Wie soll ich dich empfangen?

Evangelischer Rundfunkgottesdienst
Wie soll ich dich empfangen?
Rundfunkgottesdienst aus der Nienstedtener Kirche Hamburg
25.03.2018 - 10:05
07.02.2018
Pastor Tilmann Präckel und Pastorin Vera Lindemann
Über die Sendung

Evangelischer Rundfunkgottesdienst an Palmsonntag, 25. März 2018 aus der Nienstedtener Kirche in Hamburg live im Deutschlandfunk um 10.05 Uhr

 

 

Ein roter Teppich, kreischende Menschenmengen, flirrende Luft… nur der Star ist anders, als man es kennt. Jesus kommt auf einem Esel. Ein sanftmütiger König ohne Glitzer. Am Palmsonntag feiern Christen den Einzug Jesu in Jerusalem – wenige Tage später ist er tot. „Wie soll ich dich empfangen?“ ist das Thema des Radiogottesdienstes am 25. März aus der Nienstedtener Kirche.

 

Wie können Menschen Gott empfangen? An Ostern? Jeden Tag? Wenn das Hosanna verstummt?  In guten und schlechten Zeiten? Dieser Frage ist das Vorbereitungsteam des Radiogottesdienstes nachgegangen. Texte, Lieder und Gebete fragen im Gottesdienst danach, wie das gehen kann: Gott empfangen.

 

Der Gospelchor begleitet den Gottesdienst unter der Leitung von Frauke Grübner, das Pastorenehepaar Vera Lindemann und Tilmann Präckel hält die Predigt. Die Fachwerkkirche wurde im 18. Jahrhundert von einheimischen Handwerkern gebaut. Damals regierte hier noch der dänische König Frederik V. Noch heute atmet die wunderschöne Barockkirche diese Geschichte, zum Beispiel in den Logen oder dem Kanzel-Altar. Viele Paare nehmen lange Wege auf sich, um sich hier trauen zu lassen.

 

Gottesdienst nachhören

 

Den Gottesdienstmitschnitt finden Sie auch direkt unter http://www.deutschlandradio.de/audio-archiv.260.de.html?drau:broadcast_id=122

Predigt zum Nachlesen
 

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist, der da war und der da kommt. Amen.

 

Super, toll! Großartig! Begeisterung ohne Wenn und Aber. Willkommen in der Stadt! Freude pur über den Besuch. Ein prominenter Mensch kommt und teilt seinen Glanz.

 

Wie soll ich dich empfangen? Diese Frage stellen sich viele Menschen in Jerusalem, als Jesus auf dem Esel in die Stadt einzieht. Spontan finden sie die Antwort.

 

Sie lassen ihrer Freude freien Lauf:

„Hosianna in der Höhe!“ Sie jubeln.

„O Herr hilf! O Herr, lass wohlgelingen!“

Die Menschen legen ihre Kleider auf die Straße, wie einen roten Teppich. Mit Palmwedeln stehen sie Spalier. Der Palmzweig war das Zeichen der Herrscher.

 

Nicht der römische Kaiser zieht in Jerusalem ein, sondern ihr König, Jesus aus Nazareth. Sein Markenzeichen ist es, sanftmütig zu sein und er ist fähig, Leben zu schenken. Einen Mann mit Namen Lazarus hatte Jesus in der Nähe von Jerusalem vom Tode auferweckt. Diese Nachricht läuft ihm voraus: „Jesus schenkt neues Leben!“

 

Aber der Einzug in Jerusalem ist zugleich der Anfang seines Endes am Kreuz. Jesus wusste, dass sich in Jerusalem im Hintergrund bereits Menschen zusammenrotteten. Für sie war er eine Bedrohung. Es war ihm klar, dass er sich gefährdete. Und dennoch: Palmsonntag, der Einzug in Jerusalem, ist ein Höhepunkt. Jesus ist oben angekommen, er wird als König gefeiert.

 

Mir kommt der alte Paternoster in den Sinn. Ein Paternoster ist ein Fahrstuhl mit vielen offenen Kammern. Die Kammern bewegen sich langsam in eine Richtung herunter und in die andere Richtung wieder hinauf. Man kann jederzeit rein- und wieder rausspringen. In Hamburg gibt es noch viele Fahrstühle mit diesem merkwürdigen Namen: Paternoster – Vater unser.

 

Heute, am Palmsonntag, strahlt die Sonne – zumindest sinnbildlich. Und doch ist auch dieser Tag irgendwann zu Ende. Es beginnt eine Fahrt abwärts Richtung Karfreitag. Mit den Sprung in den Paternoster der Karwoche gibt es nur eine Richtung: nach unten. Und es kommen Menschen während der Fahrt hinzu: Die Jünger, darunter Judas, der Jesus verriet, Petrus, der sich selbst enttäuschte, die Pharisäer und Schriftgelehrten, die Soldaten, Pontius Pilatus und sogar Verbrecher – ganz zum Schluss.

 

Jesus wusste nicht genau, wem er alles auf seinem Weg nach unten begegnen würde. Eben wie bei einer Fahrt mit dem Paternoster. Wer wird dazu kommen und wer geht? Wer springt auf und ist dann im nächsten Stock schon wieder weg. Und was geschieht, wenn der Paternoster am tiefsten Punkt angelangt ist, bevor es wieder aufwärts geht und man dem Licht entgegenfährt. Das macht man eigentlich immer allein.

 

Und wie empfängt uns der Mensch, der im Paternoster bereits die Fahrt nach unten angetreten hat. Wie begegnet er uns? Guckt er uns an oder lächelt sogar? Bleibt alles still und ist zu spüren, wie unsicher oder gar ängstlich mein Gegenüber ist?

 

Wie ging es wohl Jesus in den Tagen nach dem festlichen Einzug in Jerusalem?

 

Erstaunlich ist: Zweimal im Jahr erinnern wir Christen an Jesu Einzug: Nicht nur an Palmsonntag, am Anfang der Karwoche. Sondern auch im Advent. Das eine Mal als Prozession. Da ist schon eine Spur des Lichts zu erahnen, das an Ostern zurückkehrt. Das andere Mal mit dem Blick nach innen, auf unsere ganz persönliche Ausrichtung – wie soll ich dich empfangen.

 

Wie soll ich dich empfangen? Direkt nach Jesu Tod und Auferstehung haben die ersten Christen sein Geschick deuten wollen. Die Geschichten des Alten Testaments halfen ihnen, Jesu Weg zu verstehen. Dort steht, es ist Gott selbst, der stärkt und begleitet. Gerade auch in der Not und Angst. Hört davon auch bei dem Propheten Jesaja im 50. Kapitel. Das so genannte dritte Gottesknechtslied:

 

Gott der HERR hat mir eine Zunge gegeben, wie sie Jünger haben, dass ich wisse, mit den Müden zu rechter Zeit zu reden. Alle Morgen weckt er mir das Ohr, dass ich höre, wie Jünger hören. Gott der HERR hat mir das Ohr geöffnet. Und ich bin nicht ungehorsam und weiche nicht zurück. Ich bot meinen Rücken dar denen, die mich schlugen, und meine Wangen denen, die mich rauften. Aber Gott der HERR hilft mir, darum werde ich nicht zuschanden. Darum hab ich mein Angesicht hart gemacht wie einen Kieselstein. Er ist nahe, der mich gerecht spricht; wer will mit mir rechten? Lasst uns zusammen vortreten! Wer will mein Recht anfechten? Der komme her zu mir! Siehe, Gott der HERR hilft mir; wer will mich verdammen?

 

Im Fokus dieses alten Liedes über den so genannten Gottesknecht stehen weniger die Menschen, die Jesus beim Einzug begrüßten, und später „Kreuzige ihn“ schrien. – Auch nicht Jesu Gegner. Sie alle sind da, werden im Gottesknechtslied gestreift, aber es geht vor allem um einen, um ihn: Den Gottesknecht!

 

Der Gottesknecht, der unbekannte Prophet, fühlt sich Gott eng verbunden. Gott ist ihm so nah, wie Eltern ihrem Kind nah sind. Er ist geliebt. Er wird am Ende jeder Nacht von Gott geweckt.

 

Gottes Worte erfüllen ihn, er kann sie nicht für sich behalten. Besonders an die müden Menschen wendet er sich. Nein, er ist kein Siegertyp. Aber auch in der Schwäche spürt er Gottes zärtliche Nähe.

 

Von sich selbst sagt der Gottesknecht: „Ich bin nicht ungehorsam und weiche nicht zurück!“ Ja, der Gottesknecht findet die Balance, die wir so oft suchen. Die Balance zwischen der Angst und der Not einerseits und den Momenten, in denen wir zuversichtlich sind und fest stehen.

Sie lässt sich ja nicht wegzaubern, die Angst und die Sorge. Das erlebt er, er bietet seinen Rücken dar – und deshalb kann er zuhören, und deshalb verstehen ihn die Müden.

 

Aber zugleich schwankt er nicht.

Diese Balance und zugleich diese Sicherheit faszinieren mich. Und vielleicht fragen wir uns, ob auch wir im entscheidenden Moment bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Ob wir das Risiko auf uns nehmen würden, in eine Fahrt im Paternoster abwärts einzusteigen. Wir werden darüber keine Gewissheit haben, bis etwas Entsprechendes passiert.

 

Jeder der angefeindet wird, weiß, wie sehr man sich danach sehnt, einen Halt zu haben. Das gilt für jeden von uns. Es gilt für unsere Nachbarin und unseren Nachbarn. Das gilt für die Großen der Geschichte, wie zum Beispiel für Dietrich Bonhoeffer.

 

 „Wer bin ich?“, fragte Dietrich Bonhoeffer aus seiner Gefängniszelle heraus vor 74 Jahren. „Bin ich das wirklich, was andere von mir sagen? Oder bin ich nur das, was ich selbst von mir weiß?“

Bonhoeffer war verständlicherweise durch die Inhaftierung verunsichert. Und dennoch konnte er bekennen: „Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will.“ Worte der Hoffnung! Worte um sich selbst auszubalancieren.

 

Wir müssen den Halt nicht aus uns selbst heraus schaffen. Für ein Gleichgewicht, auch bei einer Fahrt in die Tiefe, brauchen wir uns nicht zu verkapseln. Bei den Menschen um uns herum sind immer auch welche dabei, die es gut mit uns meinen. Und in der Bewegung abwärts fängt Gott uns auf, wie die vielen Geschichten der Bibel zeigen. Seine Worte können zu einem Geländer werden und kurze Sätze zum immer wiederkehrenden Gebet.

 

Wir können uns, wie der Gottesknecht, wie Dietrich Bonhoeffer bereiten. Wir können uns immer wieder vergewissern, dass die Quelle des Lebens am Ende nicht unser eigenes Tun ist.

Gottes Worte zu uns sind da.

Schon früh am Morgen liegen sie bereit.

Er weckt uns selbst das Ohr!

„Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott!“

Welch eine Verheißung!

 

Und der Friede Gottes, den wir uns herbei sehnen für unsere Welt und für uns, er bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

07.02.2018
Pastor Tilmann Präckel und Pastorin Vera Lindemann