Schuld und Versöhnung

Morgenandacht
Schuld und Versöhnung
10.03.2015 - 06:35
11.03.2015
Pfarrerin Annette Bassler

 

„Gott kann aus allem, auch dem Bösesten etwas Gutes machen.“ Dietrich Bonhoeffer hat das gesagt zu einer Zeit, als sich kaum einer vorstellen konnte, was dieses Böseste sein könnte. Diese Erkenntnis kam erst später und begleitet seitdem deutsche Erinnerungskultur: Der Holocaust, der Krieg, der von deutschem Boden ausging und Millionen Menschen getötet, vertrieben und traumatisiert hat.

 

Nun findet wieder Krieg statt- an der Grenze von Europa, in der Ukraine. Und ich denke an Bonhoeffers Satz: „Gott kann auch aus dem Bösesten etwas Gutes machen. Aber dazu braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Guten dienen lassen.“ Können wir uns heute dieses „Böseste“ zu etwas Gutem dienen lassen? Kann die Schuld unserer Eltern- und Großelterngeneration heute für etwas gut sein?

 

Oh ja! meinte ein Mann, den ich getroffen habe. Es war nach einem Konzert in einem kleinen Palästinenserdorf in der Westbank. Eine Gruppe junger Musiker aus Stuttgart spielte Klassik und Jazz. Ich habe sie auf ihrer Konzertreise durch Israel und Palästina begleitet. Das Konzert fand auf dem Marktplatz in einem Dorf nahe Bethlehem statt. Anfangs war der Marktplatz nur spärlich besetzt. Die Leute kamen erst eine halbe Stunde später. Und obwohl sie zu spät waren und die Musiker bereits spielten, begrüßten sie einander laut und die mitgebrachten Kinder waren auch nicht leiser.

 

Die Stuttgarter Musiker waren beim Spielen sichtlich irritiert. Ich auch. Ein landeskundiger Freund raunte mir zu: „man kommt hier nie pünktlich. Und es gibt hier nur Konzerte zum Mitsingen und -tanzen, nicht zum Zuhören!“

 

Aber irgendwann wurden die Leute doch ruhig, geradezu andächtig. Sogar die Kinder. Nach dem letzten Ton dann tosender Applaus und Bravorufe. Die Musiker waren sichtlich erleichtert und auch berührt.

 

Weil sie verstanden haben, dass ihre Musik für orientalische Ohren nicht einfach zu hören ist.

 

Die Musiker wurden überhäuft mit orientalischer Gastfreundschaft und Dank. Danke, dass ihr gekommen seid zu uns- hinter die Mauer, in unser staubiges, dürres Land.

 

Und dann stand er neben mir, der muslimische Bürgermeister dieses Palästinenserdorfes. Und sagte er zu mir: „Ihr Deutsche, ihr könnt uns helfen! Ihr könnt helfen, dass der Friedensprozess voran geht!“ Ich war überrascht. „Wir?“ fragte ich, „mit unserer Geschichte?“ Der Mann nickte. „Gerade deshalb. Weil ihr Deutsche wisst, wie es ist, schuldig zu werden. Deshalb setzen wir unsere Hoffnung in euch.“

Weil wir wissen, wie es ist, schuldig zu werden. Deshalb können wir helfen. Die Schuld von damals kann heute zu etwas Gutem dienen.

 

Heute haben wir wieder Krieg. Die Spirale der Gewalt in der Ukraine dreht sich immer weiter. Wir wissen, welche Kräfte ein Krieg entfesselt, in welche Schuld man verstrickt wird, ist man davon betroffen.

 

Mag sein, dass eine Regierung wie die in Moskau derzeit nur die Sprache der Stärke versteht, nicht die des Entgegenkommens. Und doch wissen wir aus unserer Geschichte, was es mit Menschen macht, wenn man nur auf Härte und Gewalt setzt. Deshalb ist keine Mühe zu viel, die Spirale der Gewalt zurückzudrehen. Auch wenn man dabei kaum vorankommt.

 

Gott kann aus dem Bösen etwas Gutes machen. Im christlichen Glauben erinnert das Kreuz Jesu an das, was man niemals wissen, worauf man nur vertrauen kann:

Dass Hass und Tod nicht das letzte Wort haben. Dass das Leben stärker ist. Gott lässt nicht allein, die sich alles zum Guten dienen lassen. Die das Wissen um ihre Schuld nutzen, um sich denen in den Weg zu stellen, die auf Gewalt setzen.

 

„Ihr Deutsche wisst wie es ist, schuldig zu sein. Deshalb könnt ihr uns helfen.“

 

Ich hoffe sehr, dass es noch viele solche Friedensmissionen gibt wie die in Minsk von Angela Merkel zusammen mit Francois Hollande. Das Wissen um die eigene Schuld zu etwas Gutem werden lassen. Und der Kraft der Versöhnung etwas zutrauen. Das ist der Weg. Weil Gott aus dem Bösesten etwas Gutes machen kann.

11.03.2015
Pfarrerin Annette Bassler