Narren um Christi willen

Evangelischer Rundfunkgottesdienst

Bild: Gemeinde St.Georg

Narren um Christi willen
Gottesdienst aus der Stadtkirche St. Georg, Stein am Rhein
11.02.2018 - 10:00
05.01.2018
Pfarrerin Johanna Tramer
Über die Sendung

Evangelisch-reformierter Rundfunkgottesdienst am Sonntag, 11. Februar aus der Stadtkirche St. Georgen in Stein am Rhein (Schweiz) live im Deutschlandfunk um 10.05 Uhr

„Gell, du erkennst mich nicht?“ In vielen Gegenden gelten die Wochen als fünfte Jahreszeit, in denen Karneval, Fastnacht und Fasching gefeiert werden. Aus der Rolle fallen, das Gesicht verlieren, sich verkleiden, sich zur Närrin machen – aber auch demaskiert werden gehört dazu. Doch wie meint es der Apostel Paulus im Brief an die Korinther, wenn er schreibt: „wir sind Narren um Christi willen“? In der Bibel in gerechter Sprache heißt es: „wir sind Christi wegen unklug geworden“,

Um Klugheit und Narretei geht es im Gottesdienst aus dem schweizerischen Stein am Rhein. Pfarrerin Johanna Tramer hält die Predigt, begleitet wird der Gottesdienst mit Musik von Josef Gabriel Rheinberger und Christopher Tambling. Es spielt die Organistin Susanne Reinhardt-Klotz und der Flötist Roland Müller.

Stein am Rhein ist eine Kleinstadt im Norden der Schweiz und liegt dort, wo der Rhein den Bodensee verlässt. Die Stadtkirche steht inmitten des schön erhaltenen mittelalterlichen Stadtbildes. Ursprünglich war sie die Stiftskirche des Klosters St. Georgen, erbaut im 12. Jahrhundert. Das Kloster wurde in der Reformationszeit säkularisiert. Die schöne romanische Basilika dient seither als Gemeindekirche von Stein und Hemishofen. Das vierstimmige Geläute und die grosse Metzler-Orgel laden Sonntag für Sonntag zur festlichen Einkehr im Gottesdienst.

 

Gottesdienst nachhören

 

Den Gottesdienstmitschnitt finden Sie auch direkt unter http://www.deutschlandradio.de/audio-archiv.260.de.html?drau:broadcast_id=122

Predigt zum Nachlesen
 

Liebe Gemeinde am Radio und in der Stadtkirche,

 

„heute Nachmittag bin ich nicht die Johanna. Ich bin die Frau Rümeli.“ So hatte sie es ihren beiden Mädchen eingeschärft, bevor sie loszogen. Angesagt war der Kindermaskenball im Pfarreizentrum. Die Eltern sollten die Kinder bitte begleiten, gern auch maskiert, hatte es auf dem Plakat geheissen. Und sie hatte sich daran gemacht, sich zu verkleiden. Donnerstags, da war Lumpenfastnacht. Darum hatte sie kein raffiniertes Kostüm genäht, sondern im Schrank mit den abgelegten Kleidern gewühlt. Da war der enge, etwas zu kurze Rock, das Hochzeitsjackett ihrer Mutter, rote Stöckelschuhe, in denen sie dauernd umkippte, ein pinker Turban und zuletzt der Fuchspelz der Grossmutter, mit einigen kahlen Stellen, den sie sich um die Schultern warf. Und beim Ankleiden übte sie den spitzen Dialekt, der zu Frau Rümeli gehörte. Die Kinder – die eine als feine Prinzessin, die andere als lustiger Clown eingekleidet, sahen mit grossen Augen zu, erst recht, als sie grosszügig Schminke auftrug. „Aber gell, du bist schon unsere Mama – eigentlich?“ fragten sie besorgt und beunruhigt ob ihrem Treiben. „Ja, natürlich, aber das wissen nur wir. Für alle andern bin ich ab jetzt die Frau Rümeli“. Und so war sie losgestöckelt, an der einen Hand die kleine Prinzessin, an der andern die Clownin. So ganz wohl war ihr nicht dabei, aber sie hatte große Lust, in die Rolle einer etwas schrillen, redseligen Frau zu schlüpfen. Für einen Nachmittag nicht die freundliche, zurückhaltende Frau Pfarrer zu sein, wie man sie im Städtchen kannte. An der Tür zum Ballsaal stand die Präsidentin des Müttervereins, Organisatorin des Maskenballs, im perfekten Hexenkostüm und nahm sie in Empfang. Und bevor die Frau Rümeli in Aktion treten konnte: „Oh, Frau Tramer, das ist aber nett, dass Sie auch kommen! Hätte ich jetzt nicht gedacht! Viel Vergnügen!“ Wo war jetzt die Frau Rümeli, die sich eigentlich selbst hatte vorstellen wollen als Neuzugezogene, die sich noch nicht auskennt und deshalb froh ist, irgendwo mitzumachen und andere Frauen zu treffen? Ganz klein war sie und musste irgendwo verschwinden, am besten hinter dem Rücken der Frau Tramer, wie sonst auch. Die Frau Rümeli hatte hier nichts zu suchen. Ein wenig schön verkleiden war offenbar erlaubt, den Kindern beim fröhlichen Treiben zuzuschauen und wenn nötig einzugreifen, auch. Aber selbst in eine andere Rolle fallen? Ging nicht. Wurde nicht zugelassen. Also saß sie ein wenig gelangweilt herum und war froh, dass die Kinder auch nicht so lange bleiben wollten, weil am Fernsehen die Fortsetzung des spannenden Kinderfilms lief. Die Gelegenheit, sich zur Närrin zu machen, war vorbei. Die Gelegenheit, andern und sich selbst fremd zu werden, verpasst. Im Jahr drauf setzte sie sich wenigstens noch eine Knollennase auf. Ganz lassen konnte sie es nicht. Ein wenig schräg musste sein.

 

Nicht nur ein wenig schräg, sondern ganz und gar närrisch ist Paulus, wenn er sich selbst ansieht, seit er von Christus Jesus, dem Gekreuzigten und vom Tod Aufgestandenen ergriffen worden ist. Und es ist auch nicht vorbei nach einem Fastnachtsnachmittag. Es ist zu seinem Wesen geworden. „Ich bin ein Narr geworden um Christi willen“, so hat es Luther übersetzt – bei Luise Schottroff heisst es: wir sind Christi wegen unklug geworden. „Unklug“, das tönt eher nüchtern, das liegt noch im Rahmen, „unklug“, das ist frau bald einmal, etwa, wenn sie davon ausgeht, gleiche Chancen zu haben wie ein Mann oder Anrecht auf gleichen Verdienst für gleiche Arbeit oder mit kleinen Kindern problemlos Karriere machen zu können.

 

Aber ein Narr zu sein, wenn alle, die etwas auf sich halten, weise sein wollen? Wenn nur gedankliche Klarheit zählt und ein organisiertes Leben Erfolg verspricht? Wenn ich mich von der Geburt bis zum Tod weiter entwickeln und darum auch lernen muss, um jemand zu sein; wenn die Kindheit dazu da ist, um auf das Leben vorzubereiten; wenn wir mit unsern Kindern spielen, damit sie früh logisch denken können, wenn wir tanzen, damit wir den Gleichgewichtssinn behalten, wenn wir singen, damit die Intelligenz wächst – wo bleibt da einer wie Paulus? Paulus hatte auf seinen Fußmärschen zwar Zeit, seinen nächsten Brief zu entwerfen. Er hatte aber keine Gelegenheit für ein Styling, das ihn ansehnlicher gemacht hätte. Die Leute, denen er auf den Marktplätzen begegnete, sahen einen abgerissenen Kerl. Es fehlten ihm die Mittel, sich zurecht zu machen, bevor er in den Synagogen predigte. Es war ihm wohl auch egal, wie er aussah. Darum wollte er sich unterwegs nicht auch noch kümmern. Und es spielte auch keine Rolle, dass er nichts hermachte. Oft genug musste er auch einfach alles dafür tun, die nächste Station lebend zu erreichen. Da kamen ihm vielleicht sogar die frommen Gedanken abhanden. Paulus wusste schon, dass er bei Philosophen punkten könnte mit ein paar ausgetüftelten Argumenten zugunsten seines Gottes. Er kannte deren Eifer, einer Sache mit Rede und Gegenrede auf den Grund zu gehen. Aber ihn überkam es manchmal einfach. Und dann kümmerte ihn keine Logik. Dann redete er übersprudelnd vor Begeisterung von der Liebe, die einen langen Atem hat und sich nicht aufbläht. Diese Liebe ist nicht eifersüchtig und hält alles aus. Sie sieht von sich ab und bleibt respektvoll. Sie spielt sich nicht auf. Sie vertraut und hofft. Was hat einer, der so ganz unvernünftig singt, dass es uns einfach überfordert, was hat der bei den Klugen verloren? Manchmal versucht Paulus es ja mit Erklärungen und Schlüssigkeiten, aber dann geraten ihm seine Sätze doch wieder durcheinander, so dass wir 2000 Jahre und viele weise wissenschaftliche Untersuchungen später immer noch ratlos davor sitzen und darüber streiten, was jetzt das wieder heißen soll. Paulus passt einfach nirgends dazu und auch wir hätten Mühe, ihn in einer anständigen Stelle bei einer Kirchgemeinde unterzubringen oder gar als Theologieprofessor. Also lassen wir uns einfach anstecken von seiner Begeisterung. Lassen wir uns hineinziehen in sein närrisches Treiben und seine unvernünftige Leidenschaft für Gott?

 

 

Ganz und gar nicht unklug, ganz und gar nicht närrisch ist Paulus, wenn er seine eigene Situation und die der Anhängerinnen und Anhänger von Jesus Christus einschätzt: Er sieht sich und diejenigen, mit denen er zusammen gehört am Ende einer traurigen Prozession. In der werden Menschen, die zum Tod verurteilt sind, in die Arena getrieben. Da vergeht uns erst einmal jede Lust am Verkleiden und an närrischem Treiben. Das ist einfach nur schrecklich.

 

Damit wir uns das vorstellen können: Seneca, ein Zeitgenosse des Paulus, gerät einmal, wie er schreibt, aus Versehen, in eine Vorstellung, in der nicht Gladiatoren kämpfen, sondern zum Tod Verurteilte gegeneinander antreten und ist entsetzt. Er berichtet: Was vorher gekämpft worden ist, war Mitleid; nun lässt man die Mätzchen, und es ist der reine Mord: nichts haben sie, sich zu schützen. Dem Hieb mit ganzem Körper ausgesetzt, schlagen sie niemals vergeblich zu. Nicht Helm, nicht Schild weist ab das Schwert. Wozu Finten? All das ist Verzögerung des Todes.

 

Paulus hat die Umzüge dieser Menschen wohl miterlebt. In Städten konnte man diesem Geschehen nicht ausweichen. Es war öffentlich und die Öffentlichkeit musste zusehen. Sie musste sehen, wie mit Menschen, die, warum auch immer, zum Tod verurteilt waren, verfahren wurde. Schaudern und das Aufatmen, selbst davon gekommen zu sein, Erbarmen, das nicht gezeigt werden durfte, Abscheu und Lust, das waren Empfindungen derer, die am Straßenrand standen oder auf der Tribüne saßen. Paulus sieht sich durch die Welt ziehen wie in einem solchen Zug von Menschen, die nichts mehr zu verlieren haben. Und er sieht nicht nur sich so, alle Botinnen und Boten Gottes gehen damit. So werden sie zu Schauspielerinnen und Schauspielern, sie aber haben keine Rolle etwa in einem Possenspiel oder stehen als Narr oder Närrin auf einem Karnevalswagen. Sie gehen da auch nicht freiwillig mit. Sie wurden nicht gefragt. Sie hatten sich einzureihen. Paulus wirbt nicht für diese Rolle. Er stellt einfach fest. Täuscht euch nicht, ihr Botinnen und Boten Gottes: Wenn ihr der Gewalt auf dieser Erde den Frieden, den Gott stiftet, entgegenhaltet, wenn ihr dem Unrecht auf der Welt die Gerechtigkeit, die von Gott kommt, in den Weg stellt, wenn ihr dem täglichen Elend mit dem Erbarmen, das Gott in unsere Herzen legt, begegnet, so lebt ihr gefährlich. Damit kommt ihr nicht zu hohem Ansehen. Damit gewinnt ihr keine Ehrenämter.

 

Diese Erfahrungen machen Botinnen und Boten Gottes auch heute. Wir hier, in unsern Gemeinden, kennen Berichte von Menschen, die ihres Glaubens wegen verfolgt werden, weil sie sich für die Bewahrung der Schöpfung, Frieden und Gerechtigkeit einsetzen. Wir können uns mit unsern Mitteln für sie wehren. Wir hier müssen nicht um unser Leben fürchten. Es kann sein, dass wir ein wenig schräg angeschaut werden, wenn sonntags Verabredungen mit uns erst nachmittags möglich sind, nicht weil wir ausschlafen, sondern weil wir am Morgen miteinander Gottesdienst feiern. Oder es kann sein, dass belächelt wird, wer meint, Kindern biblische Geschichten zu erzählen sei mindestens so wichtig wie sie zu Tennisspielern auszubilden. Schräge Blicke und belustigte Mienen bringen uns nicht um. Da werden wir einfach ein wenig zu Narren und Närrinnen gemacht. Das ist auszuhalten, oder: wir könnten es ja auch genießen. So erhalten wir die Erlaubnis, nicht immer funktionieren zu müssen. Narren, Närrinnen haben auch Freiheiten – und können sie ausnützen, wenn man sie denn lässt und es ihnen nicht geht wie der Frau Rümeli. Narr und Närrin, die haben ja ein Werkzeug. Sie haben einen Spiegel dabei. Den können sie andern vor die Nase halten. Aber nicht zu schnell! Es tut gut, zuerst einmal selbst hinein zu schauen. Es tut gut, mit aufmerksamem Blick zu schauen, was los ist mit mir selbst. Vielleicht muss ich es aushalten, dass gerade nicht so viel los ist mit mir. Dann lege ich den Spiegel nicht einfach auf die Seite, sondern habe etwas Geduld. Wie hat Paulus geschrieben: die Liebe hat einen langen Atem. Ich vertraue darauf, dass dieser Atem auch mich belebt. Und dann entdecken wir im Spiegel so die eine oder andere Fähigkeit, mit der sich etwas anfangen lässt, am besten mit andern zusammen. Darum gehen wir dann los, lassen andere auch hineinschauen. Wir fordern sie freundlich auf, damit sie es auch wagen und es sie nicht bedroht. Närrinnen wollen nicht Angst machen und Narren nicht einschüchtern. Heiter wird es dann, wenn wir die Köpfe zusammenstecken und uns im Spiegel anschauen, wer wir miteinander sind, was wir miteinander fertigbringen. Wir sehen unsere klaren Gesichter, die Entschlossenheit im Blick, närrischen Witz und vernünftige Aufmerksamkeit. Wir sehen auch den Zweifel, den Kleinmut, weil wir einfach nicht so großartig sind, und den Zorn, den wir nicht immer unterdrücken mögen. Miteinander halten wir auch das aus – und miteinander gelingt uns vielleicht auch da ein Lachen. Denn wir sehen uns auch im Spiegel im Licht, das von Gott kommt. Amen

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.

05.01.2018
Pfarrerin Johanna Tramer