Segen

Morgenandacht
Segen
09.03.2015 - 06:35
23.02.2015
Pfarrerin Annette Bassler

 

Und was mach ich, wenn es weh tut? Seit unsere kleine Enkeltochter ihre ersten Schritte macht, ist das ein echtes Thema. Weil sie im Sandkasten schon mal mit dem Schäufelchen eins auf den Kopf bekommt. Oder über einen dummen Stein stolpert, der sich mitten in den Weg gelegt hat. Und dann tut das ziemlich weh. Und die kleine Seele muss mit dem großen Schmerz fertig werden.

 

Und dazu hat sie mit ihren Eltern zusammen ein kleines Ritual entwickelt. Zuerst rennt sie zu Mama oder Papa und wirft sich ihnen schreiend in die Arme. Dann zeigt sie die Stelle, die weh tut und Mama oder Papa muss fragen: „was ist denn passiert?“ Dann erzählt sie, mehr oder weniger verständlich, wie das war und achtet darauf, dass man ihr mitfühlend zuhört und hinschaut. Am Schluss muss Papa oder Mama fragen, ob sie pusten soll. Und nach einem schluchzenden „Ja“ wird der Schmerz – wie magisch – einfach weggepustet. Natürlich ist der Schmerz dann nicht weg, aber die Kleine kann ihn jetzt wegstecken und weiterspielen.

 

Wunderbare Kinderwelt. Die eigentlich nie aufhört. Ich glaube, auch Erwachsene brauchen so ein Ritual. Wenn ein eigentlich lieber Spielkamerad ihnen plötzlich eins vor den Latz knallt. Oder wenn sie durch ein dummes Hindernis auf dem Karriereweg zu Fall kommen. Dann brauchen Erwachsene auch einen Ort, an den sie sich flüchten können. Vielleicht haben Sie auch so einen Ort.

 

Mein Kraftort liegt oberhalb des Rheins, bei Bingen. Es ist ein Fußweg durch Weinreben und Schafswiesen. Mit einem herrlichen Blick bis weit hinüber ins Rheinhessische. Wenn ich dort entlang laufe, werde ich unwillkürlich immer langsamer. Es duftet nach feuchter Erde, Vogelgezwitscher liegt in der Luft und ich spüre mit geschlossenen Augen das flirrende Spiel von Licht und Schatten. Irgendwann stehe ich nur noch da. Atme ein und aus. Und dann ist es still.

 

In solchen Momenten fühle ich mich eins mit der Natur, mit der Welt, fühle mich wahrgenommen und aufgenommen in einem großen Ganzen. Der Wind streicht über meine Seele und pustet alle schmerzlichen Gefühle und Gedanken fort.

 

„Gott du erforschst mich und kennst mich. Ich sitze oder stehe, so bist du um mich und siehst all meine Wege.“ So heißt das in einem Psalm. Der Beter meint: Du bist nicht einsam, auch wenn du allein bist. Da ist ein Du, ein Gegenüber, das dich sieht und hört und sich dir liebend zuwendet. Wenn du deine Sinne öffnest.

 

Was mach ich, wenn es weh tut? Wenn ich über meine zu hohen Ansprüche stolpere, oder über schicksalhafte Hindernisse, die meinen Lebenslauf ausbremsen? Wo ist der Ort, an dem die zarte, verletzliche Seele zur Ruhe kommen, sicher und geborgen sein kann?

So ein Ort ist die Antwort auf all diese Fragen. Vielleicht haben Sie so einen Ort. Der Baum ihrer Kindheit, eine Klippe über dem Meer, eine Kirche, in der Sie wunderbare Momente erlebt haben. Um den Trost dieses Ortes zu spüren, müssen Sie nicht einmal leibhaftig hin. Es genügt, wenn Sie sich in Gedanken an diesen Ort begeben und seine magische Heilkraft auf sich wirken lassen.

 

An meinem Ort- dem Wanderweg über dem Rhein- steht irgendwo eine Bank mit einem Kruzifix dahinter, etwa zwei Meter hoch. Wenn ich mich auf die Bank setze, kann ich weit über den Rhein schauen. Und habe den gekreuzigten Jesus hinter mir. Mit weit ausgebreiteten Armen. Als würde er mich segnen.
Unter Jesu Armen darf es sein, dass ich in Wahrheit ziemlich verletzlich bin und angewiesen auf jemanden, der meine Schmerz wegpustet. Auf dem Steinsockel unter dem Kruzifix ist es in goldenen Buchstaben eingemeißelt:

 

„Herr, schütze unsere Fluren und Reben, Herr, segne unsere Arbeit, unser Leben.“

23.02.2015
Pfarrerin Annette Bassler