Manna, Manna...

Evangelischer Rundfunkgottesdienst
Manna, Manna...
Rundfunkgottesdienst aus der Ev. Stadtkirche Ratingen
15.07.2018 - 10:05
13.06.2018
Gert Ulrich Brinkmann
Über die Sendung

 

Im Gottesdienst aus Ratingen geht es um eine Bank, die jeden Tag das Konto auffüllt, einen Verein, der jede Woche große Mengen von Lebensmitteln verteilt – und Brot, das vom Himmel kommt. „Manna, Manna – immer genug vom täglichen Brot“ – so lautet das Motto des Gottesdienstes am 7. Sonntag nach Trinitatis.

Im Predigttext aus dem zweiten Buch Mose wird erzählt: Gott gibt dem Volk Israel in der Wüste jeden Tag das Himmelsbrot Manna. Aber was bedeutet es, dass man es nicht aufbewahren und lagern kann? Was heißt es, dass das tägliche Brot immer nur für den heutigen Tag da ist?

Pfarrer Gert Ulrich Brinkmann meint: Am Ende geht es darum, wie Menschen leben möchten – voller Sorge oder voller Vertrauen. Was könnte helfen, Vertrauen zu fassen? In der biblischen Geschichte vom Manna finden sich einige Hinweise. Die Musik im Gottesdienst gestaltet der Gospelchor „singing westside“ unter Leitung von Kantor Martin Hanke. Nico Oberbanscheidt begleitet Chor und Gemeinde an Orgel und Klavier. Ingrid Bauer von der Ratinger Tafel wird aus Ihrer Arbeit berichten. Die Predigt hält Pfarrer Gert Ulrich Brinkmann, er führt auch durch die Liturgie.

 

 

Die Stadt Ratingen liegt zwischen Düsseldorf und Duisburg und ist eine der vier alten Bergischen Hauptstädte zwischen Rhein, Ruhr und Wupper. Die Stadtkirche im Zentrum gehört zu den ältesten reformierten Kirchbauten im Rheinland. Seit 1687 werden hier Gottesdienste gefeiert, eine reformierte Gemeinde wird schon 1584 das erste Mal urkundlich erwähnt. Heute setzt die Gemeinde Schwerpunkte bei der Gestaltung von besonderen Gottesdiensten und in der Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Familien.

 

 

Gottesdienst nachhören

 

Den Gottesdienstmitschnitt finden Sie auch direkt unter http://www.deutschlandradio.de/audio-archiv.260.de.html?drau:broadcast_id=122

Predigt zum Nachlesen
 

Liebe Hörerin und lieber Hörer,

liebe Gemeinde,

 

Es schmeckte wie Semmel mit Honig.

Da läuft einem das Wasser im Munde zusammen. Vor meinem inneren Auge habe ich ein knuspriges Brötchen. Der Bäcker hat es selbst mit der Hand geformt. Es ist mit kräftigem Mehl ausgebacken.

Und dann der Honig! Man schmeckt den Wald und die Blumenwiese, an der der Bienenstock stand.

Der Duft steigt einem in die Nase, die Kruste kracht beim ersten Biss.

„Es schmeckte wie Semmel mit Honig“. So übersetzt Martin Luther das Geschmackserlebnis des Volkes Israel mit dem Himmelsbrot Manna.

 

Was war passiert?

Das Volk Israel, ein Nomadenstamm, war einen Monat zuvor aus Ägypten geflohen. Mose hatte die ehemaligen Sklaven des Pharao bei Nacht aus dem Land geleitet. Gott selbst war vorangezogen.

Am Schilfmeer hätte die ägyptische Armee sie fast erwischt. Die wurde aber von einer großen Flutwelle überrascht und ins Meer gerissen.

Mose und das Volk hatten danach ein paar Tage in der Oase Elim verbracht. Diese Oase war ein kleines Paradies, ein gelobtes Ländle. Zwölf Wasserquellen: Das Wasser floss klar und kühl in die Krüge. Palmen spendeten Schatten, wenn die Sonne vom Himmel stach. Ein kleines Paradies – aber irgendwann war es Zeit aufzubrechen.

Auch Israel muss weiterziehen, der Berg ruft: Gott führt sie in die Wüste zum Sinai, dem Gottesberg. Dort wird er Mose die 10 Gebote übermitteln

 

Aber die Rückkehr in die Wüste wird zum Schock.

Vor den Tagen in Elim war es unerträglicher Durst gewesen, der die Israeliten quälte.

Jetzt waren zwar die Wasserkrüge voll, aber die Vorratsbeutel waren leer.

Wären wir doch in Ägypten geblieben. An Fleischtöpfen haben wir gesessen und Brot hatten wir im Überfluß“, jammern die Israeliten (Ex 16,3)

So derbe quält sie der Hunger, dass sich im Rückblick das Gefängnis zum Steakhaus verklärt: Fleischtöpfe, Brot ohne Ende, „oh, wie schön war Sklavenland“. Vergessen die Ketten, vergessen die Stockhiebe. Der Bauch knurrt lauter als das Lied der Freiheit zu klingen vermag.

Aber Gott hört. Gott sorgt für sein Volk. Gott verspricht ihnen „Himmelsbrot“. Und dazu allabendlich Wachteln für den Schmortopf am Lagerfeuer. Die Freiheit soll ihnen schmecken.

 

Himmelsbrot?

„Wird man davon satt? Was mag das wohl sein?“, denkt die erste.

Auch der Psalmbeter fragt: „Kann Gott wohl einen Tisch bereiten in der Wüste?“ (Ps 78,19b). Und gibt gleich selbst die Antwort: „Gott gebot den Wolken droben und tat auf die Türen des Himmels und ließ Manna auf sie regnen zur Speise und gab ihnen Himmelsbrot.“ (Psalm 78, 23+34)

Gott hört. Gott sorgt für sein Volk. Gott schenkt ihnen jeden Morgen „Himmelsbrot“.

 

„Was ist das?“

So fragen die Israeliten selbst, als sie am Morgen nach ihrem Klagelied vor die Zelte treten. Der Morgentau liegt auf dem Lager.

Als die Wassertröpfchen verdunstet sind, entdecken die ersten kleine, perlenartige Bröckchen. Die Kinder Israels zeigen darauf und fragen: Was ist das? Hebräisch: Man hu? Die Perlen haben ihren Namen weg: Manna.

Die Ausleger aller Zeiten hat diese Frage beschäftigt: Man hu? Was ist das, Manna?

Es gibt viele naturwissenschaftliche Ideen: Ist es eine Flechtenart? Sind es die Früchte eines Wüstenstrauches? Die meisten Ausleger sagen: Es handelt sich um das Sekret, die Ausscheidung der kleinen Schildlaus am Tamariskenbaum. Nomaden essen das bis heute. Wahrscheinlich war es das. Gott findet ja manchmal sehr eigene Wege, um uns beizustehen. Für mich klingt das aber, offen gestanden, nicht nach „Himmelsbrot“, Sekret und Schildlaus.

 

Aber was dann?

Man hu? Manna, was ist das?

Bleiben wir bei dem, was das 2. Buch Mose erzählt und was im Psalm später gebetet wird: Manna ist „Himmelsbrot“.

Manna das Himmelsbrot der Freiheit. Es erhält die Freiheit des Exodus: Der Magen hört auf zu knurren. Das Volk hört auf zu murren.

Manna ist tägliches Brot. Jeden Tag das Gleiche? Der ehemalige brasilianische Fußballprofi Giovane Elber meinte kürzlich in einem Interview: „Ich sag Ihnen was: Obwohl es in meiner Kindheit jeden Tag das gleiche zu essen gab – Reis mit Bohnen, Bohnen mit Reis und ab und zu ein Ei oben drauf – war ich zufrieden. Mir hat es an nichts gefehlt.“ (1) Manna ist tägliches Brot. Es versorgt die Israeliten nimmt ihnen die Sorge vor dem Hunger. Es ist darum das Brot der Freiheit.

Und die Freiheit „schmeckt wie Semmel mit Honig“

 

 

Stell dir vor, du hast bei einem Wettbewerb diesen Preis gewonnen: Jeden Morgen stellt dir deine Bank 86.400 Euro auf deinem Bankkonto zur Verfügung. Aber das Spiel hat zwei Regeln.

Erste Regel: Alles, was du im Laufe des Tages nicht ausgibst, wird dir wieder weggenommen. Aber: An jedem Morgen, den Gott der Herr werden lässt, sind wieder neue 86.400 Euro für den neuen Tag auf dem Konto.

Zweite Regel: Die Bank kann das Spiel ohne Vorwarnung beenden, das Spiel kann jederzeit zuende sein.

Was würdest du tun? (2)  

 

Den Israeliten, dem Nomadenstamm in der Wüste, geht es genauso:

Jeden Morgen müssen sie das Himmelsbrot nur noch auflesen. Sie essen, ohne gesät und geerntet zu haben: Sie müssen kein Mehl mahlen, sie müssen keinen Teig kneten, sie müssen keinen Ofen anfeuern. Das Manna ist einfach da. Es ist Gabe und Gnade. Es wird ihnen einfach so gegeben, geschenkt. „Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen und der himmlische Vater ernährt sie doch“ (Mt 6,26)

 

Für jeden, für jede von uns ist das genannte Spiel Realität.

Jeder von uns hat so eine äußerst großzügige Hausbank. Gott ist diese Bank, jeden Tag in unserem Leben. Jeden Morgen, wenn wir aufwachen, schenkt Gott uns 86.400 Sekunden für den Tag. 86.400mal „jetzt leben!“. Aber wenn wir am Abend einschlafen, wird uns die übrige Zeit nicht gutgeschrieben. (3)

Außerdem endet das Spiel irgendwann. Diese Spielregel formulieren immer wieder die biblischen Psalmen: „Meine Zeit steht in deinen Händen, Gott.“ (Ps 31, 16). Darum „lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“ (Ps 90, 12)

Was mache ich eigentlich aus meiner Lebenszeit?

Acht Stunden schlafe ich – das ist gut gelebte Zeit, den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf

Vier Stunden bin ich in Küche, Esszimmer und Bad mit Essen, Kochen und Körperpflege beschäftigt – auch gut: „ein jeder Mensch, der da isst und trinkt und hat guten Mut bei all seinem Mühen, das ist eine Gabe Gottes“, verkündigt der Prediger im Alten Testament. (Koh 3,13)

Da bleibt aber immer noch die Hälfe des Tages.

 

Wenn ich ehrlich bin: Ich verschwende eine Unmenge dieser Zeit mit Gedanken an die Zukunft oder an die Vergangenheit. Man macht sich Sorgen: Wird alles gut gehen? Oder grübelt: Habe ich das richtig gemacht? Wie wäre mein Leben verlaufen, wenn ich die Entscheidung damals anders getroffen hätte?

Bei vielen von uns läuft immer wieder ein Film ab im Kopf und spielt traurig machende Berichte oder alarmierende Schreckensreportagen vor. Man steckt so in der Vergangenheit fest – oder verliert sich in der Zukunft.

Viele übersehen, dass jeder Tag tausende neue Momente für uns bereithält: 86.400mal Gegenwart!

Wenn wir mit dem Gestern hadern und angstvoll nach dem Morgen fragen, könnten wir übersehen, dass es jetzt allein um den Dank für das „Heute“ geht. Täglich tausende Möglichkeiten da zu sein, zu leben.

 

Wir sind nicht die ersten, denen es so geht. Dem Nomadenstamm Israel in Wüste ging es genauso.

Erst haben sie sich nach der Vergangenheit zurückgesehnt. Sie sahen die Zeit in Ägypten durch die rosarote Brille: Fleisch en masse, Brot ohne Ende. (Übrigens eher unrealistisch, dass sie als Sklaven so königlich verpflegt wurden!)

Gott schenkte ihnen darum in der Wüste das tägliche Manna. Aber auch dieses „Spiel“ hatte seine Regel: Jede Familie, die in einem Zelt wohnte, sammelte in ein paar Krüge. Und das Manna, das sie gesammelt hatte, reichte dann genau für einen Tag.

Dann begannen die Israeliten auf einmal voller Sorge an die Zukunft zu denken: Wird es auch morgen und übermorgen Manna geben? Darum fingen sie an Vorräte anzulegen. Sie sammelten ein paar Krüge mehr, als sie brauchten. Sie misstrauten Gott: Wird er wirklich auch morgen für uns sorgen?

Was war die Konsequenz? Die Geschichte erzählt: Das Himmelsbrot verfaulte in ihren antiken Tupperdosen und fing an zum Himmel zu stinken.

Martin Buber übersetzte diese Passage so: Aus dem Manna „würmte es Maden hervor“. Klingt ungenießbar, war ungenießbar. Das passiert, wenn man sich in der Zukunft verliert, statt dem Gegenwärtigen zu vertrauen. Das Leben wird ungenießbar.

Also doch lieber auf das Heute schauen? Sinnvolles tun, das Leben geniessen und Vertrauen haben?

 

 

Manche sammeln mehr als sie brauchen. Darüber wird das Leben ungenießbar. Jüdische Ausleger haben diesen Zug der Mannageschichte so gedeutet:

Erstens: Das Manna ist kein Handelsgut.

Zweitens: Mit Lebensmitteln darf man keinen Reichtum anhäufen.

Drittens: Jedem Menschen steht soviel Nahrung zu, wie er zum täglichen Leben braucht.

 

Hier ist die politische Seite der Geschichte berührt. Zu jedem der drei Sätze habe ich Fragen, wenn ich auf die Welt schaue:

 

Erstens: Manna ist kein Handelsgut. Ist es richtig, wenn Firmen sich heute Saatgut patentieren lassen und arme Bauern in Entwicklungsländern sich dieses Saatgut nicht mehr leisten können, weil es zu teuer ist?

 

Zweitens: Mit Lebensmitteln darf man keinen Reichtum anhäufen. Ist es richtig, wenn Großkonzerne in Südamerika Kleinbauern von ihren Äckern vertreiben, um Soja auf Riesenflächen industriell für den Weltmarkt anzubauen? Für unsere Massentierhaltung und zum Wohl der Aktionäre.

 

Drittens: Jedem Menschen steht soviel Nahrung zu, wie er zum täglichen Leben braucht. Ist es richtig, dass in Deutschland jedes Jahr 18 Mio. Tonnen Lebensmittel weggeworfen werden? Die Menge kann man sich gar nicht vorstellen: Das ist so, als ob jeder in Deutschland Tag für Tag ein normales Brot, ein halbes Kilo, einfach so in den Müll wirft.

 

Dass wenigstens etwas davon denjenigen zugute kommt, denen das tägliche Brot fehlt, dafür sorgen die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Tafeln.

Zum 25jährigen „Jubiläum“ in diesem Jahr haben sie festgestellt: „Wer ein Leben lang gearbeitet hat, darf im Alter nicht arm sein. Gleichzeitig darf Armut nicht länger vererbt werden. Neben Rentnern stellen Kinder und Jugendliche die größte Gruppe der Tafel-Kunden.“ – Sie alle wünschten sich, frei leben zu können – ohne Sorgen um den nächsten Tag.(4)

 

Der Nomadenstamm der Israeliten war aus Ägypten in die Freiheit aufgebrochen

Sie hatten nichts als Gottes Verheißung: Ich bin da. (Ex 3,14, frei). Ich bin für Euch da, jeden Tag. Sie hofften, dass er sein Versprechen wahr macht. Ich führe Euch „in ein Land, darin Milch und Honig fließt“ (Ex 3,8).

Die Israeliten haben jeden Tag in der Wüste erlebt, dass Gott da ist und hilft. In der Oase Elim waren es Palmen und Wasserquellen, ein kleines Paradies.

Sie haben es erlebt: Gott versorgte sein Volk mit täglichem Manna. Und das schmeckte! Wie Semmel mit Honig. Sicher, sie hatten Hoffnung auf ein anderes Leben. Aber sie waren jetzt schon frei. Und in der Wüste war ein gutes Leben jeden Tag möglich. Es war schon da.

 

So ermutigt uns die Geschichte vom täglichen Himmelsbrot, wenn wir uns wieder in Gedanken ans Gestern oder Morgen verlieren, wenn wir traurig und unzufrieden werden und beginnen zu murren.

Jeden Tag neu: 86.400mal Leben aus Gottes Hand. Aber immer nur für heute.

Darum muss auch niemand Vorräte und Reichtümer anhäufen auf Kosten anderer. Es gibt genug. Wir sehen das bei den Tafeln. Wir können abgeben und teilen. Und dabei das Leben genießen – so wie es ist.

Gott hat uns kein einfaches Leben ohne Wüstenerfahrungen versprochen. Aber er sorgt für uns. Auf seine Weise. Manchmal bedient er sich ganz kleiner Dinge, der Schildläuse zum Beispiel.

Dietrich Bonhoeffer hat das so auf den Punkt gebracht: „Gott erfüllt nicht alle unsere Wünsche, aber alle seine Verheißungen“.

 

Und der Friede Gottes ...

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

 

Fußnoten:

  1. 11Freunde. Magazin für Fußballkultur. #198, Mai 2018, Seite 108.
  2. Geschichte nach: https://www.bibel-blog.de/?p=4524, 7.5.2018, 17:27 h
  3. Interpretation nach: https://www.bibel-blog.de/?p=4524, 7.5.2018, 17:27 h
  4. https://www.tafel.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilungen-2018/25-jahre-tafeln-in-deutschland/ 19.6.2018, 18.10 Uhr
13.06.2018
Gert Ulrich Brinkmann