Rollatoren, Walker und Nomaden

Morgenandacht
Rollatoren, Walker und Nomaden
Ein Lob auf Aina Wifalk
26.02.2015 - 06:35
23.02.2015
Oberkirchenrätin Cornelia Coenen-Marx

Hat eigentlich schon jemand ein Lob des Rollators geschrieben? Ich kenne keinen solchen Text, kein Lied oder Gedicht über diesen wunderbaren Gehwagen. Aber ich finde, er ist eine wirklich bahnbrechende Erfindung – nicht weniger wichtig als einst der Kinderwagen. Aber es gibt ihn ja auch noch gar nicht so lange. Der Rollator wurde erst 1978 von der Schwedin Aina Wifalk erfunden – sie war selbst aufgrund einer Kinderlähmung gehbehindert. Es wundere sie nicht, dass eine Frau das Gefährt erfunden habe, schreibt Luise Pusch in einer Glosse, wir hätten eben viel mehr Erfahrungen mit Kinder- und Einkaufswagen und längst erkannt, dass sie sich auch als Gehhilfe nutzen lasse. Ganz ähnlich wie die rollbaren Koffer, die Trollies. Die haben sich ja inzwischen so durchgesetzt, dass kaum noch jemand einen Koffer schleppt. Aber auch die Rollatoren haben in den letzten Jahren einen unaufhaltsamen Siegeszug angetreten. Es wird Zeit, dass in Bussen und Zügen Platz dafür geschaffen wird – so selbstverständlich wie für Koffer, Kinderwagen und Fahrräder.

 

Auf Englisch heißt die Gehhilfe einfach „walker“. Das erinnert mich an mein geliebtes Nordic Walking. In den letzten Monaten war ich froh, dass es Nordic-Walking-Stöcke, Rollatoren und natürlich auch Rollstühle gibt. Ich lag mit einem Wirbelbruch im Krankenhaus und konnte das Bett lange nicht verlassen – und ich hatte ungeheure Sehnsucht, raus zu gehen. Es war Advent, draußen lagen Lichterketten um die Bäume und die kleine Einkaufsstraße in der Nähe des Krankenhauses strahlte im Winterglanz. Ich wollte so gern an den Schaufenstern vorbei gehen, Christstollen kaufen und Lebkuchen und vielleicht ein neues Buch. Ohne Rollstuhl und später ohne Rollator wäre das gar nicht möglich gewesen. Und ich fand es großartig, die klare Luft zu atmen, den Duft der Weihnachtsbäckerei zu riechen und mir endlich wieder die Straße zu erobern. Und Wochen später noch genieße ich es, meinen Weg gehen zu können- mit und ohne Nordic-Walking-Stöcke.

 

Wer nach dem Stichwort „Weg“ in der Bibel sucht, der wird mit Fundstellen überschüttet. Das ist kein Wunder- schließlich spielen die Geschichten, um die es da geht, in den Nomadengesellschaften des Alten Orients. „Ein umherwandernder Aramäer war mein Vater“, heißt es in einem der ältesten jüdischen Bekenntnisse. Auch Jesus war ein Wanderprediger. Und die ersten Christen waren wie Paulus unterwegs, um in halb Europa von ihm zu erzählen. Wer eine Bibel zur Hand nimmt und die Landkarten ganz hinten aufschlägt, der kann die Wege nachvollziehen, die diese Menschen gegangen sind- zu Fuß, auf Eseln, Kamelen und Pferden aber auch zu Schiff. Es ist sicher kein Zufall, dass einer der beliebtesten Konfirmationssprüche ein Weg-Wort ist: „Befiehl dem HERRN deine Wege und hoffe auf ihn; er wird's wohl machen.“[1]. Der Glaube schickt auf den Weg – raus aus der Komfortzone, in unbekannte Räume, zu Menschen, die wir noch nicht kennen. Man spürt den biblischen Texten ab, dass sie ohne Illusionen sind. Sie erzählen von Wüstenwanderungen und Stolpersteinen – aber sie machen Mut, loszugehen und sich auf Gottes Begleitung zu verlassen.

 

Ich brauche immer wieder Hilfe, damit das gelingt. Im Advent brauchte ich einen Menschen, der den Rollstuhl schob. Später eine Gehhilfe, einen Walker. Manchmal aber auch einen Freund zum Reden, eine Seelsorgerin oder einen Coach, um mich auszurichten- Hirten eben in finsteren Tälern, wie der beliebte Psalm es sagt. Aber es ist gut, unterwegs zu sein, ich liebe es, die Komfortzone zu verlassen und ich weiß: Gott fordert heraus, in die Welt zu gehen und sich immer neu mit ihr auseinanderzusetzen. Der Glaube ist welthaltig. Er steckt voller Erinnerungen an spannende Wege. Und er hinterlässt Spuren in der Realität – nicht nur auf Landkarten. Es ist einfach wunderbar, raus zu gehen und Neues zu entdecken, selbst wenn Beine oder Rücken nicht mitspielen. Auch wenn ich keinen Rollator mehr brauche: Aina Wifalk, die Erfinderin des Walkers, sie lebe hoch.

 

 


[1] Psalm 37,5

23.02.2015
Oberkirchenrätin Cornelia Coenen-Marx