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Walter Jens zählt zu den berühmtesten deutschen Intellektuellen des 20. Jahrhunderts. Die Liste seiner Tätigkeiten ist überwältigend: Er war Schriftsteller und Hochschullehrer, Übersetzer und Kritiker, Literaturhistoriker und Altphilologe. In Tübingen, wo er lebte und lehrte, wurde nur für ihn ein eigener Rhetorik-Lehrstuhl geschaffen. Er gehörte zur Gruppe 47, wurde Präsident des deutschen PEN-Zentrums sowie der Akademie der Künste zu Berlin. Walter Jens galt als Literaturpapst – dabei war er selber überzeugter Protestant. Er näherte sich der Bibel auf literarischem Wege an: Er übersetzte die neutestamentlichen Evangelien, die Offenbarung und den Römerbrief und beschäftigte sich mit Figuren aus der Bibel: Für Judas, den Jünger, der Jesus verriet, schrieb er eine Verteidigungsrede. Walter Jens wäre vor wenigen Tagen hundert Jahre geworden. Er starb im Alter von 90 Jahren an den Folgen seiner schweren Demenz. Der 8. März, sein Geburtstag, wird heute als Welt-Frauentag begangen. In meiner Geburtsstadt Berlin ist dieser Tag sogar ein Feiertag. Genug Anlass für mich, mit dieser Sendung nicht nur an Walter Jens zu erinnern, sondern auch an seine Frau und Partnerin: Inge Jens. Beide galten als das intellektuelle Traumpaar der alten Bundesrepublik. Sie waren in ständigem Austausch und Gespräch, waren Eltern und Gelehrte, sie diskutierten und stritten, näherten sich wieder an, ermutigten einander und gingen je eigene Wege, im Alter publizierten sie gemeinsam. Eine interessante Paarbeziehung – im Spannungsfeld zwischen Individualität und Anpassung. Anhand der beiden stellen sich grundsätzliche Fragen ein: Was wollen wir füreinander sein, wenn wir ein Paar werden? Was wird aus dem Einzelnen, wenn zwei sich entscheiden, das Leben miteinander zu verbringen? Fragen, die immer noch aktuell sind für Liebende und Paare: Wer bin ich und wer ist der andere? Worauf kommt es an im Leben zu zweit? Und: Wie schafft man es, als Paar auf Augenhöhe zu bleiben?
Durch die Sendung begleitet uns Musik des isländischen Pianisten Vikingur Olaffson. Er gilt als ebenfalls als Ausnahmetalent. Weniger bekannt ist, dass auch seine Frau Halla Oddný Magnúsdottir Pianistin ist. Auf dieser Aufnahme spielen beide zusammen – eine Bearbeitung der Triosonate von Johann Sebastian Bach für drei Hände.
Ein außergewöhnliches Geschenk machte Walter Jens seiner jungen Frau zu Beginn ihrer Ehe: Er schenkte ihr einen Schreibtisch. Keinen Schmuck oder eine Reise, stattdessen einen Platz zum Arbeiten. In den letzten Jahren als Witwe wird Inge Jens in Tübingen noch einmal umziehen in eine kleinere Wohnung. Sie verlässt das Haus mit Garten, wo die vierköpfige Familie so lange Jahre gelebt hat. Ihren Schreibtisch nimmt sie mit.
Mein Mann ist zehn Jahre krank gewesen, sechs Jahre davon schwerstkrank. Es war mir immer klar, dass, wenn er einmal nicht mehr leben würde, ich nicht allein in diesem Hause bleiben möchte. Es war unser Haus, es war das Elternhaus meiner Kinder, ich habe glückliche Erinnerungen daran, aber ich muss es nicht verläppern lassen, indem ich einsam durch ein Achtzimmeraus stiebel. Was soll ich da? Ich freue mich, dass wieder Leben hinkommt. Es ist ein Haus, das für eine Familie gebaut ist und nicht für eine einsame, alte Frau. Wobei – einsam nicht. Eine allein seiende, alte Frau.
Walter Jens stirbt im Juni 2013 im Alter von 90 Jahren an den Folgen seiner schweren Demenz. Ich begegne seiner Witwe Inge Jens in ihren letzten Lebensjahren - bei einer Sommerlesung auf der Insel Usedom. Inge Jens liest – und wieder spielt ein Schreibtisch eine Rolle: der Schreibtisch des berühmten Schriftstellers und Literaturnobelpreisträgers Thomas Mann. In Ihrem Buch Am Schreibtisch beschreibt Inge Jens die Reise, die dieser Tisch hinter sich hat. Anhand eines Gegenstands entfaltet sie die ganze Geschichte eines Exils. Die Reise führt von München über die Schweiz nach Amerika und wieder zurück in die Schweiz an den Zürichsee. Thomas Mann brauchte seine gewohnte Umgebung, einen Fixpunkt, um arbeiten zu können. Also reiste der Schreibtisch immer mit. Inge Jens beginnt zu lesen - der ganze Saal hört gebannt zu. Es gibt langanhaltenden Applaus. Danach sitzen alle noch draußen. Es ist ein warmer Sommerabend, die Stimmung gelöst und heiter. Inge Jens sitzt an unserem Tisch, ihr Blick ist der einer jungen Frau. Mit ihren kurzen Haaren wirkt sie fast ein bisschen frech. Als es spät wird, verabschiedet Sie sich irgendwann, bittet höflich um Verständnis: Sie sei nicht mehr die Jüngste - es sei Zeit schlafen zu gehen. Sie ist damals dreiundneunzig. Zwei Jahre später, am Tag vor Heiligabend 2021 stirbt sie in Tübingen. Sie wird an der Seite ihres Mannes beigesetzt. Die letzten zehn Jahre an seiner Seite beschreibt sie im Rückblick als Zeit des Entschwindens:
Wahrscheinlich hatte ich das auch von ihm gelernt. Es war so viel Gemeinsamkeit, auf die ich zurückgreifen konnte, auch geistiger Art. Außerdem: Sie werden ja nicht gefragt, ob sie die Kraft haben oder nicht. Das ist eine Frage, die völlig irrelevant ist, wenn sie gebraucht werden. Er war da und ich wollte für ihn da sein…1
An diesem Sommerabend ist Inge Jens seit sechs Jahren Witwe. Witwe von Walter Jens, einem der bedeutendsten Intellektuellen Deutschlands, wie die Medien nach seinem Tod berichten. Dabei ist sie viel mehr: Sie ist Inge Jens, promovierte Literaturwissenschaftlerin und Publizistin, Herausgeberin der Tagebücher Thomas Manns und der Briefe der Geschwister Hans und Sophie Scholl. Sie ist Mitglied im deutschen PEN-Zentrum. Eine beeindruckende Frau, die als Schülerin den 2. Weltkrieg durchlebte und erst danach, wie sie in einem Interview später einräumt, wirklich zu lesen begann, was vorher im Dritten Reich verboten und auf öffentlichen Plätzen verbrannt worden war. Die nötigen Bücher dazu gibt ihr ein junger Mann, der damals in Tübingen im selben Haus wohnt wie sie und über eine beachtliche Bibliothek verfügt. Walter Jens ist damals Assistent der Altphilologie an der Universität Tübingen. Auch die junge Inge Puttfarcken studiert dort. Beide stammen aus Hamburg. Beide eint ihre Kriegserfahrung. Zwei Norddeutsche im Exil – sie schließen sich hier ganz im Süden der Republik zusammen.
Mein Mann war ein großer Thomas Mann – Verehrer und hatte den Zauberberg den ganzen Krieg bei sich. Er hat immer gesagt: Wenn mir was passiert wäre: dem Zauberberg wäre auch etwas passiert! Er drückte mir als erstes den Zauberberg in die Hand und sagte: Lies das mal! Nach drei Tagen kam er und fragte: Bist Du fertig? Hast Du`s durchgelesen? Er hat mir da auch etwas abverlangt in dem Sinne, dass er sah, dass ich einen riesigen Nachholbedarf hatte und während der Nazizeit überhaupt nicht über Literatur nachgedacht hatte.2
Walter Jens wuchs in Hamburg auf. In seiner Grundschulklasse war die Hälfte der Kinder jüdischen Glaubens. 1933 kam er als Gymnasiast aufs Johanneum, eine Hamburger Gelehrtenschule. Einer seiner Mitschüler war Ralph Giordano. Er musste als Jude die Schule 1940 verlassen. Ein Viertel seiner Schulzeit verbrachte Walter Jens in Sanatorien. In einem seiner letzten Interviews blickt er auf diese Zeit zurück, die Weichen für ihn gestellt hat:
Dass man reden kann, ist für mich deshalb wichtig: Ich bin seit meinem 2. Lebensjahr schwerer Asthmatiker und konnte mich sozial eigentlich nur dadurch einbinden, dass ich zu reden vermochte. Ich machte eine schlechte Figur: Ich ging pucklig, ich atmete schwer. Meine Zukunft – ich bin 1923 geboren – war düster: Ein kranker Mensch im Nazireich, der hatte eh keine Chancen, aber ich konnte mich redend verdeutlichen - auf diese Weise habe ich durch das Reden einen sozialen Bezug gewonnen.3
Während des Nationalsozialismus gehörte Walter Jens der Hitlerjugend an, später als Student folgten Kameradschaften des Nationalsozialistischen Studentenbundes. Seine umstrittene NSDAP-Mitgliedschaft sorgt Jahrzehnte später für einen Skandal. Am Ende bedauert Jens öffentlich, dass er nach dem Krieg die eigenen Irrtümer nicht entschiedener eingeräumt habe. Krieg und Drittes Reich prägen Kindheit und Jugend und sein gesamtes späteres Reden und Schreiben. Der Dienst an der Waffe an der Front bleibt dem hochgewachsenen Mann aufgrund seiner Erkrankung erspart. Kurz vor Kriegsende – im Dezember 1944 promoviert er. Die Prüfung findet in einem Luftschutzkeller statt. Drei Jahre später erscheint sein erster literarischer Text unter Pseudonym. Sein Titel: Das weiße Taschentuch: Die Geschichte eines Studenten, der 1939 ins Gefängnis gerät, dorthin, wo selbst die Taschentücher der Häftlinge grau sind. Das weiße Taschentuch wird zum Symbol der kompletten Auslieferung an das Böse. Den Blick von unten - aus der Perspektive der Opfer - wird Walter Jens in seinem literarischen Werk beibehalten. Sie prägt auch sein Jesusbild.
1950 schließt sich Walter Jens der Gruppe 47 an. Hier können junge Autorinnen und Autoren ihre Werke vorstellen. Die Gruppe versteht sich als Plattform zur Erneuerung einer deutschen Literatur nach dem 2. Weltkrieg. Jens begegnet Günther Grass, Hans Magnus Enzensberger – Namen, die damals noch keiner kennt. Im selben Jahr gelingt ihm der Durchbruch mit dem Roman Nein. Die Welt der Angeklagten. Darin protestiert er gegen jede Form totalitärer Macht. Ein Protestant - durch und durch:
Warum bin ich Christ? Weil ich mir keine verbindlichere, humanere und den Einzelnen verpflichtendere Lebensanweisung als die Botschaft Jesu Christi vorstellen kann. Das Gebot der Feindesliebe transzendiert jede andere religiöse oder philosophische Lebens- und Handlungsanweisung. Das zum ersten. Zum zweiten: Ich finde nirgendwo außer im Neuen Testament die verpflichtende Anweisung: Suche alles, was dir begegnet, aus der Perspektive der Opfer, der Mühseligen und Beladenen, der kleinen Leute anzuschauen; denke immer daran, daß die Ersten die Letzten und die Letzten die Ersten sein werden. Das ist für mich seit sehr langer Zeit Aufgabe und Verpflichtung.4
Vor wenigen Tagen wäre Walter Jens 100 Jahre alt geworden. Ein großer Geist, sprach- und wortgewaltig. Seine Stimme wurde gehört. Sieht man Aufnahmen mit ihm, fällt auf, wieviel Zeit er sich lässt beim Nachdenken und Reden, wie kunstvoll seine Sprache ist. Dabei wird deutlich, wie sehr sich unser Denken und Empfinden, auch unsere Sprache verändert haben. Der Ton ist umgangssprachlicher, das Tempo schneller. Pausen gehen kaum. Sie werden eher als Schwäche gedeutet, kaum als Zeichen ehrlichen Nachdenkens, das es braucht, um sich eine fundierte Meinung bilden zu können. Ein bisschen möchte ich die Zeit zurückdrehen und wünsche mir in Zeiten von Twitter und Co diese alten Tugenden zurück in heutigen Debatten, wo jeder mitreden will auch ohne wirklich Ahnung zu haben. Heute wie damals leben wir in Zeiten der Bedrohung, wo wichtige Fragen zu entscheiden sind – auch die nach der richtigen Haltung. Walter Jens, der selber stets Wert darauf legte, keiner Partei verpflichtet zu sein, erhob in der Zeit des Kalten Krieges klar und deutlich seine Stimme gegen das Wettrüsten. Gemeinsam mit seiner Frau Inge protestierte er in den 80er Jahren vor dem US-Militärbasis Mutlangen. Beide engagierten sich in der Friedensbewegung gegen den NATO-Doppelbeschluss und die Stationierung von Pershing-Raketen. Walter Jens verstand sich als Literat und Protestant. Seine Stimme, seine Meinung heute erneut zu hören, wo Russland Krieg gegen die Ukraine führt und die westliche Welt mit sich ringt um Waffen- und Flugzeuglieferungen, wäre spannend, noch spannender, wenn er sie gemeinsam erheben würde mit seiner Frau. Das tat er – vor allem in späteren Lebensjahren. Da begannen beide, gemeinsam zu publizieren. Sie widmeten sich Personen am Rande. 2003 erschien das Buch Frau Thomas Mann – Das Leben der Katharina Pringsheim. Eine Biografie über die Frau an der Seite des Nobelpreisträgers, der ohne sie nicht hätte schreiben können. Sie organisierte alles, ging unablässig auf ihn ein. Frau Thomas Mann - Parallelen tun sich auf: Auch Inge Jens erhielt wie selbstverständlich damals Post an die Adresse Frau Walter Jens. Sie wurde auch so angesprochen. Damals war das so. Dass sie wie ihr Mann promoviert und erfolgreich veröffentlicht hatte, dass die beiden schon beim Frühstück miteinander im ständigen Gespräch und geistigen Austausch waren, spielte damals keine Rolle. Inge Jens erfüllte beide Rollen: als Ehefrau und Mutter und Editorin und Schriftstellerein. Sie blieb dran an dem, was sie selber beruflich bewegte und erfüllte. 2005 erschien ein weiteres Buch des Ehepaars unter dem Titel Katias Mutter. Das außergewöhnliche Leben der Hedwig Pringsheim. Wo andere Paare sich oft nichts mehr zu sagen haben, starteten sie gemeinsame Projekte, ließen sich aufeinander ein, ergänzten sich. Wir haben aufeinander zugeschrieben, so beschreibt Walter Jens diesen Paar-Prozess im Rückblick:
Auch unsere besten Freunde haben nicht erkannt: Das ist von ihm, das ist von ihr. Das hat niemand erkannt. Deshalb schreiben sie auch Briefe an uns an Ingwalt Jens usw. – Es passte zusammen!
Walter und Inge Jens passten im besten Sinne des Wortes zusammen. Sie blieben im Austausch, ließen einander sein ohne sich gänzlich loszulassen. Sie gaben einander Raum. Im 1. Buch der Bibel, in der Genesis, heißt es: Ich will ihm ein Gegenüber machen, das ihm entspricht. Eine schöne Umschreibung und zeitlos aktuell: ein Gegenüber, das einem entspricht, nicht dienend den Mund hält, sondern ebenfalls spricht und antwortet, auch widerspricht. Ein Paar im Dialog. Aus diesem Verständnis wurde eine Lebenspraxis und Geisteshaltung: die Fähigkeit und die Bereitschaft, sich in die Welt des anderen zu begeben, sie zu entdecken und daraus zu lernen. In ihrer literarischen Arbeit folgten beide diesem Ansatz, indem sie biografischen Spuren nachgingen. Sie teilten ein Weltbild, das weit ist, statt eng und geschlossen. Geprägt von der Annahme, dass immer auch der andere Recht haben könnte. Das bleibt aktuell: nicht die eigene Meinung einfach in den Raum stellen und die Wahrheit für sich proklamieren ohne auch die anderen Stimmen zu hören. Den anderen Menschen zu sehen und im Detail wahrzunehmen. Die Welt vielfältig denken und dabei selber frei und beweglich bleiben im Geist. Das kann man von dem Paar lernen. Beide waren im Gespräch mit Dichtern und Denkern, mit Schriftstellern und Menschen der Bibel – auch mit den Menschen dahinter – Frauen wie Katia Mann oder Maria Magdalena. Ein andauerndes Gespräch – nicht bloß mit Vertrauten, sondern auch mit denen, die ich nicht kenne und die vor mir waren. Wieviel weiter und vielfältiger unser Leben dadurch sein könnte – auch unser Glaube, das beschreibt einer der Schüler von Walter Jens, Karl- Josef Kuschel, mit dieser eindrücklichen Vision ganz im Sinne seines Lehrers:
Was geschähe, wenn die Poeten, Bildhauer und Maler sich zu einem Konzil versammelten? Was hätten die Künstler zu sagen, wenn sie eingeladen würden, auf einer ökumenischen Versammlung von ihren Erkenntnissen in Sachen Jesus, dem Christus zu berichten? Was wäre das für ein Schauspiel, wenn etwa die großen Schriftsteller der europäischen und lateinamerikanischen Literatur auf einem solchen Konzil aufstünden und aus ihren Werken vorläsen, in denen sie den Nazarener zu deuten versuchten? Wenn sie sich in eine Runde setzten und miteinander ins Gespräch gerieten….5
Am Ende seins Lebens verstummte das Gespräch zwischen Inge und Walter Jens. Der geistige Austausch war nicht mehr möglich. Walter Jens erkrankte an Demenz. Alles, was er einmal gelesen und durchdacht und erarbeitet hatte, entglitt nach und nach im Nebel. Langsames Entschwinden So heißt das Buch, indem Inge Jens über das Leben mit ihrem Demenzkranken Mann schreibt. Sie veröffentlicht es im Jahr 2016, drei Jahre nach seinem Tod.
Nach 57 Jahren nie abreißender Gespräche bin ich ohne den Menschen, mit dem sich über alles auszutauschen mir so selbstverständlich war wie Essen und Trinken oder Atmen. Als Partner, als ein verstehendes, Antwort gebendes oder gar widersprechendes Gegenüber gibt es ihn nicht mehr.6
Viele Menschen nehmen ihr damals die offenen Worte übel. Die Krankheit ist mit einem Tabu belegt. Die Wahrheit darüber schwer zu ertragen, noch dazu von der Ehefrau, der man vorwirft, den Mann posthum vorzuführen und damit seinen Mythos zu zerstören. Als Frau – auch das schien sich hinter der großen Empörung zu verbergen – hat man bescheiden im Hintergrund zu bleiben und den eigenen Mann groß bleiben zu lassen. Ihn aufopferungsvoll pflegen ja, aber bitte nicht, sich so zu Wort melden. Und wieder war da der Zeitgeist eng, blieben Rollen festgelegt – das Gegenteil von dem, was Inge und Walter Jens dachten und miteinander lebten. Inge Jens ließ sich nicht beirren. Sie tat, was ihr wichtig war: Sie schrieb sich frei – an dem Schreibtisch, den ihr Mann ihr zu Beginn ihrer 62 Jahre dauernden Ehe schenkte. Er wäre vermutlich froh darüber gewesen.
Es gilt das gesprochene Wort.
Musik dieser Sendung:
- Vikingur Ólafsson: Trio Sonata in E-flat Major BWV 521 (J. S. Bach), CD-Titel: From Afar,
Nr. 11. - Vikingur Ólafsson: 6 Studies in Canonic Form (Schumann), CD-Titel: From Afar, Nr. 2.
- Vikingur Ólafsson: Fantasies Op. 116 (Johannes Brahms), CD-Titel: From Afar, Nr. 21.
- Vikingur Ólafsson: Where Life and Death (Birgisson), CD-Titel: From Afar.
- Vikingur Ólafsson: Vesperae solennes de confessore Laudate Dominum (W. A. Mozart), CD-Titel: From Afar, Nr. 36.
Literatur und O-Töne dieser Sendung:
- "Ich habe ihm geholfen zu leben" Inge Jens über Walter Jens Interview von Felix Zimmermann, https://taz.de/Inge-Jens-ueber-Walter-Jens/!5052272/, Abrufdatum 3.3.23.
- Im Gespräch: Dr. Inge Jens – Die Frau, die sich in Thomas Manns Schreibtisch verliebte https://www.youtube.com/watch?v=1HQTd5Ef4GA&t=1631s, Abrufdatum 28.2.23.
- https://www.youtube.com/watch?v=3zHOd-B4iT0
- Walter Jens im Gespräch mit H.J.Herbrot, in: DIE ZEIT vom 4.3.1988. Zit. nach: Karl-Josef Kuschel, Walter Jens. Patmos 2003, S. 12.
- Karl-Josef Kuschel, a.a.O., S.98.
- Plötzliches Vergnügen am eigenen Leben. Inge Jens im Gespräch https://www.abendblatt.de/kultur-live/article107533102/Ploetzliches-Vergnuegen-am-eigenen-Leben.html, Abrufdatum: 3.3.23.