Abschied und Anfang

Evangelischer Rundfunkgottesdienst aus Kaiserslautern

Bild: Britta Scherfer

Abschied und Anfang
Rundfunkgottesdienst aus der Protestantischen Apostelkirche Kaiserslautern
10.05.2018 - 10:05
07.02.2018
Dekanin Dorothee Wüst
Über die Sendung

 

Christi Himmelfahrt, das ist Vatertag. Überall in Deutschland und auch in diesem Gottesdienst. Denn Jesus macht sich auf zu seinem Vater, und das ist ein Grund zum Feiern. Doch was heißt es, von Gott als Vater zu sprechen? Und wie geht das, wenn man selbst keine guten Erfahrungen mit dem eigenen Vater gemacht hat? Darum wird es in diesem Gottesdienst aus der protestantischen Apostelkirche Kaiserslautern gehen. Musikalisch wird der Gottesdienst gestaltet von Michael Weickenmeier an der Steinmeyer-Orgel und Sonja Göbel an der Querflöte. Durch den Gottesdienst führt Dekanin Dorothee Wüst aus Kaiserslautern.

 

 

Die Apostelkirche in Kaiserslautern wurde 1901 eingeweiht, der Zentralbau eröffnet im Innern einen weiten, hellen Raum: Hier können sich Himmel und Erde berühren. Ein Bilderzyklus von Erika Klos zum Vaterunser unterstreicht die Thematik des Gottesdienstes.

 

Gottesdienst nachhören

 

Den Gottesdienstmitschnitt finden Sie auch direkt unter http://www.deutschlandradio.de/audio-archiv.260.de.html?drau:broadcast_id=122

Predigt zum Nachlesen
 

Liebe Gemeinde,

liebe Hörerinnen und Hörer,

 

Vatertag gibt es in vielen Ländern dieser Erde. Aber nur in Deutschland ist er heute. Am Feiertag Christi Himmelfahrt. Tausende von Männern werden mit Leiterwagen und Bierfässern durch Wald und Feld ziehen und die Leichtigkeit des Seins genießen. Darüber könnte ich die Nase rümpfen und mich ärgern, dass wieder ein christlicher Feiertag an Bedeutung verliert. Tue ich aber nicht.

 

Denn eigentlich passt Vatertag ganz gut zu Christi Himmelfahrt. Denn auch für Christen und Christinnen ist heute Vatertag. Jesus Christus verlässt diese Welt und geht – ja wohin geht er denn? Eben zu seinem Vater. Wenn wir uns heute also Gedanken machen über Christi Himmelfahrt, hat das zwar nichts mit Leiterwagen und Bierfässern zu tun. Aber Väter und Kinder werden eine Rolle spielen. Letztlich wird es um Fröhlichkeit gehen, vielleicht sogar um die Leichtigkeit des Seins. Da auf dem Ölberg bei Jerusalem.

 

Aber der Reihe nach. Zunächst herrscht am Fuß des Ölbergs alles andere als Fröhlichkeit. Da herrscht Schwermut. Die Füße der Jünger tun mühsam einen Schritt nach dem anderen. Müde sehen sie aus, die Jünger. War auch reichlich viel in den letzten Tagen und Wochen. Erst mussten sie erleben, wie Jesus am Kreuz gestorben ist. Und dann die Auferstehung. Kaum zu glauben, aber mit Händen zu greifen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Er ist ja bei ihnen, spricht zu ihnen, isst mit ihnen. Also muss es wahr sein.

 

Und dann sind ja auch schon wieder vierzig Tage verstrichen seit Ostern. Vierzig wunderbare und erfüllte Tage. In denen wieder alles so ist wie früher. Der Meister und seine Jünger. Jesus und seine Freunde. Und doch ist es nicht wie früher. Dafür ist zu viel passiert. Krisen steckt man nicht einfach weg und geht zur Tagesordnung über. Die Jünger sind vorsichtig geworden. Und auch ein bisschen misstrauisch. Und immer wieder hören sie ja auch, was Jesus sagt. Von Trennung und Abschied redet er. Und auch wenn sie es nicht wahrhaben wollen, ahnen sie doch: Er wird wieder fortgehen.

 

Und diese Ahnung liegt auf ihnen wie eine dunkle Wolke. Es marschiert sich nicht leicht unter einer dunklen Wolke. Und deshalb sind sie mühsam unterwegs, mit schweren Schritten. Auf diesem Ölberg bei Jerusalem. Nur Jesus, der läuft so forsch vorneweg. Als wüsste er genau, wohin es geht und was dann passiert. Weiß er ja auch. Der weiß es. Und findet es gut. Wieso findet der das gut? Er geht doch weg von seinen Freunden, verlässt diese Erde, geht endgültig aus dem Leben. Wie kann er da fröhlich sein?

 

Jesus läuft also forsch vorneweg. So, als wäre er voller Vorfreude. So, als mache es ihm gar nichts aus, seine Freunde zu verlassen. Aber der Jesus, der da auf den Berg steigt, ist auch nicht mehr der alte Jesus. Wer schon einmal drei Tage im Reich der Toten war, bleibt nicht derselbe. Dieser Jesus ist wirklich der Christus. Er hat begriffen, dass sein Platz jetzt nicht mehr auf der Erde ist, sondern im Himmel. Bei seinem Vater. Und da will er auch hin. Auf den freut er sich. Muss also ein guter Vater sein. Der Vater im Himmel. Einer, der so ist, wie Väter sein sollen. Und wie sollen Väter sein? Wann ist Vater ein guter Vater? Wie war denn Ihr Vater?

 

Mein Vater war für mich ein guter Vater. Die Schultüte hat er nicht mit mir gebastelt. Aber er hat mir abends vorgelesen und mir das Fahrradfahren beigebracht. Und wenn ich hingefallen bin, dann hat er mich getröstet und mich so oft wieder auf den Sattel gesetzt, bis ich es konnte. Wenn ich etwas versiebt habe, war er ein bisschen betrübt. Aber alles in allem war er total stolz auf mich. Meine Entscheidungen fand er nicht immer gut, aber er hat sie akzeptiert und mir meinen Weg gelassen. Und er konnte super zuhören. Ja, er war ein guter Vater. Glück gehabt.

 

Andere haben nicht so viel Glück. Eine Bekannte von mir kennt ihren Vater gar nicht. Sie weiß, wie er heißt und wo er wohnt. Aber er hat sich nie für sie interessiert. Noch nicht einmal zu Geburtstag und Weihnachten. Sie hatte eine richtig gute Mutter und eine liebevolle Großmutter. Ich habe nichts vermisst, sagt sie. Aber man spürt, dass das nicht ganz stimmt. Und wenn die Rede auf Väter kommt, dann wird sie still oder geht aus dem Raum.

 

Und jede Menge Geschichten könnte ich von Menschen erzählen, die zwar einen Vater haben, aber eben keinen guten. Das sind Geschichten von unnahbaren Vätern, denen es ihre Kinder nie recht machen können. Oder von erbärmlichen Vätern, die ihre eigenen Schwächen in Alkohol ersäufen und in Gewalt ausleben. Oder von bemühten Vätern, die gerne gute Väter sein möchten, aber beim geringsten Problem das Weite suchen. Und die Geschichten dieser Väter begleiten und prägen die Kinder. Die plagen sich dann ein Leben lang mit Vätern, mit Vaterbildern, die nicht so sind, wie sie sein sollen.

 

Und ich frage mich: Wie sollen die im Gottesdienst von Herzen das „Vater Unser“ beten? Und was sollen die von einem Tag wie heute halten, Christi Himmelfahrt, an dem Jesus freudig zu seinem Vater geht und ringsum die Väter gefeiert werden? Klingt schwierig. Andererseits: Vielleicht ist das ja aber auch gerade der richtige Tag für die, die schwer an ihren Vätern tragen. Für die, die sich nach einem Vater sehnen. Und die, die unter ihren Vätern leiden. Weil sich mit dem Himmel auch ein Vater auftut, der anders ist, der sich als guter Vater anbietet.

 

Das Gebet zum „Vater im Himmel“ geht sicherlich einfacher von der Zunge, wenn bei dem Wort „Vater“ schon das Herz aufgeht. Was aber fühlt meine Bekannte, die keinen Vater kennt? Was hören Menschen im „Vater Unser“, die keinen Grund haben, ihre Väter zu lieben? Vielleicht eröffnet gerade der Tag Christi Himmelfahrt eine andere Erfahrung. Weil heute der Himmel die Erde berührt und Gott sich uns allen als Vater anbietet. Gerade auch denen, die auf Erden keinen guten Vater haben.

 

Himmelfahrt ist nicht nur Jesu Vatertag. Sondern auch mein Vatertag, unser Vatertag. Mag sein, dass Jesus die Erde verlässt. Aber seine Freunde verlässt er nicht. Und das begreifen die sogar ziemlich schnell. Noch starren sie an den Himmel, suchen den Himmel ab nach ihrem verschwundenen Freund. Fühlen sich von allen guten Geistern verlassen. Aber dann kommt die Erinnerung. An den guten Geist, den Jesus versprochen hat. Diesen Geist, in dem Himmel und Erde sich berühren, in dem Gott, der gute Vater, sich in Liebe an die Menschen bindet und unser Leben in den Horizont dieser Liebe stellt. Der viel weiter ist als nur das bisschen Erde, auf dem unsere Füße stehen. Den wir in unseren Herzen und Seelen fühlen und spüren können. Da wo die Gefühle sind, die wirklich zählen. Auf diese Gefühle setzt Jesus, auf diese Gefühle setzt Gott.

 

Und dazu gehört auch die Sehnsucht meiner Bekannten. Sie könnte zu Gott beten und ihm von dieser Sehnsucht erzählen. Nach einem Vater. Sie könnte von ihrer Mutter reden, von ihrer Großmutter, von all den starken Frauen in ihrem Leben. Von der Liebe, die sie von diesen Frauen gelernt hat. Und die dennoch nie ganz wettmachen konnten, dass ein wichtiger Mensch ihres Lebens nichts von ihr wissen wollte. Und vielleicht würde sie bei Gott einen Vater erleben, dem sie etwas wert ist. Und würde begreifen, dass letztlich die Liebe zählt, die man erfährt. Und nicht die, die man erhofft. Und vielleicht würde ihr das Gespräch mit diesem Vater im Himmel helfen, ihren Frieden zu schließen mit dem anderen Vater auf Erden, den sie nie gehabt hat.

 

Und all die anderen. Die von ihren Vätern verletzt, verwundet und missachtet wurden. Sie könnten zu Gott beten und von ihrer Not, ihrem Schmerz, ihrer Enttäuschung reden. Vielleicht würde es ihnen gelingen, nicht von ihren Vätern auf den Vater im Himmel zu schließen, sondern umgekehrt. Denn der ist eben nicht, wie ihr Vater ist. Sondern ihre Väter sollten sein, wie der Vater, zu dem Jesus Christus geht. Ein Vater, zu dem man kommen kann mit allem, was plagt. Der den Weg durch die tiefsten Täler mitgeht. Bei dem man ein Leben lang Kind sein kann. Geliebtes und willkommenes Kind. So könnte das sein mit den Vätern auf Erden und dem Vater im Himmel.

 

So haben es die Jünger erlebt und begriffen damals auf dem Ölberg. Sie haben gesehen, wie Jesus zu seinem Vater geht und damit anbietet, dass auch wir bei Gott einen Vater haben. Und siehe da, in müde Füße kommt Bewegung. Der dunkle Schatten weicht dem Licht des Himmels. Auf dem Berg stehen keine verlassen und enttäuschten Jünger mehr, sondern geliebte Menschen, die mit beiden Beinen auf der Erde stehen und in ihrem Herzen den Himmel tragen. Weil sie ja noch immer einen Vater haben, der für sie da ist, wenn sie ihn brauchen. Der ihnen aber auch zutraut, ihren Weg zu gehen. Und das tun sie, die Jünger. Sie gehen nach Jerusalem und erzählen. Und sie gehen ihren Weg mit Leichtigkeit und Freude, wie es der Evangelist Lukas erzählt. Im Namen der Liebe gehen sie ihren Weg. Im Namen der Liebe gehen wir unseren Weg.

 

Wir tun das als Gotteskinder. Wie die Jünger Jesu wissen wir um Schmerz und Trauer, wir kennen Kummer und Not. Wir wissen, wie erdenschwer sich unsere Füße manchmal anfühlen. Aber seit Christi Himmelfahrt steht auch uns der Himmel offen. Dieser weite und helle Himmel. Mit einem Vater, der diesen Namen verdient. Bei dem mein schweres Herz leichter wird, bei dem meine Füße fröhlich ihren Weg finden, der meiner Seele Heimat gibt. Bei dem ich sein kann, wie ich bin. Mit der ganzen Tiefe meines Lebens und mit der Leichtigkeit des Seins.

 

Und deshalb ist für mich heute wirklich und wahrhaftig Vatertag. Und nicht nur heute. Sondern an jedem Tag meines Lebens. Nicht mit Leiterwagen und Bierfässern. Aber mit Heiterkeit und großer Freude. Im Namen der Liebe und des Lebens. Im Namen von Himmel und Erde. Im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes.

Amen.

 

 

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.

07.02.2018
Dekanin Dorothee Wüst