Zupf dir ein Wölkchen…

Evangelischer Rundfunkgottesdienst aus der Lutherkirche in München-Giesing
Zupf dir ein Wölkchen…
Gottesdienst aus der Lutherkirche in München-Giesing
29.07.2018 - 10:05
13.06.2018
Barbara Franke
Über die Sendung

Der Gottesdienst aus der Lutherkirche in München feiert den Sommer. Texte, Arien und Lieder aus unterschiedlichen Zeiten werden von jungen und älteren Erwachsenen aus der Gemeinde vorgetragen. Sie lassen die verschwenderische Fülle der Sommerzeit und das Lob des Schöpfers lebendig werden. Pfarrerin Barbara Franke lädt in ihrer Predigt über Matthäus 6, 25-32 dazu ein, den Blick von den alltäglichen Sorgen wegzulenken. Und das zu betrachten, was es trotz aller Sorgen an Schönem und Erfreulichem gibt. Musikalisch gestaltet wird der Gottesdienst von Carola Sigling an der Oboe, Rainer Seifert, Tenor, und KMD Klaus Geitner an der Orgel.

Die Lutherkirche liegt im Süden Münchens, in der Nähe der Isar-Auen, einem beliebten Erholungsgebiet. Mit ihren 7.000 Mitgliedern ist sie eine der großen evangelischen Gemeinden in der bayerischen Landeshauptstadt. Ihr Zentrum ist die Kirche von 1927 auf den „Giesinger Höhen“, der Kirchturm bietet einen weiten Blick auf München bis hin zu den Alpen. „Offen-mutig-tatkräftig“ ist das Motto der Gemeinde, und es steht für soziales Engagement für Menschen in Notlagen. Eine Diakoniestation kümmert sich um pflegebedürftige Menschen, Obdachlose und Geflüchtete finden hier Unterstützung.

 

 

Gottesdienst nachhören

 

Den Gottesdienstmitschnitt finden Sie auch direkt unter http://www.deutschlandradio.de/audio-archiv.260.de.html?drau:broadcast_id=122

Predigt zum Nachlesen
 

Am nächsten Wochenende soll das große Gartenfest steigen. Die Gästeliste steht, das Essen ist bestellt, die Getränke lagern im Keller. Ein erster Blick auf die Wetter-App. Sie zeigt an: am Samstag warm und trocken, nachmittags 40% Wahrscheinlichkeit für Gewitter.

Hoffentlich kann alles draußen stattfinden. Ob das Essen reicht? Sind wirklich Getränke für jeden Geschmack da?

Drei Tage vor dem Fest: vier Gäste haben abgesagt.

Die Kerzen für die Windlichter sind alle! Wer kann welche besorgen? Und gleich noch Glassteine für die Tischdeko! Oder wären doch Blumen schöner?

Die Wetter-App sagt: am Samstag Vormittag heiter,

Temperaturen bis 25 Grad, starke Wärmegewitter am Nachmittag, Wahrscheinlichkeit 70%.

Mist, was sollen wir tun? Doch noch absagen? Das Haus ist definitiv zu klein für alle!

Ein Tag vor dem Fest: ein banger Blick auf die Wetter-App: die Gewitterwahrscheinlichkeit liegt nur noch bei 60%. Dafür soll es den ganzen Tag wolkig und schwül sein. Hoffentlich hält das Partyzelt dem Gewitter stand! Ob alle hineinpassen? Sonst müsste wenigstens das Wohnzimmer noch ausgeräumt werden. Wo sind eigentlich die Tischdecken und die Hussen für die Bierbänke? ...

 

Liebe Gemeinde, liebe Hörerinnen und Hörer,

da macht man sich Gedanken, spielt alle möglichen Szenarien durch, versucht, alle Eventualitäten im Blick zu haben, entwickelt einen Plan B – aber am Ende kommt es doch so, wie es kommt.

 

„Chill dein Leben, Mama, it is what it is.“

 

Das sagt meine Tochter oft zu mir. Und sie hat recht. Ich sollte mich entspannen. Es hilft ja wirklich nicht weiter, sich Sorgen um Dinge zu machen, die wir nicht beeinflussen können – wie das Wetter. Dabei ist es je nach Temperament und Persönlichkeit ganz unterschiedlich, worum und wie sehr man sich sorgt. Was dem einen schlaflose Nächte bereitet, ist für die andere nicht der Rede wert.

Sich zu sorgen kostet Energie. Es verursacht Falten. Es verdirbt einem den ganzen Tag. Und doch scheint es zutiefst menschlich zu sein, sich Sorgen zu machen. Auch wenn sich der Inhalt der Sorgen in den Jahrhunderten immer wieder verändert haben mag – es ist dabei geblieben, dass sich Menschen Sorgen machen und Sorgen haben. Auch die Zeitgenossen Jesu haben wohl damit gekämpft, sonst würde Matthäus in der Bergpredigt Jesus nicht sagen lassen:

„Sorgt Euch nicht um Euer Leben!“; „Seht die Vögel unter dem Himmel an!“; „Schaut die Lilien auf dem Feld an!“;“Seid ihr denn nicht viel kostbarer als sie?“ Und: „Wer von euch vermag sein Leben auch nur um eine kurze Spanne Zeit zu verlängern, und wenn er sich noch so sorgt?“

Ich höre und sehe hier keinen erhobenen Zeigefinger. Im Gegenteil: da möchte einer um Einverständnis werben. Wer diese Worte hört oder liest soll sagen:

Niemand! Niemand verlängert sein Leben dadurch, dass er oder sie sich ständig darum Sorgen macht.

Die Vögel unter dem Himmel, die Lilien auf dem Feld – zeitlose Beispiele für Sorglosigkeit.

Vögel betreiben keine Vorratshaltung, sie suchen sich ihre Nahrung auf den Feldern, in Baumrinden, unter den Bistrotischen der Cafés. Gott sorgt für ihr Leben und Überleben.

Und die Lilien auf dem Feld? Bunt und schön stehen sie da, obwohl sie selbst nicht für ihr „Kleid“ gesorgt haben. Das „Kleid“ dieser vergänglichen Blumen erstrahlt sogar prachtvoller als die edlen Gewänder des großen Königs Salomo.

Ich schaue so gerne Sommerblumen an. Da entdecke ich eine verschwenderische Vielfalt an Formen und Farben – und atme ihren wunderbaren Duft. Dafür muss ich mir allerdings Zeit nehmen: Zeit zum Schauen, zum Riechen, zum Schmecken.

Hanns Dieter Hüsch plädiert in seinem „Sommerpsalm“ dafür, im Sommer mehr Ruhe einkehren zu lassen und unser hektisches Leben endlich einmal zu verlangsamen: Gott „möge die Stille segnen“,… „auf dass unser Herz wieder Luft schnappen kann, unser Auge aufhört zu zappeln und unser Ohr wieder richtig hört.“ Die sommerliche Hitze tut das Ihre dazu: wir müssen zwangsläufig unser Lebenstempo herunterschrauben, uns langsamer bewegen. Wir sitzen öfter mal im Schatten mit einem kühlen Getränk und lassen die Blicke schweifen, die Gedanken vorbeiziehen und die Seele baumeln.

Wenn ich durch einen sommerlichen Park radle, wo der Rasen und die Bäume eine Symphonie in Grün aufführen, wo die Stauden in einem Feuerwerk der Farben explodieren, wo es nach Gras, Rosen und Lavendel duftet, wo sich Vogelgezwitscher mit dem Summen der Bienen vermengt, verlieren die Sorgen des Alltags an Bedeutung. Ich fühle mich beschwingt und frei und genieße, was der Augenblick mir bietet.

 

 

 

Wenn mich etwas zutiefst umtreibt, dann habe ich keine Sorgen, sondern in bin in Sorge. Dann hat sie ganz und gar von mir Besitz ergriffen.

Meine Erfahrung ist: das sind Situationen, in denen es um ernsthafte, existentielle Bedrohungen geht: wenn jemand, der mit nahe steht, schwer erkrankt, wenn der Arbeitsplatz auf dem Spiel steht, wenn Beziehungen zerbrechen, wenn ein lieber Mensch stirbt. Dann bin ich ganz und gar in meiner Sorge gefangen, ich kreise nur noch um mich selbst und nehme nicht mehr wahr, was um mich herum geschieht. Die Sorge lähmt mich, blockiert mich

Die Vögel unter dem Himmel und die Lilien auf dem Feld nehme ich als Gegenbild zu einem Leben, in dem sich Menschen von ihren Sorgen erdrücken und fesseln lassen.

„Seht“ heißt es immer wieder in dieser Jesuspredigt. Seht. Vier Buchstaben, die alles ändern. Schaut auf das, was der Sorgenblick verschleiert, verdüstert. Seht, siehe – ganz wichtige Worte der Bibel. Darin konzentriert sich eine Seelsorge der Sanftmut.

Seht, blickt in eine andere Richtung. Das Schöne, es ist immer auch da.

„Wie gut, dass ich meinen Garten habe,“ sagt Frau Müller, die seit fast zehn Jahren ihren demenzkranken Mann zu Hause pflegt. „Wenn ich die Erde in meinen Händen spüre, dann kann ich alles andere vergessen und neue Kraft schöpfen.“

 

Paul Gerhardt hat die Schrecken des Dreißigjährigen Krieges am eigenen Leib erlebt. Und trotzdem schickt er sein Herz auf die Reise, damit es sich an der „lieben Sommerzeit“ erfreue. Er preist in fünfzehn Strophen Gottes Schöpfung in allen Facetten. Und er malt in schönen Bildern seine Hoffnung aus, nach dem Tod in „Christi Garten“ aufgenommen zu werden, wo die Engel „mit unverdroßnem Mund und Stimm ihr Halleluja singen“. Da möchte er „an Leib und Seele grünen“ und Gott „ewig dienen“.

 

In dem weltberühmten Wiegenlied „Summertime“ aus George Gershwins Oper „Porgy and Bess“ singt Bess von der Leichtigkeit des Lebens und den Freuden des Sommers: von springenden Fischen, der Baumwolle, die erntereif auf den Feldern steht, von der Liebe der Eltern für ihr Kind. Das tut sie, obwohl ihr Leben als Afroamerikanerin in einer Siedlung in Charleston, South Carolina am Ende des 19. Jahrhunderts von bitterer Armut, Gewalt und Verbrechen geprägt ist.

Das möchte ich von Frau Müller, Paul Gerhardt und Bess lernen: auf das zu schauen, was es Schönes gibt, was mir Freude bereitet, mein Leben leichter macht und mir Hoffnung gibt. Und dafür dankbar zu werden.

 

Der Sommer ist eine gute Zeit, mich in dieser Einstellung zu üben. Ich kann gar nicht anders, weil der Sommer seinen bunten Mantel über alles ausbreitet. Er umhüllt mich mit Licht, mit Farben und Düften. Da lösen sich manche Sorgen in Luft wenn nicht gar in Wohlgefallen auf. Und die Sorgen, die hartnäckig bleiben? Sie bekommen zumindest Konkurrenz.

Mit offenen Sinnen die Schönheiten der Natur wahrzunehmen – das macht es leichter, die Sorgen ein Stück hinter uns zu lassen.

Warum? Weil hinter den Schönheiten der Natur Gott steckt. Ihn bekennen wir als den Schöpfer und Erhalter allen Lebens. Jesu Forderung, sich keine Sorgen zu machen, gründet im Vertrauen auf Gott, der wie ein Vater, wie eine Mutter für ihre Kinder sorgt und ihnen das zum Leben schenkt, was sie brauchen.

Die Vögel unter dem Himmel und die Lilien auf dem Feld leben von der grenzenlosen, väterlich-mütterlichen Fürsorge Gottes. Unser Vertrauen auf den Schöpfer kann genauso radikal sein: „Euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen bedürft!“ Gottes Liebe ist es, die unser Leben hält und trägt.

Und noch etwas anderes fällt mir auf, wenn ich der Aufforderung Jesu folge und die Vögel und Blumen betrachte: Sie lassen sich nicht beirren. Die Vögel folgen ihrem inneren Rhythmus, sie wissen, wann es Zeit ist, sich zu paaren, ein Nest zu bauen, in den Süden zu fliegen.

Und die Blumen scheren sich oft nicht um das, was die wollen, die sie gepflanzt haben. Meine Freundin Ella, wahrhaftig mit einem grünen Daumen gesegnet, hat mir neulich ihre Terrasse gezeigt: dieses Jahr wollten die Rosen, die sonst immer zu einem üppigen Blütenbogen gewachsen sind, einfach nicht blühen. Dafür hat der längst vergessene Mohn sich an allen möglichen und un-möglichen Stellen ausgesät: im Kiesbett, in einem abgestellten Blumentopf, in Beeten mit ganz anderen Pflanzen. Er trägt kräftige Blätter und knallrote Blüten, dass es nur so eine Pracht ist. Dieses eigenwillige Gewächs ist mir sympathisch!

 

Wenn nun Gott jedem Vogel seinen inneren Kompass gibt und jeder Blume ihre Blütezeit, ihren Duft, ihre Pracht: Sollte er nicht auch jeden und jede von uns als einzigartiges Lebewesen erschaffen? Mit einem einmaligen Fingerabdruck, einem besonderen Stimmklang, einem individuellen Lachen, ganz persönlichen Gedanken und Gefühlen, vielen kleinen Besonderheiten, die unsere Persönlichkeit ausmachen? Gott, von dem Jesus so oft wie von einem gütigen, fürsorglichen Vater erzählt, lässt seinen „Kindern“ Freiraum für ihre individuelle Entwicklung. Seine Fürsorge erdrückt nicht. Ich stelle mir vor, wie Gott jedem und jeder von uns zuruft: „Geh deinen Weg. Meinen Segen hast Du.“ Und: „Du bist einmalig! Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du bist wertvoll. Ich kenne dich. Und ich kenne Deine Sorgen. Vertrau mir. Bei mir sind sie gut aufgehoben.“

Amen.

 

Es ist Samstag, das Gartenfest steigt. Die Gäste fühlen sich wohl. Das Essen ist mehr als reichlich und sehr schmackhaft. Alle finden ein passendes Getränk. Die Erwachsenen unterhalten sich angeregt, während die Kinder im Garten toben. Am Nachmittag ziehen Wolken auf. Als sich das Gewitter abends entlädt, suchen alle Gäste im Gartenzelt und im Haus Zuflucht. Es wird etwas eng, aber der guten Stimmung tut das keinen Abbruch.

 

„Chill dein Leben, Mama, it is what it is.“

 

Es gilt das gesprochene Wort.

13.06.2018
Barbara Franke