Verurteilt, nicht verloren!

Evangelischer Rundfunkgottesdienst

Bild: Justizanstalt Garsten

Verurteilt, nicht verloren!
Rundfunkgottesdienst aus der Justizhaftanstalt Garsten
30.03.2018 - 10:05
07.02.2018
Friedrich Rößler
Über die Sendung

Karfreitag hat für Menschen im Gefängnis eine besondere Bedeutung: Tiefgreifende Erlebnisse und Erfahrungen verbinden sie mit Jesus Christus. Auch er wurde gefangengenommen, angeklagt, verurteilt. Ihm wurde der Prozess gemacht und die Strafe wurde an ihm vollzogen. Schließlich haben die meisten seiner Jünger, seine Freunde, Jesus verlassen.

 

Eine Erfahrung, die nicht wenige Gefangene auch heute machen müssen. Gefängnisseelsorger ist der evangelische Pfarrer Friedrich Rössler: „Viele von den Gefangenen sind einsam, nachdem die Familie und die Freunde sich zurückgezogen haben. So hat auch Jesus das Ausgeliefertsein an Menschen und Institutionen erlebt. Da sind die Orientierung und die Suche nach einem Halt an dem, der Ähnliches erlebt hat, naheliegend.

 

Jesu Leiden und Jesu Botschaft kann von Menschen als Zuspruch und Mit-Leiden erfahren werden.  Der Gottesdienst am Karfreitag stellt die Situation der Gefangenen in den Horizont der Hoffnung des christlichen Glaubens. Viele Gefangene in der Justizanstalt Garsten haben neue Perspektiven für ihr Leben gewonnen. Die Osterkerze symbolisiert: Es gibt Licht am Ende des Tunnels. Es gibt auch eine Zeit nach der Haft.

 

Die Auferstehung Jesu bedeutet, dass auch wir auferstehen werden“, so Pfarrer Friedrich Rößler. Er arbeitet seit Jahrzehnten als evangelischer Seelsorger für die meist langjährig inhaftierten Männer in der Justizanstalt Garsten. Einmal im Monat feiern sie gemeinsamen Gottesdienst – nicht zuletzt um zu trösten und zu ermutigen.

 

Gottesdienst nachhören

 

Den Gottesdienstmitschnitt finden Sie auch direkt unter http://www.deutschlandradio.de/audio-archiv.260.de.html?drau:broadcast_id=122

Predigt zum Nachlesen
 

Die letzten Stunden des Jesus von Nazareth – es ist ein gewaltiges Drama mit vielen Darstellern – oft aufgeführt in Passionsspielen – aber eigentlich ist es kein Spiel; nein, es war harte Realität:

 

Da steht eine riesige Menschenmenge draußen vor der Stadt Jerusalem an der Hinrichtungsstätte:

Drei Kreuze werden errichtet; zwei Kreuze für zwei Straftäter; sie sind zum Tode verurteilt. Ein Kreuz für Jesus von Nazareth. Er steht im Mittelpunkt des Geschehens. Ihm wird Aufruhr vorgeworfen, aber so ganz klar sind die Anklage und die Begründung des Todesurteils nicht. Damals gehen die Meinungen weit auseinander: Die einen sprechen von Jesus als einem Unruhestifter oder Aufrührer, andere halten ihn für einen Propheten, wieder andere meinen, er sei der Messias. Seine Anhänger berichten von seinen großen Reden und Taten: Er hat unheilbar Kranke gesund gemacht und er hat in vielen Predigten das Tor zu Gott weit geöffnet – für alle Menschen. Eine große Sympathiebewegung setzte ein. Alle, gerade die Ausgestoßenen, die Armen und die Verachteten fanden einen neuen Zugang zu Gott. Aber jetzt haben seine Feinde die Oberhand gewonnen: Er wurde zum Tode verurteilt, zum Tod am Kreuz.

 

Kreuzigung war im Altertum die schlimmste Art der Hinrichtung. Es war ein qualvolles Sterben unter unerträglichen Schmerzen in der Erwartung des sicheren Todes.

 

Die Hinrichtungsstätte war in der Nähe einer belebten Durchgangsstraße: Kreuzigungen in der Öffentlichkeit sollten als Abschreckung dienen.

 

Unzählige Menschen gehen vorbei; viele bleiben stehen; welch ein Bild des Jammers und des Elends: Da hängt Jesus am Kreuz – viele kennen ihn ja, haben ihn erlebt – jetzt ist er festgenagelt, da kommt er nicht mehr herunter, unumkehrbar ist das Ende eingeleitet – wehrlos und hilflos hängt er am Kreuz.

 

Die Leute stehen unter dem Kreuz und schauen zu. Erhebt da keiner einen Protest? Ergreift niemand für ihn Partei? Wo bleibt die Sympathiebewegung? Oder haben die Leute Angst? Will keiner der vorgegebenen Meinung widersprechen?

 

Wie ist es bei uns heute, wenn offensichtlich Unrecht geschieht: Erheben wir unsere Stimme? Oder überlassen wir nur anderen das Wort?

 

Die Volksführer ergreifen damals lautstark das Wort. Sie haben nur beißenden Spott übrig: „Anderen hat er geholfen – und kann sich selbst nicht helfen! Er will der Messias sein? Der Auserwählte!? Schaut ihn euch an! Er verblutet am Kreuz!“

 

In diesen Spott stimmt der eine von den beiden gekreuzigten Straftätern voll ein: „Wäre Jesus der Messias, würde er doch vom Kreuz heruntersteigen und auch uns befreien!“

 

Da fällt ihm der andere Straftäter ins Wort und meint: „Wir haben unsere Strafe verdient; Jesus aber ist unschuldig!“ Und er erkennt in Jesus den Messias, der die Tür zu Gott öffnen kann. So fleht er ihn an: „Denke an mich, wenn du in dein Reich kommst!“ Und Jesus antwortet: „Heute wirst du mit mir im Paradies sein!“

 

Das ist unglaublich: Ein von Menschen – wegen seiner schlimmen Straftat – zum Tode Verurteilter wird von Gott begnadigt! Die Menschen sagen: Du musst sterben! Jesus sagt: Du darfst leben – in meinem Reich! Am Ende seines Lebens erkennt der Verbrecher die Schwere seiner Tat, bekennt und bereut sie und bittet um Gnade. Er kann nichts mehr wieder gut machen. Er kann nicht mehr Zeichen der Ernsthaftigkeit seiner Reue setzen, er hat keine Bewährungszeit mehr vor sich. Aber Jesus glaubt ihm und öffnet ihm die Pforte ins Paradies. Den Himmel kann sich keiner verdienen; er wird geschenkt aus Gnade!

 

So ist Gott, so ist Gottes Liebe, Er schenkt sie voraussetzungslos und bedingungslos – und dies wird im ganzen Neuen Testament bestätigt: sola gratia, so haben es die Reformatoren formuliert, allein aus Gnade schenkt Gott sein Heil und damit das ewige Leben.

 

Dies ist für uns alle ein starkes Hoffnungssignal – für Euch hier, im Gefängnis, und für alle, die draußen sind und jetzt am Radio die Predigt hören.

 

 

 

Das ist ein starkes Hoffnungssignal: Gott liebt uns – ohne Bedingungen! Wie ist das zu verstehen?

 

Die Gebote Gottes bleiben uneingeschränkt in Geltung; insbesondere das Gebot: Du sollst Gott lieben von ganzem Herzen und deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Wir alle bleiben weit hinter Gottes Gebot zurück. In der Sprache des Neuen Testaments heißt es: Wir alle sind Sünder. Unser Streben nach dem Guten erreicht oft nicht das Ziel: Wir haben oft kein Verständnis füreinander, wir verweigern die Hilfe, wir verachten und verletzen einander oder reden und handeln bewusst und gezielt gegen den anderen. Wie oft lehnen wir andere Menschen ab, Einzelne und pauschal ganze Gruppen: die Politiker, die Wirtschaftsbosse, die Arbeitslosen, die Flüchtlinge, die Straftäter. Mit unserer Ablehnung brechen wir Brücken ab, diskriminieren wir andere. Wir treffen damit immer den von Gott geliebten Mitmenschen, und so Gott selbst. Unser Versagen können wir vor Gott nicht wiedergutmachen. Die Schuld bleibt bestehen. Gottes Gebot bleibt. Und wenn wir uns von Gott entfernen, uns bewusst von ihm lösen, dann verlieren wir den Halt in Gott, das Vertrauen und die Orientierung fürs Leben.

 

Da helfen nur die Umkehr zu Gott und die Bitte um Vergebung und Gnade. Im Blick auf den Gekreuzigten erkennen wir: Unsere Schuld ist dort bereits fixiert in Jesus am Kreuz. Unsere Schuld wiegt so schwer, dass sie Jesus das Leben gekostet hat. Nirgends erkennen wir klarer, welch eine Liebe Jesus zu uns hat, als am Kreuz.

 

Nun müssen wir nicht mehr fixiert sein auf unsere Schuld. Die Vergebung befreit uns von dieser Fixierung. Welch eine Erleichterung ist es, wenn wir uns auf Gottes Gnade und Vergebung „fixieren“! Dann steht Gottes Gnade, Gottes großes und starkes Ja über unserem Leben! Gottes Ja öffnet uns neue Horizonte für unsere Zukunft! Ich möchte mich bestimmen lassen von der Gnade Gottes, und nicht von meiner Schuld. Die Liebe Gottes ist eine so starke Kraft, dass sie alles Negative in meinem Leben überwindet.

 

Schuld isoliert. Vergebung verbindet. Gottes Vergebung verbindet uns mit ihm in Ewigkeit. Gottes Vergebung ist gültig und wahr. Deshalb kannst auch Du dir selbst vergeben. Und wenn Gott euch so viel vergeben hat, – dann schenkt euch auch einander Vergebung und tragt einander nichts nach; denn wer nachträgt, trägt schwer; wer vergibt, wird befreit. Macht euch nicht davon abhängig, ob der andere seine Schuld einsieht! Jesus hat es beispielhaft gezeigt, wie wir unabhängig von der Einsicht des anderen vergeben können: Am Kreuz betet er: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ Vergebung verbindet uns untereinander und trägt unsere Gemeinschaft durch alle Krisen hindurch. So hat es Christoph erlebt, als seine Familie ihn durchgetragen hat. So können auch wir unseren Zusammenhalt stärken, indem wir unsere Gemeinschaft nicht nur vom Recht, sondern noch viel mehr von der Gnade bestimmen lassen.

 

Ganz am Ende, als bei Jesus alle Kräfte schwinden, spürt er: Jetzt geht gar nichts mehr; jetzt hört alles auf, was er tun, sagen oder denken kann. Da gibt es für ihn nur einen Gedanken, den Gedanken an seinen Vater im Himmel – und er betet: „Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände!“ So stirbt Jesus am Kreuz.

 

Wie viele Christen sind schon mit diesen Worten auf ihren Lippen gestorben: „Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände!“ Welch ein Trost! Am Ende steht nicht das Nichts, sondern Gott, unser Vater im Himmel. Er hat seinen Sohn vom Tode auferweckt am Ostermorgen. Nun hält Jesus auch für uns die Tür offen, so dass wir – wie jener gekreuzigte Straftäter – hineingehen in das Paradies und heimkehren zu Gott unserem Vater im Himmel – aus Gnade!

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.

07.02.2018
Friedrich Rößler