Im Wein ist Wahrheit

Evangelischer Rundfunkgottesdienst

Bild: Gemeinde Versmold

Im Wein ist Wahrheit
Ev. Gottesdienst aus der Petri-Kirche Versmold
25.02.2018 - 10:05
07.02.2018
Pfarrer Sven Keppler
Über die Sendung

Am zweiten Sonntag in der Passionszeit überträgt der Deutschlandfunk einen Gottesdienst aus der Evangelischen Petri-Kirche in Versmold.

In Ostwestfalen sammeln Hobbygärtner erste Erfahrungen mit dem Weinanbau. Einer von ihnen berichtet im Gottesdienst von ersten Versuchen, von Erfolg und Scheitern. In der Bibel ist der Wein ein großes Thema. Weinstöcke und Weinberge, die süßen oder sauren Früchte werden zum Bild für Gottes Beziehung zu den Menschen. Das passt gut in die Fastenzeit, denn sie ist für viele eine Zeit der Besinnung: Was gelingt und was missrät im Leben, wann braucht es Vergebung und einen Neuanfang? Pfarrer Sven Keppler denkt darüber in seiner Predigt nach und nimmt dabei Bezug auf eine Kernaussage Jesu aus dem Johannesevangelium: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun.“ (Joh 15,5)

 

Die Kleinstadt Versmold liegt im äußersten Westen von Ostwestfalen und grenzt an das Münsterland. Ihr historisches Zentrum bildet die Petri-Kirche, deren Anfänge bis ins 11. Jahrhundert zurückreichen. 2009 ist sie unter großer Beteiligung der Bürgerschaft saniert worden. Seitdem lädt sie mit ihren hellen Farben und ihrem klaren Inneren viele Besucherinnen und Besucher ein: sonntags zum Gottesdienst und in der Woche zu Gebet und Besichtigung.

 

Die Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde versucht, mit ihrem breiten Angebot alle Generationen zu erreichen. Sie ist Trägerin von fünf Kindergärten, zwei Jugendzentren und einem Altenheim. Neben der Petri-Kirche hat sie auch Standorte in vier weiteren Ortsteilen. Es gibt ein großes musikalisches Angebot mit Bläsern, Kinderchören, einem Gospelchor und der Kantorei.

 

Musikalisch wird der Gottesdienst durch den Gospelchor und den Posaunenchor der Gemeinde gestaltet unter der Leitung von Hadlef Gronewold. Er spielt auch die Orgel. Als Lektoren wirken Siegrid Schlüpmann und Thorsten Klute mit. Liturgie und Predigt hält Pfarrer Sven Keppler.

 

Gottesdienst nachhören

 

Den Gottesdienstmitschnitt finden Sie auch direkt unter http://www.deutschlandradio.de/audio-archiv.260.de.html?drau:broadcast_id=122

Predigt zum Nachlesen
 

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 

Liebe und Leidenschaft. Echte Hingabe. Totaler Einsatz. Und dann das Scheitern. Maßlose Enttäuschung. Verzweiflung. Wut. Und schließlich die unerbittliche Konsequenz: der Schlussstrich. Aber damit ist die Sache nicht erledigt. Es bleibt die Trauer. Die Wehmut, dass ein großer Traum zerbrochen ist. Wenn es wahre Liebe war, wird der Schmerz vielleicht nie ganz aufhören.

So kann es zugehen, wenn Menschen sich lieben. Wie ist es wohl in der Beziehung zwischen Gott und den Menschen?

 

Mein Freund hatte einen Weinberg. Er hatte sich entschieden. Ein Weinberg ist keine Liebe nur für einen Sommer. Er braucht eine echte, eine dauerhafte Beziehung. Das ist ein Projekt für Jahrzehnte, mindestens.

Vorher hatte mein Freund nicht nur einen Weinberg angeschaut. Sondern er war lange auf der Suche gewesen. Sozusagen nach dem Weinberg für’s Leben. Als er endlich den richtigen gefunden hatte, musste er um ihn werben. Natürlich gab es noch andere Interessenten. Aber alle spürten: Keiner meinte es so ernst wie mein Freund. Und so bekam er den Zuschlag.

Er investierte all seine Kraft und all seine Leidenschaft in seine Liebe. Den gesamten Boden grub er um. Er beseitigte alle Steine, alle Hindernisse, die dabei zutage traten. Er pflanzte die besten Reben. Schuf mit großem Aufwand die günstigsten Bedingungen: einen Turm, dauerhafte Mauern und Zäune. Sogar eine eigene Kelter.

Täglich lebte er mit seinem Weinberg. Fürsorglich. In banger und zugleich glücklicher Erwartung. Dann kam die Zeit der guten Hoffnung. Die ersten Trauben wuchsen. Sie wurden reif. Sahen prächtig aus. Er kelterte sie. Und erlebte die Enttäuschung seines Lebens.

Mein Freund konnte es nicht begreifen. Er hatte gegeben, was er konnte. Auch die äußeren Bedingungen hatten gestimmt: Sein Weinberg lag schließlich nicht in Ostwestfalen, sondern am Mittelmeer. Als auch in den kommenden Jahren seine Versuche scheiterten, schlug seine Liebe um in Verzweiflung und Zorn. Am Ende blieb eine melancholische Trauer – um die gescheiterte Liebe seines Lebens.

 

Liebe Gemeinde, liebe Hörerinnen und Hörer, in der Bibel werden Weinberggeschichten als Beziehungsgeschichten erzählt. Mit dem Weinberg ist es wie zwischen zwei Menschen. Ihrer Liebe. Ihrer Not. Ihrem Scheitern.

In der Lesung haben wir das berühmte Weinberglied des Propheten Jesaja gehört. „Mein Freund hatte einen Weinberg auf einer fetten Höhe.“ Das klingt wie der Anfang von Tanja Blixens ‚Jenseits von Afrika‘: „Ich hatte eine Farm in Afrika, am Fuße der Ngong-Berge…“ Ein Rückblick voller Melancholie auf eine verlorene Liebe.

Der Freund in Jesajas Weinberglied ist Gott selbst. Er hatte mit Menschen eine Lebensgeschichte begonnen. Eine Liebesgeschichte. Einen Bund für’s Leben. Aber die Menschen waren ihm nicht treu geblieben. Obwohl Gott alles für sie getan hatte. Obwohl Gott sie gehegt und umsorgt hatte. Sie hatten ihm nicht die Treue gehalten.

Im Weinberglied schlägt Gottes überschwängliche Liebe um. In maßlose Enttäuschung und schließlich in Zorn. Sogar den Wolken verbietet er, auf dieses Stück Land zu regnen. Am Ende steht nicht der geringste tröstliche Ausblick.

Wenn ich von dem bitteren Ende dieser Beziehung höre, kommt mir die Frage: Gibt es nicht auch in Gottes Liebe einen bleibenden Schmerz? Ein letztes Festhalten an der Hoffnung? Eine Sehnsucht, dass am Ende doch alles wieder gut wird?

 

 

Weingeschichten in der Bibel sind Beziehungsgeschichten. Das beginnt schon am Anfang mit Noah, dem allerersten Weinbauern. Nach seiner ersten Weinprobe ist er betrunken. Im Streit verflucht er seinen jüngsten Sohn.

Weingeschichten sind meistens Geschichten von belasteten, gestörten Beziehungen. Liegt das an der Zwiespältigkeit des Alkohols? Er kann beschwingt machen. Gefühlsstark. Entspannt und enthemmt. Aber wenn die Hemmungen fallen, zeigen sich oft die Abgründe der Seele. Die Schattenseiten, die im Alltag sonst eher verhüllt bleiben.

Die Weisheitssprüche Salomos wissen genau um diese Zwiespältigkeit. Sie raten durchaus, den betrübten Seelen Wein zu geben, damit sie ihr Unglück vergessen [Spr 31,6]. Aber gleichzeitig warnen die Sprüche vor dem Trunk: Willst du wissen, wer ständig stöhnt und sich selbst bemitleidet? Wer immer Streit hat und sich über andere beklagt? Das sind die, die bis spät in die Nacht beim Wein sitzen. Lass dich nicht vom Wein verführen! Er funkelt so rot im Becher und gleitet so angenehm durch die Kehle; aber dann wird es dir schwindlig, als hätte dich eine giftige Schlange gebissen [Spr 23,29-32].

Hier in Ostwestfalen fängt es mit dem Weinbau erst langsam an. Als Folge des Klimawandels. Wo der Weinbau die Landschaft schon lange prägt, wird er zum Sinnbild. Für das Leben. Für die Menschen dieser Gegend. Für die Beziehungen zwischen Menschen und mit Gott.

Ein Weinberg ist genau so doppelgesichtig wie der Wein selbst. Wenn Gott Menschen erwählt, sind sie für ihn wie ein kostbarer, gehegter Weinberg. Aber die menschliche Natur ist zwiespältig wie der Alkohol. Sie kann begeistern und Liebe wecken. Aber sie kann auch grausam scheitern. Und dann betrifft das nicht nur eine Generation. Auch die Nachkommen werden in das Unglück mit hinein gerissen. Ein Sprichwort aus biblischer Zeit sagte: „Die Väter haben unreife Trauben gegessen und die Söhne haben davon stumpfe Zähne bekommen.“ [Jer 31,29]

 

Wenn Menschen ein Unglück erleben, deuten sie es oft als Folge von Gottes Zorn. Wenigstens in biblischen Zeiten war das so. Auch dafür steht im Jesajabuch eine Weingeschichte: Der Zorn Gottes ist wie ein Wein, den die Menschen aus Bechern trinken müssen. Aber es gibt eine Hoffnung: Höre, was der Herr, dein Gott, dir sagt, dein Beschützer: „Ich nehme dir den Becher aus der Hand, du musst nicht länger den Wein meines Zornes trinken.“ [Jes 51,22] Und wenig später lässt er Gott sagen: „Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen; aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen.“ [Jes 54,8] Wird also doch die Hoffnung siegen, dass am Ende alles gut wird?

 

 

 „Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater ist der Weinbauer.“ Das sagt Jesus von sich selbst. In der Evangeliumslesung haben wir es eben gehört. Damit gibt Jesus den alten Weinberggeschichten eine neue Wendung. Immer schon waren es Geschichten von gestörten Beziehungen. Und seit jeher stand die Frage im Raum: Wird am Ende vielleicht doch alles gut werden können? Trotz allem?

Jesus sagt: Es braucht einen Neuanfang. Wenn eine Beziehung gescheitert ist, dann ist sie am Ende. Dieses Ende muss man ernst nehmen. Man kann es nicht überspielen. Nicht verdrängen. Nicht so tun, als wäre alles nur halb so schlimm.

Das Erstaunliche bei Gott ist, dass bei ihm am Ende trotzdem nicht alles vorbei ist. Wo es nach menschlichen Maßstäben nicht mehr weiter geht, kann er einen neuen Anfang machen. Sogar gerade dann. Wenn eine gestörte Beziehung am Ende ist, dann spüren alle, dass die Sache nicht zu retten ist. Anders in der Beziehung zu Gott. Bei ihm könnte ein Sprichwort etwas abgewandelt heißen: Erst wenn Du denkst, es geht nicht mehr, kommt von ihm ein Anfang her.

 

Mein Freund hatte einen Weinberg. Er ließ ihn vertrocknen und wüst liegen, so enttäuscht war er über die schlechten Trauben. Aber sein Herz hing doch an ihm. Er konnte seine Liebe nicht vergessen.

Mein Freund hat einen Sohn. Dieser Sohn sagt von sich: Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater ist der Weinbauer. Ich bin der Weinstock und ihr seid die Reben. Wer mit mir verbunden bleibt, so wie ich mit ihm, bringt reiche Frucht. Denn ohne mich könnt ihr nichts ausrichten. Bleibt mit mir vereint, dann werde auch ich mit euch vereint bleiben. Nur wenn ihr mit mir vereint bleibt, könnt ihr Frucht bringen, genauso wie eine Rebe nur Frucht bringen kann, wenn sie am Weinstock bleibt. [Joh 15,1-5]

Auch diese Weingeschichte ist eine Beziehungsgeschichte. Aber etwas ist anders. Es ist sozusagen eine Geschichte in zwei Kapiteln. Das erste handelt von Gott und Jesus. Das Verhältnis der beiden ist ungetrübt. All die üblichen Spannungen und Entzweiungen gibt es nicht zwischen diesen beiden. Jesus war als Mensch so, wie Gott uns Menschen von Anfang an gewollt hat. Nur dass wir den Wünschen Gottes so selten gerecht werden.

Nun hat diese Geschichte ein zweites Kapitel. Jesus möchte uns hineinnehmen in seine Beziehung zu Gott. Er bietet uns an, an seiner Gottesbeziehung teilzuhaben. Egal, ob wir das von uns aus schaffen würden oder nicht. Mensch zu sein, so wie Gott uns gewollt hat. In der Liebe zu bleiben, anderen gerecht zu werden, Gott gerecht zu werden.

Das Bild dafür ist der Weinstock. Offensichtlich sind wir Menschen überfordert, wenn wir selbst ein Weinstock sein müssen und alles aus eigener Kraft hervorbringen sollen. Wir sind so zwiespältig wie der gegorene Traubensaft. Jesus dagegen ist aus anderem Holz gemacht. Wenn er der Weinstock ist, zieht er die Kraft aus seinen Wurzeln. Und seine Kraft gibt er an uns weiter.

Das macht einen neuen Anfang möglich. Wer mit ihm in Beziehung tritt, kann auch mit Gott neu beginnen. Das Bild für diese Beziehung ist das von Weinstock und Reben. Wir dürfen uns wie Reben von Jesus tragen lassen.

 

 

Wer neu anfangen will, braucht vor allem Liebe. Ohne Liebe bringt niemand die Kraft für einen Neuanfang auf. Nicht der Freund, der in Israel einen Weinberg hatte. Und nicht der Gärtner in Ostwestfalen, der es mit dem Wein versucht.

Wenn die erste Liebe ein bisschen blind macht, schadet das nichts. Auch ein saurer Wein darf mal lieblich schmecken, wenn man stolz ist auf das erste Ergebnis seiner Liebhaberei.

Wer neu anfangen will, braucht bedingungslose Liebe. Einen Partner, der nicht rechnet. Nichts zeigt dies schöner als die Weinberggeschichte aus dem Matthäusevangelium.

Ein Weinbauer stellt früh am Morgen einige Männer an, die in seinem Weinberg arbeiten sollen. Er vereinbart mit ihnen einen üblichen Tageslohn. Zwei Stunden später stellt er noch einmal Leute an. Auch am Mittag und am frühen Nachmittag. Sogar eine Stunde vor Arbeitsschluss holt er noch einige Arbeiter dazu, weil er merkt, dass noch genug zu tun ist.

Nach der Arbeit wird der Lohn ausgezahlt. Die Männer, die am frühen Morgen begonnen haben, erhalten den vereinbarten Lohn. Aber auch alle anderen erhalten denselben Betrag. Natürlich murren die Ersten. Ihr Gerechtigkeitsgefühl ist verletzt. Der Weinbauer fragt einen der ersten: Bist du so verärgert, weil ich so gütig bin? Genau: Es ist Güte. Wer mit Gott lebt, so richtig und auf Dauer, darf mit Gottes Güte rechnen.

 

Gott will mit uns neu anfangen. Wie ein Weinbauer, der die Liebe zu seinem Weinberg einfach nicht vergessen kann. Manche sind von Beginn an bei diesem Neuanfang dabei. Andere kommen erst später dazu. Aber keiner muss fürchten, zu kurz zu kommen. Auch die Traube, die als letzte gewachsen ist, kann köstlich schmecken. Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

07.02.2018
Pfarrer Sven Keppler