Getröstet und froh den Kopf erheben

Evangelisch-Reformierte Kirche Hamburg
Getröstet und froh den Kopf erheben
Rundfunkgottesdienst aus der Evangelisch-Reformierten Kirche Hamburg
09.09.2018 - 10:05
13.06.2018
Ulrike Litschel
Über die Sendung

Evangelischer Rundfunkgottesdienst am Sonntag, 9. September 2018 aus der Reformierten Kirche in der Palmaille in Hamburg-Altona live im Deutschlandfunk um 10.05 Uhr

 

Der vom Schweizer Architekten Huber konzipierte Kirchenbau aus Backsteinen erinnert an eine Wohnburg und – der reformierten Tradition entsprechend – gleichzeitig an einen Tempel. Wer den Kirchenraum betritt, wird von warmem Licht empfangen und erlebt gleichzeitig eine unerwartete Weite, die durch unterschiedliche Ebenen im Raum entsteht. Diese Weite und innere Freiheit möchte Pastorin Ulrike Litschel im Gottesdienst aufnehmen. Predigttext ist ein Abschnitt aus der Bergpredigt Jesu, in dem es um das Sammeln von Schätzen und um das Sorgen geht. Kantorin Dagmar Lübking sitzt an der Ahrend-Orgel.

Die Ursprünge der Evangelisch-reformierten Gemeinde in Hamburg liegen in den Flüchtlingsbewegungen, in denen sich vor etwa 400 Jahren Protestanten aus Frankreich (Hugenotten) und den Niederlanden in Altona und Hamburg angesiedelt hatten. Mit ihren zwei Zentren in der Ferdinandstraße in der Nähe des Hauptbahnhofs und in der Palmaille in Altona bietet die Gemeinde heute nicht nur ihren Mitgliedern eine Anlaufstelle und geistliche Heimat.

Nach dem Gottesdienst ist die Gemeinde von 11.00 bis 12.00 Uhr unter der Telefonnummer 040 38 29 19 erreichen.

 

Gottesdienst nachhören

 

Den Gottesdienstmitschnitt finden Sie auch direkt unter http://www.deutschlandradio.de/audio-archiv.260.de.html?drau:broadcast_id=122

Predigt zum Nachlesen
 

Liebe Hörerinnen und Hörer, liebe Gemeinde!

 

Vögel, die sich von der Schwere des Erdbodens lösen und sich von den Luftströmungen unter dem Himmel davontragen lassen – und leuchtende Blumen auf dem Feld:

Jesus malt uns wunderschöne Bilder vor Augen.

Bilder, die an die hellen Tage des Sommers erinnern:

Geschöpfe voller Lebensfreude und Farben,

Vögel und Blumen – sie säen nicht und ernten nicht und finden doch, was sie zum Leben brauchen.

 

Jesus hatte wohl die wilden Anemonen Galiläas vor Augen, die einige kurze Wochen im Februar und März die Hänge der Berge mit leuchtend roten Blütenteppichen bedecken.

Ich sehe, dass sie schöner sind als die Kleidung der Gäste bei der letzten königlichen Hochzeit.

Sorgt euch nicht um das, was ihr essen und trinken, und um das, was ihr anziehen sollt.

Gott sorgt für euch, so wie für die Vögel und die Blumen.

 

Aber Jesus, – widerspreche ich – wir Menschen sind keine Vögel und keine Blumen. Vögel haben ihre Instinkte, die ihren Flug lenken und sie zum Futter leiten. Und ihre Lebensdauer umfasst nur eine kurze Zeit, verglichen mit der von uns Menschen.

Die Anemonen vertrocknen, sobald die Hitze im Frühjahr zunimmt und die Wiesen verbrennt. Nach kurzer Zeit bleibt von ihnen nur Stroh.

 

Wir Menschen können doch gar nicht anders, als uns um unser Leben, um unser Auskommen, um unsere Familien zu sorgen:

Wir sorgen uns um die Gegenwart und die Zukunft - um die Menschen, die wir lieben.

Und anders als Vögel und Blumen haben wir Menschen die Fähigkeit, aus der Vergangenheit Schlüsse zu ziehen und die Gefahren der Zukunft vorwegzuahnen.

Deshalb machen wir uns Sorgen. Und oft zurecht!

 

Kein Wunder bei all dem, was unsere Welt bedroht! Nachrichten von Krieg und Flucht und Zerstörung höre ich.

Und sollte ich etwa nicht vorsorgen für mein Alter, keine Krankenversicherung abschließen und stattdessen mein Sparkonto plündern? Und was ist mit der Ausbildung unserer Kinder und dem Nachdenken über Patientenverfügung und Generalvollmacht?

 

Jesus war nicht naiv und er kannte die Sorgen der Menschen in Galiläa.

Die harte Arbeit auf den Feldern, säen und ernten – und doch fiel die Ernte wegen großer Trockenheit oft zu gering aus.

Einige seiner Jünger waren Fischer. Immer begleitet von der Sorge, dass die Fische nicht heraufkamen aus der Tiefe des Sees und die Netze leer blieben. Wenn es gut ging, reichte der Ertrag ihrer Arbeit für ein einfaches Leben. Aber da waren noch die Steuern der römischen Besatzungsmacht, die den Menschen auferlegt worden waren. Sie waren hoch und kaum zu bezahlen.

 

Die Jünger sind die ersten Hörer der Worte Jesu.

Menschen, die alles zurückgelassen hatten, um mit ihm zu gehen: ihre Felder, ihre Fischernetze, Mütter, Väter, Kinder. Ganz sicher ist für sie die Sorge um ihre Familie ein Thema, ebenso wie die alltägliche Frage nach dem nächsten Übernachtungsplatz, und ob es eine Abendmahlzeit für sie geben würde, oder wie sie sich vor der Kälte schützen.

 

Jesus lebt mit seinen Freunden und Freundinnen. Er sieht, wie sie sich Gedanken machen. Und so lenkt er ihren Blick in den Himmel zu den Vögeln, und auf die Hügel Galiläas, rot von Anemonen, die so wunderbar blühen.

Aber er sagt nun gerade nicht: Werdet wie die Anemonen! Lebt wie die Vögel - ganz ohne Sorgen. Weil klar ist: das geht nicht!

Vielmehr sagt Jesus: Schaut sie euch einmal an, die Anemonen, das Gras, die Vögel. Wenn ihr sie genau beobachtet, könnt ihr etwas über das Leben lernen. Sie machen sich nämlich nicht unendlich Mühe mit ihrem Leben. Sie säen nicht, sie arbeiten nicht, entfalten keine wilde Betriebsamkeit, das alles ist ihnen fremd – aber – sie leben und blühen doch!

Daran könnt ihr sehen: Die wirklich wichtigen Dinge im Leben sind unverfügbar, ihr habt darauf keinen Einfluss. Gott sorgt für seine Schöpfung. Und auch für euch.

Mir tun diese Sätze Jesu gut.

Es geht also nicht darum, Vernunft und Vorsorge auszuschalten, sondern die übermäßige Sorge auf ihren Platz zu verweisen und zu begrenzen.

Zu unterscheiden, wo ich mit Sorge und Vorsorge Gutes ausrichte oder mir mein Leben in angstvollen Sorgen einschränke oder meine Lebendigkeit ersticke.

 

Auf dem Weg mit Jesus erleben seine Jünger, was er damit meint:

Er lockt das Gute aus den Menschen hervor, denen sie bei ihren Wanderungen begegnen. Fremde laden die Jünger und Jesus immer wieder zum Essen und Übernachten ein. Und selbst wenn sie einmal auf freiem Feld schlafen müssen, sind die Nächte voller Schönheit und Geheimnis.

 

Die Jünger werden zu Zeugen, als Jesus Kranke heilt, Traurige tröstet, den Mutlosen Hoffnung gibt Und sie erinnern sich dann an die Worte des Propheten: Gott macht die Blinden sehend, die Lahmen gehend. Gott richtet auf, die niedergeschlagen sind.

 

Die Jünger sind dabei, als Jesus in einer abgelegenen Gegend 5000 Menschen mit 5 Broten und 2 Fischen sättigt, und sie erinnern sich daran, wie Israel in der Wüste jeden Morgen Manna sammelte und abends Wachteln und damit vor dem Hunger bewahrt wurde.

 

Und es wird ihnen, als sei Jesus wie die Wolkensäule am Tag und der Feuerschein bei Nacht, in denen Gott seinem Volk Israel durch die Wüste vorausging.

 

So stark muss diese Erfahrung der Geborgenheit gewesen sein, dass die Worte Jesu über die Vögel und die Blumen auf dem Feld in späteren Jahren in ihrer Erinnerung einen festen Platz einnehmen und immer wieder erzählt und schließlich aufgeschrieben werden. Und so können wir heute recht sicher sein, in ihnen authentische Worte Jesu zu hören.

 

Gott weiß, was ihr braucht. Er weiß es schon, bevor ihr ihn darum bittet, sagt Jesus zu seinen Jüngern, und lebt ihnen die Freiheit von Sorge und Lebensangst vor.

Seine Jünger und Jüngerinnen lassen sich berühren von seinem Vertrauen und üben sich ein in diese Freiheit.

 

 

 

Trachtet vielmehr zuerst nach seinem Reich und seiner Gerechtigkeit, dann wird euch das alles dazugegeben werden, sagt Jesus:

Die Jünger richteten sich darauf aus, was im Leben eines Menschen wirklich wichtig ist. Sie orientieren sich dabei an dem, was Jesus sie gelehrt hat.

Tief im Herzen wissen sie, dass sie ihr Leben Gott verdanken; darum müssen sie sich nicht mehr um die eigenen Ängste drehen. So weitet sich ihr Blick und sie nehmen wahr, wer da mit ihnen auf dem Weg geht. Sie beginnen Freundschaft anzubieten, Vertrauen zu verbreiten, und mit anderen für eine gute Gegenwart und Zukunft in der Welt einzustehen.

 

Dieses Vertrauen kenne ich auch.

Doch das ist nicht immer so. Es gibt Zeiten, da schaue ich auf all das, was ich in meinem Leben vermisse, was mir nicht geglückt ist. Wo ich die Zukunft fürchte.

Das sind Zeiten, in denen sich Ängste und Sorgen in meinem Leben breitmachen wollen.

In solchen Zeiten warte ich auf solche Sätze, wie Jesus sie gesagt hat: Heb den Kopf, schau in den Himmel. Sieh sie an, die Vögel, schau auf die leuchtenden Blumen: so sorgt Gott auch für dich.

Und dann entdecke ich manchmal plötzlich eine fröhliche Melodie in meinem Kopf, der Himmel weiß woher, oder eine kurze Notiz mit einem lieben Gruß in der Hosentasche, oder einen Regenbogen am Himmel, oder ein feiner Kaffeeduft steigt mir in die Nase - und das alles leuchtet mir durch den Tag.

Ganz sicher haben wir heute andere Herausforderungen als die Menschen zur Zeit Jesu. Wir schauen mit Entsetzen auf das Ertrinken so vieler Flüchtlinge im Mittelmeer, wir hören mit Sorge vom Klimawandel und fragen uns, wie den vielen kriegerischen Konfliktherden auf der Welt Einhalt geboten werden kann.

 

Doch unsere persönlichen Sorgen unterscheiden sich gar nicht so sehr von denen der Jüngerinnen und Jünger: die Zukunft der Kinder, die Angst um den Arbeitsplatz, Sicherung unserer Existenz, Fragen um Krankheit und Tod. Denn bei aller Vorsorge können wir nicht wissen, was auf uns zukommt.

Es lohnt sich, genauer hinzusehen und zu unterscheiden:

Was wird uns zugemutet, ohne dass wir es ändern können, und wo können wir etwas tun und zum Guten beeinflussen?

 

Dann sind wir zum Beispiel frei, den Mitmenschen ins Gesicht zu sehen, sie in unser Leben lassen und ihre Lebenskreise zu betreten.

Wir haben es in der Hand, nicht nur Gäste in Gottes Schöpfung zu sein, sondern selber Gastgeber zu werden: Für Menschen, denen wir beistehen können: Hungrigen, Obdachlosen, Kranken und Traurigen.

 

Dann mag etwas hervorleuchten von Gottes Reich, in dem sein Wille gilt.

Und wir bekommen etwas von der Leichtigkeit der Vögel im Sommerwind und der Leuchtkraft der Anemone in der Sonne.

 

Alles andere können wir getrost Gottes Sorge sein lassen. Denn der Ewige weiß, was wir brauchen, noch ehe wir ihn darum bitten.

Amen.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

13.06.2018
Ulrike Litschel