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Sendung zum Nachlesen
Hausbesuch bei einem altgewordenen Ehepaar in dem Dorf, in dem ich Pfarrerin bin. Mein Blick fällt auf einen Bilderrahmen, der die Spuren eines langen Lebens trägt. Die Urkunde darin zeigt das Bild eines Hirten, mit großem Hut, gestützt auf seinen Hirtenstab, inmitten seiner Schafe und mit einem Lamm auf seinem Arm. Darunter steht: "Der Herr ist mein Hirte." (Psalm 23,1) Ich habe schon oft solche Bilder gesehen. Auch wenn sie sentimental wirken, ist ihre Botschaft kraftvoll und tröstlich.
"Das ist mein Konfirmationsspruch", sagt der alte Herr. "Mein Vater war Schäfer, da auf der anderen Seite der Oder." Tränen stehen in seinen Augen. Er erzählt mir, wie russische Soldaten seinen Vater erschossen haben, weil er seine Familie und die letzten ihm noch verbliebenen Schafe schützen wollte. "Er war ein guter Schäfer."
Der Pfarrer, der meinen Gesprächspartner am neuen Ort konfirmiert hat, muss das gewusst haben. Er hat ihm diesen Bibelvers mit auf den Weg gegeben. "Der Herr ist mein Hirte." "Das hat mich oft getröstet", sagt der Mann. Er betet jeden Abend den Psalm 23, der mit diesen Worten beginnt.
"Wissen Sie, Frau Pastor", sagt er. "an so manchem Tag blicke ich dankbar zurück und merke, wie sehr Gott mich segnet. Ich habe, was ich zum Leben brauche, habe ein Zuhause gefunden und eine Frau, die mich liebt und die ich liebe. Wir haben unsere Kinder und Enkelkinder und jetzt kommt bald das vierte Urenkelkind. Dass wir zusammen so alt werden durften, ist doch ein Segen. Da ist jeder Tag ein Geschenk. Gott ist ein guter Hirte für mich."
Ich höre zu und kann das gut verstehen, wenn ich die beiden miteinander sehe. Ihr Glück berührt mich.
"Mir ist ein anderer Vers aus dem Psalm wichtig", ergreift die alte Dame das Wort. "Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich." (Psalm 23,4)
Sie haben beide schwere Zeiten erlebt. Aufgewachsen in der Nachkriegszeit haben sie einander gefunden und sich durchgekämpft. Einfach war das nie. Sie konnten in der damaligen DDR nicht aufsteigen im Beruf, weil sie an ihrem Glauben festgehalten und sich in der Kirchengemeinde engagiert haben. Sie haben sich zufriedengegeben. "Und wenn es mal dicke kam," sagt sie, "dann gab es doch eine Lösung." Als die Tochter zum Beispiel nicht Abitur machen und nicht Lehrerin werden konnte. Sie lernte ein Handwerk, wurde Meisterin und nach der Wende Lehrerin an einer Berufsschule. "Gott hat das zum Guten gefügt. So ist das", sagt die alte Dame. "Der Herr ist mein Hirte." Und ihr Mann fügt hinzu: "Ein guter Hirte so wie mein Vater. Gott ist unser Vater im Himmel."
Es gilt das gesprochene Wort.