Morgenandacht
Gemeinfrei via unsplash/ freestocks
Da ist mein ganzes Leben drin
Morgenandacht von Landespfarrerin Petra Schulze
22.04.2024 06:35

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Die Sendung zum Nachlesen: 

Das kleine Auto ist bis obenhin vollgepackt. Los geht’s zu ihrer Mutter. Die wartet schon auf sie. Angekommen. Freudestrahlend umarmen sie sich. Und dann geht’s ans Ausladen. Kofferraum auf. Ihre Mutter packt mit an. Beide Hände schon voll mit Taschen und Tüten greift sie gerade mit zwei Fingern noch nach dem Griff der Laptoptasche der Tochter. Das sieht nicht gut aus. Wenn das teure Ding hinfällt…. „Oh nein, Vorsicht!“, ruft die Tochter und reißt ihrer Mutter die Laptoptasche aus der Hand. „Da ist mein ganzes Leben drin!“ Darauf die Mutter zur Tochter trocken: „Trauriges Leben.“

Eine kleine Szene aus einem Fernsehfilm. Ich habe mich ertappt gefühlt. Ich bin mit meinem Laptop quasi verheiratet. „Da ist mein ganzes Leben drin“, habe ich auch schon mal gesagt. Natürlich mit scherzhaftem Unterton. Aber eigentlich stimmt‘s ja fast. Ich schreibe, plane, organisiere, korrespondiere, unterrichte, zoome, unterhalte mich über den Laptop und lasse mich von ihm unterhalten. Einkaufen, Hörspiele oder Podcasts hören, Filme gucken, Zeitung lesen… geht alles digital.

Manche Anregung habe ich schon im Internet oder in den Sozialen Medien bekommen. Ein tolles Buch, einen schönen Ausflugsort, eine wichtige politische Information, eine kreative Idee. Laptop, Smartphone, Tablet – sie sind Arbeitsmittel und machen mein Leben bunter.

Mein ganzes Leben in einem Laptop gefällt mir als Bild trotzdem nicht. Vielleicht, weil es eben für sehr viel Arbeit steht, für die ich anderes immer wieder auf die hinteren Plätze verweise. Wie die junge Frau in dem Fernsehfilm.

Deshalb switche ich um: Mein Leben eine Wundertüte. Das würde mir schon besser gefallen. Schau, in der bunten Tüte da - da ist mein Leben drin. Und da gibt es dann eine Blockflöte aus Birnbaumholz, ein paar Disco-Rollerskates aus den 80ern, eine Orgel, abgegriffene Märchenbücher, ein Kirchengesangbuch mit Widmung, meinen ersten Kassettenrekorder, ein Studien-Mikroskop, Flamencoschuhe, bunte Stifte und Farben, alte Fotoalben, eine Wettermadonna aus Italien, Schwimmabzeichen, mein erstes grünes Klappfahrrad.

Dann gibt’s einen roten Tornister und eine Schultüte, einen Talar, ein graues Businesskostüm für fast jeden Anlass, einen bunten indischen Hippi-Schal aus den 60ern von meiner Mutter, Omas Opernglas, Walnüsse aus dem Garten von Freunden in Bayern und und und.

Irgendwie macht mich diese Vorstellung von meinem Leben in einer Wundertüte glücklicher als von meinem Leben im Laptop. So vieles wurde mir geschenkt – von der ganzen Familie, von Freunden und Bekannten. Manches habe ich mir erarbeitet – im wortwörtlichen Sinn mit Nebenjobs als Schülerin oder Studentin.

Klar, auch das Leben im Laptop ist bunt. Auch da kann ich virtuell all die Dinge festhalten – mit Fotos, Texten, Videos, vielleicht sogar mit künstlicher Intelligenz eines Tages neu erlebbar machen in 3-D.

Die Dinge aus der Wundertüte aber kann ich anfassen und fühlen, riechen und schmecken. Sie sind aus verschiedenen Ländern – die Flamencoschuhe aus Spanien, die Birnbaumholzflöte aus der Schweiz. In der Kindheit, in der Schulzeit, im Studium, dann im Beruf, auf Reisen. Von überall sind wichtige Dinge in die Wundertüte gewandert. Und es kommen immer noch welche hinzu.

Sie stehen für ein buntes, lehrreiches Leben, zusammen mit anderen, mir wichtigen Menschen. Ich rieche, höre, sehe und schmecke in Erinnerung all die Orte und Länder, Menschen und Klänge und Sprachen. Die Traurigkeiten, das Lachen und die Vogelstimmen. Mein Leben. Eine Wundertüte. Danke, Gott.

Es gilt das gesprochene Wort.