und sind dann gekommen, waren öfters da, man kam in Kontakt, hat miteinander geredet, und wir haben einfach gesagt, wir würden gern noch mehr erfahren. Die meisten hatten schon Erfahrungen aus ihrem Heimatland. Das war für mich spannend also heut zum Beispiel über die modernen Medien, also viele hatten über Youtube schon christliche Videos sich angeschaut. Manche waren auch je nachdem, in welchem Land sie studiert hatten, im Libanon zum Beispiel, auch schon im Kontakt mit christlichen Gemeinden, also es war oft nicht ein Erstkontakt bei uns, sondern sie hatten schon eine gewisse Vorahnung, die sie mitgebracht haben.“
Auch Pfarrer Vosseler aus der Stiftskirchengemeinde Stuttgart kennt das Vorurteil, dass Täuflinge sich von ihrer Taufe vor allem Vorteile bei ihrem Asylantrag versprechen:
„Also das ist in der Tat eine Frage, die auch uns oft gestellt wird, kommen die nur, um eine bessere Chance zu haben auf Asyl. Da muss ich zwei Dinge dazu sagen: Mit das erste, was ich im Taufunterricht immer gesagt habe, dass ich gesagt habe, Taufe und Asyl, das sind grundsätzlich zwei ganz unterschiedliche Dinge. Es ist auch de facto so, wenn jemand getauft ist, heißt das noch gar nicht, dass er‘s dann sozusagen automatisch Asyl bekommt, sondern er muss dann auch im Asylverfahren nachweisen, die Integrationswilligkeit und eben auch eine Kenntnis im christlichen Glauben.“
In der Stuttgarter Stiftskirchengemeinde gibt es dafür einen entsprechenden Unterricht, eine Art Kurs für taufwillige Muslime:
„Wir machen zum Beispiel bei denen, die jetzt im Oktober getauft wurden, habe ich über viele Monate hinweg, ich sag das oft, das müssten wir auch bei den Kindertaufen eigentlich machen, die wir haben, über viele Monate hinweg Taufunterricht gemacht, Woche für Woche, nach dem Samstagabendgottesdienst gab‘s Taufunterricht. Ich hab zum Glück schon lange zwei Menschen in der Gemeinde, die Farsi und Deutsch gut sprechen, weil sie selber aus dem Iran kommen, das waren für mich so ganz wichtige Anlaufstellen, die sind auch immer dabei, wir machen Taufunterricht, wir haben Farsi-Bibeln, demnächst jetzt auch Bibel auf Deutsch und Farsi, wo wir einfach die biblischen Bücher und Geschichten miteinander behandeln, denn wer sich taufen lässt, muss sich ja auch auskennen.“
Das Matthäusevangelium erzählt, dass Jesus am Schluss seiner irdischen Wirksamkeit die Jünger auffordert: „Gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“ Über den Taufbefehl Jesu an seine Jünger spreche ich mit Dekan Eckhard Schultz-Berg aus Stuttgart-Bad Cannstatt. Müssten nicht die Christen aktiv in die Unterkünfte der muslimischen Flüchtlinge gehen, dort Menschen zum christlichen Glauben bekehren und so das Begehren nach der Taufe wecken?
„Es gib Gruppen, die so denken, aber Taufbegehren, es begehrt nicht die Kirche, dass sie jemand tauft, sondern ein Täufling oder einer, der getauft werden möchte, ein Mensch begehrt die Taufe. Es ist für mich noch ein Unterschied, ob ich begeistert von meinem Glauben erzähle, oder ob jemand die Taufe begehrt, es ist nicht direkt miteinander verbunden.“
Ein großer Teil der Ehrenamtlichen und Freiwilligen unterstützt Flüchtlinge aus christlicher Motivation heraus. Nächstenliebe und Barmherzigkeit sind die Werte, die sie zum Handeln und Helfen bewegen. Sie lassen sich vom christlichen Glauben nicht trennen, sind aber mit missionarischem Handeln auch nicht einfach gleichzusetzen. Dekan Schultz-Berg ist eine differenzierte Wahrnehmung wichtig:
„Erzählen und Handeln. Also ich denke schon, allein schon unsere Haltung, die Haltung vieler Kirchengemeinden, vieler Ehrenamtlicher in den Kirchengemeinden, die überproportional hoch sich in Flüchtlingsarbeit engagieren. Die zeigt 'ne Grundhaltung, und die kommt ja nicht von irgendwoher, sondern ich denke schon, es ist die tiefe, die tiefe Ansicht eines Christen oder vieler Christen, dass sie sagen: Unser Herr Jesus hat gesagt, andere Menschen müssen uns am Herzen liegen und entsprechend handeln wir. Ich kenne etliche Leute aus dem pietistischen Milieu, die sagen: Ich bin sonst normalerweise nicht so in Berührung mit anderen Religionen, aber unser Herr Jesus hat gesagt, wir müssen helfen, und das machen wir. Und das ist für mich der erste Teil, dass da ersichtlich wird: Wer bin ich, wer ist da, dass wir darin sichtbar werden, muss ich sagen, dass wir darin sichtbar werden.“
Jemanden zu unterstützen, ihm zu helfen, das geschieht nicht in der Absicht damit auch vom eigenen Glauben zu überzeugen. Müsste Jesu Auftrag folgend für Christen nicht noch ein zweiter Teil hinzukommen?
„Der zweite Teil ist, dass natürlich das immer auch verknüpft ist mit dem Wort. Als gute evangelische Christen haben wir natürlich immer 'ne Wortgrundlage, das Wort Gottes, das uns zum Handeln motiviert. Die einen sind mehr praktisch unterwegs, die andern erzählen aber auch, was sie motiviert, was ihre Hintergründe sind. Das muss man nicht verschweigen, aber man muss es auch nicht wie ein großes Schild vor sich her tragen: Hallo, ich bin Christ, deshalb bin ich so nett zu dir.“
Es gibt Pfarrer, die sehr vorsichtig sind, wenn ein Muslim die Taufe begehrt, und sie verweigern die Taufe lieber einmal zu viel als zu wenig. Dekan Schultz-Berg aus Stuttgart hat eine klare Haltung dazu:
„Verweigern werde ich die Taufe sowieso nicht. Wenn jemand die Taufe begehrt, dann bekommt er sie, aber er bekommt sie erst nach 'nem intensiven Kurs und natürlich auch nach Gesprächen. Und da würd ich, sag ich noch mal, 'n Flüchtling hat da für mich den gleichen Zustand wie 'n anderer, und ich geh davon aus, dass man auch bei Gesprächen 'n Stück weit spürt, ob jemand innerlich an der Sache beteiligt ist oder ab er nur aus äußeren Gründen zum Christentum möchte. Also ich würde nie 'ne Hoppla-Hopp-Taufe machen, um einen Aufenthaltsstatus zu gewährleisten, sondern das ist 'ne Beziehungs- da muss 'ne Beziehung entstehen zum Pfarrer.“
Nur zum Pfarrer?
„Natürlich, es muss 'ne Beziehung zu Gott, und zwar zu 'nem christlichen Verständnis Gottes oder Allahs, das ist ja dasselbe Wort, muss entstehen, und ich denke, dass dazu ein Taufunterricht auch Aufschlüsse gibt und letztendlich auch zu 'ner Klärung führt. Also, Taufe ist ein längerer Prozess.“
Die Taufe ist keine Garantie für eine Aufenthaltsgenehmigung oder ein Asyl in Deutschland. Es kann passieren, dass getaufte Christen in ein muslimisches Land zurückgeschickt werden und dort Repressionen bis hin zur Todesstrafe ausgesetzt sind. Viele Täuflinge haben davor Angst, das weiß Pfarrer Matthias Vosseler von der Stiftskirche Stuttgart:
„Doch, die Angst ist da, das ist richtig, auch wenn man formal sagt, Afghanistan ist vielleicht nicht so schlimm wie jetzt in einem andern Land, aber die Angst bei denen, abgeschoben zu werden, ist auch dann sehr groß. Das ist richtig. Aber wir gehen von hier aus, wir haben ein Land, in dem Religionsfreiheit herrscht, und jeder Mensch, das ist so mein Ansatzpunkt, jeder Mensch darf sich hier bei uns frei zu einer Religion bekennen und die sich ohne Druck aussuchen.“
Auch Dekan Eckhard Schultz-Berg aus Stuttgart-Bad Cannstatt steht vor der Frage: Was ist, wenn ein ehemaliger Muslim, nun aber getaufter Christ dann doch abgeschoben wird; geschieht ihm dann nicht Übles?
„Also zunächst mal, wenn ihm Übles passiert zu Hause, dann dürfte er nicht abgeschoben werden.“ – „Das heißt, sie müssten als Kirchenmann handeln?“ – „Ja, beziehungsweise ich muss mich natürlich da auch auf Fachleute verlassen, die die Verhältnisse in einem Land kennen. Bei Syrern ist das vielleicht noch relativ einfach, und auch beim Irak haben wir Vorstellungen, aber wenn ich Richtung Gambia und die afrikanischen Staaten schaue, da habe ich viel zu wenig Einblick, da muss ich mich auch auf, sag ich jetzt, Informationen von staatlichen Stellen, aber auch von Entwicklungsdiensten und amnesty international gründen.“
Das Zeugnis eines Pfarrers und von nichtstaatlichen Organisationen ist bei Asylverfahren von nur geringem Gewicht. Das Gericht behält sich die eigene Urteilsfähigkeit in diesen Fällen vor. Wie man aber gerichtlich die innere Einstellung eines Menschen zu seinem von ihm öffentlich bezeugten Glauben beurteilen kann, wird wohl das Geheimnis der Richter bleiben. Und ein heikler Punkt, der sich mit der Religionsfreiheit im deutschen Staat nur schwer verträgt, wenn über die Wahrhaftigkeit der Religionszugehörigkeit nicht der Gläubige selbst, sondern die Einschätzung von Sachbearbeitern und Juristen entscheidet.
Der Glaube an Jesus Christus ist von elementarer Bedeutung für das Leben und Sterben eines Menschen. Für seine irdische Existenz aber kann das Bekenntnis dazu durchaus bedrohliche Folgen haben, hier in Deutschland und auch in den Herkunftsländern von Flüchtlingen und Migranten. Die Kirche kann sich für ihre Brüder und Schwestern im Glauben einsetzen, aber die Folgen einer bewussten Glaubensentscheidung nicht in jedem Fall abwenden. Dass dennoch Menschen ihr Leben und Denken Jesus Christus anvertrauen, ist ein Zeichen seiner Überzeugungskraft. Dekan Eckhard Schultz-Berg von der Evangelischen Kirche Stuttgart-Bad Cannstatt ist es wichtig, nicht allein juristisch und rational über die grundlegende Glaubensentscheidung für die christliche Taufe zu sprechen:
„Also, ich denke, Taufe ist immer etwas, was der Heilige Geist wirkt oder was uns in gewisser Weise geschenkt wird, so ähnlich wie Glück. Glück können Sie auch nicht selber machen, sondern Glück wird Ihnen geschenkt und manchmal natürlich die traurige Stimmung, das kennt jeder, aber Sie können nicht auf Kommando glücklich sein, sondern da kommt noch was dazu; und der Heilige Geist ist für mich eine noch größere Dimension, die da dazutritt und die Taufe müssen wir ein Stück weit auch ihm überlassen.“
Musik:
1) Felix Mendelssohn-Bartholdy, Lied ohne Worte Presto in E-Dur op. 38,3
2) Felix Mendelssohn-Bartholdy, Lied ohne Worte, agitato in a-Moll, op. 38,5