Der Blick auf den Wohnungsmarkt kann sehr verschieden ausfallen. Die Perspektive ändert sich, je nachdem, ob jemand in einer Eigentumswohnung sitzt oder auf der Suche nach bezahlbarem Wohnraum ist, ob er sich mit einer Eigenbedarfsklage herumschlägt oder als Inverstor nach guten Anlagemöglichkeiten sucht. Bringt man all diese Gruppen zusammen, so kann man ziemlich genau vorhersagen, welche Position die einzelnen Vertreter einnehmen werden. Und erstaunt wird man feststellen, wie wenig Verständnis sie für die Position der jeweils anderen Parteien entwickeln.
Versuche, sich auf die Sichtweise der Gegenparteien einzulassen, scheitern häufig, weil jedem das Hemd näher ist als der Rock. Dieses Phänomen kann man auf viele Lebensbereiche übertragen. Objektiv zu sein, gelingt uns immer nur ansatzweise und je stärker unsere Ängste berührt sind, desto enger wird das Blickfeld.
Ich bin einer interessanten Versuchsanordnung begegnet, mit der man Interessenkonflikte angehen kann, ohne dass die Eigeninteressen der Teilnehmer alles überlagern. Der amerikanische Philosoph John Rawls hat sie entwickelt. „Unter dem Schleier des Nichtwissens“, nennt er sein Spiel mit der Aufhebung von Rollenzuweisungen. Dazu begibt man sich auf ein Konfliktfeld, ohne vorher zu wissen, in welcher der verschiedenen Interessengruppen man sich am Ende befinden wird.
Auf den Wohnungsmarkt bezogen hieße das: Mit großer Wahrscheinlichkeit wird man als Mieter auf die Suche nach einer Wohnung gehen müssen, es kann jedoch auch sein, dass man sein teuer gekauftes Eigentum selbst nutzen möchte und eine Räumungsklage anstrengen muss. Das Schicksal kann einen in diesem Spiel aber auch zum Investor machen und dann hat man sich die Frage zu stellen, ob das eigene Geld gut und zukunftssicher angelegt ist.
Alles ist zu bedenken, aber nie aus nur einer Perspektive. Immer muss die andere Möglichkeit so bedacht werden, dass man notfalls auch mit ihr leben könnte.
Von diesem Experiment hat mir eine Frau erzählt, die in einem solchen Setting unsere Flüchtlingspolitik durchzuspielen hatte. Alles fühlte sich anders an, als ihr bewusst wurde: Nur mit geringer Wahrscheinlichkeit würde sie zu der kleinen Gruppe der Wohlhabenden auf diesem Planeten gehören. Und so begann sie all ihre Entscheidungen daraufhin zu bedenken, ob sie damit auch dann leben könnte, wenn ihre Heimat nicht Berlin in Europa, sondern Benin in Westafrika wäre.
„Du siehst mich!“ – ist das Motto des Evangelischen Kirchentages in Berlin. Vielleicht schaut Gott ja mit genau solchen Augen auf uns, stelle ich mir vor. Nie sieht er nur mich allein, immer hat er auch meinen Nachbarn mit im Blick!