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Gipfelmomente
Gedanken zur Woche von Ulrike Greim
Autor
03.02.2023 05:35
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„Ich schwöre es.“ Drei kleine Worte, und schon ist Doreen Denstädt vereidigt. Die erste schwarze Ministerin in einem ostdeutschen Bundesland. Moment, sollte man das so sagen? Ja, noch ist das der Hingucker. Die Tochter eines Studenten aus Tansania und einer Thüringerin ist nun Ministerin für Migration, Justiz und Verbraucherschutz. Alle Kameras halten auf sie. Dass neben ihr noch ein anderer Politiker, Bernhard Stengele, vereidigt wurde und nun Umweltminister ist, fällt kaum ins Gewicht.

Während ihr im Thüringer Landtag die Hände geschüttelt werden, schäumt es im Netz. „Sie ist schwarz, mehr hat und ist sie nicht.“ Schreibt einer. Die Kommentarspalten sind lang. Mehrere Strafanzeigen sind bereits raus. Finster ist es im Tal der sogenannten Sozialen Medien. Doreen Denstädt ist Polizeihauptkommissarin und Diplomverwaltungswirtin. Dazu Chefin des Erfurter Kreisverbandes der Grünen. Der kleine Thüringer Landesverband schickt sie nun in die rot-rot-grüne Landesregierung und damit auch ins Rennen für die Landtagswahl nächstes Jahr. Die Grünen hoffen dabei, nicht unter die Fünf-Prozent-Hürde zu rutschen, während die AfD stärkste Kraft werden kann. „Wenn es eng wird, holen die Grünen eine Frau“, kommentiert ein Grüner. Wieviel Chancen hat Doreen Denstädt? Wieviel Häme werden sie und ihre Partei ertragen müssen auch nur bei dem kleinsten Fehler? Andererseits hat es auch in andere Bevölkerungsschichten einen Signalwert: „Es haben sich unfassbar viele Menschen gemeldet, die stolz auf mich sind und auch Hoffnungen mit mir verbinden.“ So sagt es Doreen Denstädt und zeigt sich gelassen: „Sichtbarkeit kann ich, schließlich bin ich in der weißen Mehrheitsgesellschaft immer aufgefallen, ob ich wollte oder nicht.“

Einer, der sie aus dem Sportverein kennt, schreibt unter die vielen vergifteten Kommentare: „Doreen ist eine toughe Frau. Übel kann nur über sie reden, wer noch nichts mit ihr zu tun hatte.“ Er bekommt keinen Like. Man muss kein Fan der Personalpolitik der Thüringer Grünen sein. Aber nur diese Details: eine Frau, eine Schwarze – und die Reflexe schlagen Purzelbaum. Und passen in die aufgeheizte Stimmung, die es nach wie vor auf die Thüringer Straßen schafft. Auch am Montag dieser Woche – unter anderem in Weimar, Altenburg und Eisenach. Auch in Suhl, Schmalkalden und Meiningen – das ist der Wahlkreis von Hans-Georg Maaßen. In Meiningen war u.a. folgender Sprech-Chor zu hören: „Jagt die Grünen aus dem Land.“ Andernorts hörte man auch „Grüne an die Ostfront.“ Willkommen im Amt, liebe Frau Ministerin. Man kann trübe werden bei dieser Stimmung.

Wie kann man in so einer Situation unerschrocken ans Werk gehen? Vielleicht, wenn man vorher irgendwo aufgetankt hat. Freundlichkeit, Weisheit, innere Stärke. Die kann leuchten. Solidarität vielleicht. Wie am Montag in Leipzig, wo es auch eine Demo gab, aber eine andere, eine Lichterdemo für Demokratie und Menschenrechte – „Leipzig leuchtet“.

So gehen meine Gedanken heute zu Doreen Denstädt. Und zu allen, die – wie sie – unerschrocken ans Werk gehen. Die einfach mal anfangen. Wohlwissend, dass es nicht leicht werden wird. In meiner Kirche beschäftigt uns in dieser Woche eine wundersame Geschichte, die ich allen als Proviant dafür wünsche. Es ist die einer Bergbesteigung. Da nimmt Jesus einige Jünger mit auf den Berg, um Gott nahe zu sein. Er will sich vorbereiten, denn er weiß, wenn sie den Berg wieder hinabsteigen, dann beginnt die Leidenszeit. Aber eben noch nehmen sie diesen einen Gipfelmoment mit. Da wird – so heißt es – Jesus verklärt, er erstrahlt hell. Die Jünger sind – heute würde man sagen: geflasht. Sie sind so perplex, dass sie sagen: Herr, lass uns hier Hütten bauen. Aber Jesus kann nicht. Er weiß, dass er seinen Weg gehen muss. Er geht mit ihnen wieder hinunter ins Tal und in die Niederungen der Ebene.

Gipfelmomente, die wünsche ich allen, die Verantwortung übernehmen. Momente, in denen einem alles klar vor Augen liegt. Welcher Weg richtig ist. Warum man etwas tun muss. Welchen Sinn das alles hat. Vielleicht kann man dann unerschrockener in den Alltag gehen – im Herzen gespeichertes Licht.

 

Es gilt das gesprochene Wort.