Lätare – Freue dich!

Evangelischer Rundfunkgottesdienst aus dem Dom Magdeburg
Lätare – Freue dich!
Gottesdienst aus dem Dom Magdeburg
11.03.2018 - 10:05
07.02.2018
Jörg Uhle-Wettler
Über die Sendung

Evangelischer Rundfunkgottesdienst am Sonntag Lätare, 11. März 2018 aus dem Remter des Magdeburger Doms  im Rahmen der Telemann-Festtage live im Deutschlandfunk um 10.05 Uhr

 

 

Er war ein bedeutender Sohn der Stadt: Georg Philipp Telemann. Im Rahmen der Telemann-Festtage Magdeburg wird ein Gottesdienst aus dem Dom übertragen, der  Vokalmusik Telemanns mit der biblischen Botschaft des Sonntags Lätare verknüpft. Die Predigt hält Domprediger Jörg-Uhle-Wettler. Der Domchor wird geleitet von Domkantor Barry Jordan. Er spielt auch die Orgel.

 

Der Magdeburger Dom ist der größte Sakralbau Ostdeutschlands. Erbaut ab 1207; Taufstein und Säulen stammen noch aus dem ottonischen Dom. Über 300 Jahre dauerte der Bau bis zur Vollendung. Alle Baustile haben ihre Handschrift hinterlassen; auch Kunstwerke bis in die Neuzeit. Darunter die  verblüffend lebensnahen Figuren der zehn Jungfrauen aus dem biblischen Gleichnis und das Antikriegsdenkmal von Ernst Barlach. Zum Dom gehört der Remter - die heutige Winterkirche, aus dem der Gottesdienst übertragen wird. Der Remter ist ein hochgotischer Hallenbau aus dem 14. Jahrhundert.

 

 

Gottesdienst nachhören

 

Den Gottesdienstmitschnitt finden Sie auch direkt unter http://www.deutschlandradio.de/audio-archiv.260.de.html?drau:broadcast_id=122

Predigt zum Nachlesen
 

Gnade sei mit uns – und Friede von Gott unserem Vater –

der da ist und der da war und der da kommt. Amen

 

Liebe Gemeinde im Magdeburger Dom und am Radio,

 

Gerade gesungen, gerade verklungen.

Liebe wächst auf, die längst erstorben schien. Liebe wächst wie Weizen – und ihr Halm ist grün.

Manchmal hält eine Zeile alles zusammen.

Die Liebe, den Tod und die Hoffnung.

 

Zwei Dinge gibt es in der Welt, wenn die anklopfen, kann man nicht sagen – komm in einem halben Jahr wieder. Das sind der Tod und die Liebe! Es geschieht und dann ist es um uns geschehen. So oder so. Zwischen der Liebe und dem Tod steht das Leiden. Die Passionsgeschichte. Wir können im Leben leiden, am Leben leiden oder durch das Leben leiden. Nur naiver Glaube geht davon aus, es müsse im Leben alles glatt gehen.

Erfahrung lehrt, dass Schwierigkeiten, Niederlagen, Rückschläge und Misserfolge eine selbstverständliche Zugabe zum Leben sind, durch die wir wachsen und reifen.

 

Biographien verdeutlichen dies.

Dieser Gottesdienst ist in die Magdeburger Telemanntage integriert. Wir denken in einer Vielzahl von Veranstaltungen an Georg Philipp Telemann oder erfreuen uns an seinen entfalteten Begabungen. Die Musik steht über den Worten!

 

Georg Philipp Telemann wurde am 14. März 1681 hier in Magdeburg geboren. Er war das jüngste von sechs Kindern. Nur zwei von den sechs Kindern erreichten das Erwachsenenalter. Vier Kinder starben jung. Auch Telemanns Vater. Georg Philipp war erst 4, als der Vater starb. Der Vater war Pfarrer hier in Magdeburg. Ein außergewöhnlicher. Er versteckte sich nicht hinter kirchlicher Formelsprache, sondern ging zu den Menschen. Auch den Pestkranken. Dorthin gehen, wo die Leiden sind – das ist eine urchristliche Grundlage.

 

Wir sehen heute: Wer wirklich leidet, macht nicht viele Worte. Dieses klagende Feilschen, wem es in dieser Gesellschaft schlechter geht, verhöhnt oft die, die wirkliches Leid aushalten müssen.

 

Die Mutter von Georg Philipp Telemann und seinen fünf Geschwistern war nun alleinerziehend. Wir können nur ahnen, was diese Melange aus Sorge und Fürsorge in ihrem Herzen bewegt hat.

Heute werden die Menschen schon nervös vom Eurogehüstel. In den vergangenen Jahrhunderten ging es ums Überleben.

Telemann war – nach eigener Aussage – musikalischer Autodidakt. Er zeigte beachtliches musikalisches Talent und begann mit zehn Jahren, seine ersten Stücke zu komponieren – oft heimlich und auf ausgeliehenen Instrumenten.

Seine Mutter sah diese Entwicklung mit Sorge, denn der Musikerberuf galt damals als wenig geeignet zur ökonomischen Existenzabsicherung. „Brotlose Kunst“, sagt der Volksmund. Immer noch!

So wurde Telemann zur weiteren schulischen Ausbildung nach Zellerfeld und Hildesheim geschickt, kehrte jedoch zur Reifeprüfung nach Magdeburg zurück. Auch nach seinem Weggang aus dieser Stadt riss der Kontakt hierher nicht ab.

 

 

Städte schmücken sich ja gern mit berühmten Persönlichkeiten, die als Kinder in ihnen wohnten. Meistens haben sie zu Lebzeiten nichts von den Dichtern gehalten – sich aber nach deren Tod um so mehr mit ihnen geschmückt. Hermann Hesse in Calw, Bertolt Brecht in Augsburg, Hans Fallada in Greifswald.

In Magdeburg war es etwas anders: Telemann erinnerte sich stets dankbar an die Magdeburger Zeit. Hier wurde der Keim gelegt, dass er sich später zu einem der erfolgreichsten und europaweit geschätzten Komponisten entwickeln konnte.

Telemann hat seiner inneren Berufung folgend, seine Begabung entfaltet. Trotzalledem.

Er steht da in einer Traditionslinie mit vielen bedeutenden Künstlern.

Der Maler Marc Chagall sollte Buchhalter werden. Sein Vater zerriss die Malskizzen. Brotlose Kunst! Den Buchhalter Marc Chagall würde niemand mehr kennen.

In der Musikerwelt heißt es, Bach und Händel trügen größere Namen als Telemann. Aber der eigenen Entwicklung schaden die ständigen Vergleiche.

Egal auf welcher Ebene wir uns befinden, es gibt immer schlauere und reichere Menschen als uns. Und auf der anderen Seite gibt es auch immer dümmere und ärmere Menschen als uns.

Die eigene Lebensentfaltung ist das Entscheidende!

 

Wir haben vom Weizenkorn gehört, dass es sich erst entwickelt, nachdem es im Acker versenkt wurde. Jesus benutzt ein alltägliches Sprachbild, das die Menschen kannten.

Was für ein zartes, gefährdetes, den Acker durchdringendes, der Sonne sehnsüchtig entgegenwachsendes Korn und Sprachbild. Und alles geschieht, ohne unser Zutun.

Und unsere Äcker?

Wir füllen Fördermittelanträge aus und beschäftigen uns mit Effizienz und Abschreibungsmodalitäten. Wir beobachten mögliche Landzukäufe und Bodenwertzahlen. Wir bearbeiten Greeningprogramme und Stilllegungsflächenstatistiken.

Genmanipulierung und Glyphosatgeschrei umgibt uns.

Die Landwirtschaft aus den Pappbüchern, die wir aus Kindertagen kennen, gibt es nicht mehr. Der kleine rote Traktor zieht nur noch in der Erinnerung seine Furchen und zwei Enten schnattern am Gartenzaun. Heute schnattert alles durcheinander. Die Ungeduld ist über uns hereingebrochen. Die drei Schlagworte unserer Zeit heißen: Ich, Alles, Sofort.

 

Uns fehlen Geduld und Mut, abzuwarten. Es geschieht! Wir müssen uns nur von den Siegern fernhalten. Die Passionsgeschichte zeigt deutlich, dass Jesus den Menschen ausgeliefert war. Sie stehen alle unter dem Druck des Alltags, der sie handeln lässt. Der Hohepriester handelt nach religiösem und politischen Kalkül, Pilatus reagiert aus eigenen Sachzwängen heraus, Petrus lügt, nur um nach außen hin nicht auf der Verliererseite zu stehen. Judas verrät aus Liebe.

Das sind alles keine Unholde. Es ist das normal Menschliche, das uns täglich begegnen kann.

Und dann die manipulierten Menschen auf dem Hof unter dem Balkon. Händler, Tempeldiener, Kollaborateure.

 

Die Geschichte ist über sie hinweggegangen.

Die, die Jesus einen kurzen Prozess gemacht haben, haben dadurch einen langen Prozess in Gang gesetzt. Über jeden Leidensweg spannt sich nun ein österlicher Horizont.

 

Das Weizenkorn erstirbt und wächst neu.

Begabungen entfalten sich und neue Lebensmöglichkeiten.

 

Das Weizenkorn, das sich in der Scheune verkriecht, weil es nicht im Acker versenkt werden will.

Es vertrocknet, bringt keine Frucht.

Leben im Sinne der Jesuanischen Botschaft bedeutet auch Risiken einzugehen. Die wenigsten von uns haben so spezielle Begabungen wie Georg Philipp Telemann oder Marc Chagall.

Die meisten von uns wurden auch älter als 32 – und damit älter als Jesus von Nazareth.

Jesus aber bleibt der maßgebende Mensch. Ohne ihn gäbe es diesen Dom hier nicht. Keine Kirche. Nirgends. Wir würden in unserer Konsumwelt zugrunde gehen, wenn fruchtbare Äcker mehr und mehr versiegelt würden.

Im Evangelischen Gesangbuch steht unter der Nummer 268 ein Lied, das Dieter Traumwein gedichtet hat. Strahlen brechen viele aus einem Licht.

Die vielen Strahlen, Zweige, Gaben, Dienste und Glieder sind unterschiedlich zu allen Zeiten und an den verschiedenen Orten.

 

Unser Licht bleibt Christus. Unser Stamm bleibt Christus. Unsere Gaben werden durch die Liebe als Bereicherung und nicht als Bedrohung empfunden. Unsere Dienste leben aus einer Geisteshaltung heraus. Die Taufkirche von Georg Philipp Telemann hier in Magdeburg, an der sein Vater Dienst tat, war die Heilig-Geist-Kirche. Sie wurde auf Anordnung der damaligen Regierung der DDR 1959 abgerissen. Auch wenn die Kirchen fallen, bleibt der Glaube beständig – Gott sei Dank!

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, wird unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus bewahren.

Amen

 

Es gilt das gesprochene Wort.

07.02.2018
Jörg Uhle-Wettler